Postman’s friend

Anlassen, Gas geben, 50 Meter fahren. Anhalten, Motor aus und raus mit Brief und Paket. Mehr als 300 Mal pro Tag. Die Verbundzustellung der Deutschen Post ist kein Vergnügen für die Volkswagen Busse mit Dieselmaschine. Für die Anwohner im Bezirk übrigens auch nicht. Die Abgase sind gesundheitsschädlich, und leise sind die T5-Modelle aus Hannover ebenfalls nie gewesen. In etlichen Regionen ersetzt jetzt der Streetscooter den Altdiesel. Jenes elektrische Gefährt, das als Startup der RWTH Aachen entwickelt wurde, etliche Komponenten aus dem Regal von Bosch und anderen verwendet und inzwischen von der Deutschen Post DHL Group übernommen und produziert wird. Über 2.500 Streetscooter vom Typ Work sind im bundesweiten Einsatz. Und genau darum geht es: um Arbeit. ELECTRIVE.net besuchte ein Zustellzentrum in Hamburg, um sich vor Ort ein Bild zu machen.

Der Streetscooter, so heißt es auf Messegesprächen und E-Stammtischen, wäre leider geil. Die Einfachheit der Konstruktion sei überzeugend. Das aber ist nicht der einzige Vorteil, wie sich schnell herausstellt.

Zuerst, es liegt auf der Hand, eignet sich ein Batterie-elektrisches Nutzfahrzeug viel besser für den Verteilerverkehr. Siehe oben. Keine Kupplung, kein Getriebe, kein Lärm, kein Gestank. Darüber hinaus ist in Hamburg – mit rund 1,8 Millionen Einwohnern Deutschlands zweitgrößte Stadt – das vermeintliche Reichweitenproblem nicht vorhanden. Streetscooter gibt mit der 20,6 Kilowattstunden großen Batterie „bis zu 80 Kilometer“ an, im Display des von ELECTRIVE.net besichtigten Exemplars stehen 73 Kilometer, und beides ist mehr als genug, denn es werden nur 20 Kilometer gebraucht. Und diese Strecke wurde bisher mit einem Diesel-Transporter gefahren?

Keine Häme gegen Volkswagen

Unfassbar und doch bis heute der größte Teil der Wirklichkeit. Über den Konflikt, den es möglicherweise gegeben haben könnte, als die Deutsche Post bei Volkswagen nach einem e-Bus oder e-Caddy gefragt hat und auf einen unbestimmten Termin in der Zukunft vertröstet wurde, schweigt man eisern. Keine Häme. Und doch schwingt in vielen Gesprächen eine innere Freude darüber mit, dass man es einfach selbst gemacht hat.

„Es gemacht“ wiederum bedeutet: Mit einer ganz auf Robustheit und die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichteten Konstruktion und mit möglichst vielen vorhandenen Komponenten ein verlässliches Fahrzeug auf die Räder gestellt. Der E-Motor und die Leistungselektronik zum Beispiel kommen von Bosch. Kurzfristige Spitzenleistung 48 Kilowatt, Höchstgeschwindigkeit 80 km/h. Und im 4,3 Kubikmeter fassenden Aufbau stört kein Radkasten das Einlade-Tetris der Pakete.

Überall dominiert Sachlichkeit und Funktionalität. Radkappen – wozu bitte? Beifahrersitz? Nein, hier lagern die Briefe. Die Ergonomie stimmt trotzdem: Die Kopffreiheit genügt den größten Fahrern. Der Wahlhebel für D, N und R lässt sich mit einem Fingertippen bewegen und kommt zurück in die Ausgangsposition. So wie bei einem Nissan Leaf. Die Kameras liefern das Livebild von der rechten Seite und von hinten. Die Sonnenblende ist zu klein? Rückmeldung in die Produktion.

Das ist neben der Simplizität die zweite Trumpfkarte: Die Lernkurve ist steil, denn die Deutsche Post als Hersteller reagiert direkt. Mag es bei den 150 Vorserienfahrzeugen 2014 noch echte Mängel gegeben haben – längst kümmert man sich um Feinheiten wie die Perfektionierung der Lüftung und darum, die Kosten zu drücken.

Schwarze Null bei den TCO

Kosten bedeutet für ein Unternehmen wie die Deutsche Post DHL Group immer TCO, also total cost of ownership. So lange man den Streetscooter nicht extern verkauft (und Anfragen gibt es haufenweise von Handwerkern, Kommunen und anderen), lässt