Dröhnlizenz

Ruhe, bitte! Nachts stört uns genau das Fahrzeug am meisten, das akustisch hervorsticht. Das Altmotorrad aus den 70ern mit der legalen, aber lauten Auspuffanlage. Der AMG-Mercedes, bei dem dieser Typ den Schalldämpfer einfach ausgeräumt hat. Der Güterzug, der bremst oder der Flieger in der Schubumkehr. Gerne zeigen wir in der Diskussion um Lärm auf andere. Es hilft alles nichts – jeder muss seinen Beitrag leisten. Auch die ganz normalen Alltagspendler in ihren Durchschnittsautos. Darum tritt zum 1. Juli eine europäische „Verordnung über den Geräuschpegel von Kraftfahrzeugen“ in Kraft. Das Pikante: Pkw werden ab sofort in drei Klassen mit unterschiedlichen Limits eingeteilt, und zwar gestaffelt nach Leistungsgewicht. Wer viel Kraft hat, darf lauter sein.

Im Gespräch erklärt Michael Jäcker-Cüppers, stellvertretender Vorsitzender des Arbeitsrings Lärm in der Deutschen Gesellschaft für Akustik (ALD), die negative Wirkung des Schalls: „Auch ohne aufzuwachen registriert der Körper viele Geräusche“, so Jäcker-Cüppers. Das lässt sich an Messungen von Stresshormonen wie Cortisol deutlich zeigen. Verengungen der Blutgefäße, Bluthochdruck, koronare Herzerkrankungen oder Herzinsuffizienz sind die Folge. „Menschen, die über einen langen Zeitraum kontinuierlich starkem Straßenlärm ausgesetzt sind, tragen ein besonders hohes Risiko“, erklärt der Fachmann vom ALD und verweist auf die viel befahrenen Stadtstraßen, wo gewohnt und gelebt wird.

Zurück zur EU-Verordnung (S. 32): Für Autos mit einem Leistungsgewicht bis 120 kW (163 PS) pro 1000 kg (sorry, die EU rechnet nicht in kg pro PS) gilt ab sofort ein Grenzwert von 72 Dezibel A. Auf absehbare Zeit dürfte hier das Gros der neuen Pkw zu finden sein. Das Limit wird sukzessive über 70 dB(A) für ab 1. Juli 2020 typgeprüfte Autos (neu zugelassene: ab 1. Juli 2022) auf 68 dB(A) für ab 1. Juli 2024 (neu zugelassene wieder zwei Jahre später) frisch homologierte Pkw abgesenkt.

„Diese stufenweise Verschärfung ist im Grundsatz vernünftig, weil die Industrie damit Planungssicherheit hat“, sagt Michael Jäcker-Cüppers vom ALD. Der Ingenieur bemängelt aber, dass die Grenzwerte sich zu stark am preisgünstig Umsetzbaren und zu wenig am technisch Machbaren orientieren: „In diesem Spagat hat sich der Gesetzgeber zu sehr auf die ökonomische Seite begeben.“

Die Einführungsdaten für die Absenkung der zulässigen Geräuschpegel gelten auch für die beiden anderen Leistungsgewichtsklassen, nur die Dezibel-Limits unterscheiden sich. Für Fahrzeuge mit 120 bis 160 kW (163 bis 218 PS) pro 1000 kg liegt der Grenzwert zuerst bei 73, dann bei 71 und zuletzt bei 69 dB(A); für Autos mit mehr als 160 kW (218 PS) pro 1000 kg sind es 75, 73 und 71 dB(A), also ein Nachlass von drei Dezibel.

Die Zahl der Fahrzeuge, die in die höchste Leistungsgewichtsklasse fallen, ist gering. Ein Porsche 718 Cayman in der Basisversion etwa fällt erst in die mittlere Kategorie (220 kW / 300 PS bei 1.418 kg Leergewicht), obwohl niemand den Sportwagen als schwächlich oder langsam bezeichnen würde. Ein 911 Carrera S (309 kW / 420 PS auf 1.515 kg) dagegen gehört zu den ganz Starken im Land.

Erfolg der Lobbyisten

Apropos Porsche: Im Gesetzgebungsprozess vor über drei Jahren ist ein Fall von Einflussnahme offensichtlich geworden, der in dieser Form zwar häufig vermutet wird, aber selten nachgewiesen werden kann. Das tschechische Mitglied des damaligen EU-Parlaments Miroslav Ouzky brachte einen Vorschlag ein, welcher der jetzt gültigen Verordnung stark ähnelt. In den Dateiinformationen des Papiers ist als Autor nicht etwa das Büro des ehemaligen Abgeordneten Ouzky oder einer assoziierten wissenschaftlichen Instanz genannt. Stattdessen steht dort „Porsche AG“ und der Name eines Mitarbeiters.

Dass Lobbyisten eine beratende Funktion haben, muss nicht von vornherein schlecht sein, so lange die Vorgänge transparent sind und es einen Ausgleich der Interessen gibt. Das war hier mutmaßlich nicht so. Es wäre allerdings falsch zu denken, dass nur Porsche von der Regelung profitiert – aus anderen EU-Staaten wie Italien (Ferrari, Maserati, Alfa Romeo) oder England (Jaguar, Aston Martin) kommen ebenfalls haufenweise Autos, bei denen der gute Ton zum guten Ton und letztlich zur Verkaufsstrategie gehört.

In diesem Zusammenhang bewertet der ALD den Trend zu Klappenauspuffanlagen kritisch. Diese ermöglichen auf Knopfdruck das teilweise oder komplette Umgehen des Schalldämpfers. Inzwischen wird dieser Sound zusätzlich elektronisch nach innen und außen verändert. „Nach meinem Verständnis sind diese Systeme nicht zulässig“, so Michael Jäcker-Cüppers.

Überhaupt erwartet er auf lange Sicht nur eine Entlastung um gut ein Dezibel in der Realität. Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen natürlich, weil es lange dauert, bis der Fahrzeugbestand ausgetauscht ist. Zum anderen sind bei Lärmmessungen ähnlich wie bei Abgasen Abweichungen zwischen Prüfung und Wirklichkeit üblich. Und zum dritten ist nicht von einer nachlassenden, sondern eher von einer wachsenden Verkehrsbelastung auszugehen.

Abrollgeräusche reduzieren

Entscheidende Stellschraube für eine Verringerung der Geräuschbelastung ist die Reifen-Asphaltkombination. Klar, beim starken Beschleunigen tritt der Verbrennungsmotor in den Vordergrund, aber bei Konstantfahrt dominieren die Abrollgeräusche. Darum ist so genannter Flüsterasphalt eine heute verfügbare und bewährte Lösung für leisere Städte – dieser hat speziell bei Regen große Vorteile, wo auf normalen Oberflächen ein Plus von 10 Dezibel allein wegen der Nässe hörbar ist.

Lärm ist eine komplizierte Sache, und Grenzwerte spiegeln nur einen Teil der Wahrnehmung wieder. So fällt uns, siehe Anfang dieses Textes, im Regelfall das eine Fahrzeug auf, das herausragend laut ist, und nicht die vielen anderen, die eher ein Rauschen verursachen. Und der Unterschied von drei Dezibel zwischen den kleinsten und der größten Leistungsgewichtsklasse entspricht ungefähr dem Höreindruck an einer Straße, an der statt drei Volkswagen plötzlich sechs vorbeifahren.

Elektro- und Hybridautos versprechen leider nur teilweise eine Entlastung zu bewirken. Sie spielen ihre Stärke im niedrigen Geschwindigkeitsbereich bis rund 30 km/h aus. Nur hier sind sie signifikant leiser, weil darüber wieder die Abroll- und Windgeräusche die Hauptbelastung ausmachen.

Vielleicht ist es am besten, selbst rücksichtsvoll zu sein. Wer sich am Sound seines Fahrzeugs laben will, sollte das nicht mitten in der Nacht in einem Wohngebiet tun. Suchen Sie sich einen schönen Tunnel und öffnen Sie das Fenster. Boller, sprotz, roooar.

Erschienen am 29. Juni bei heise Autos.

Bildquelle: Porsche

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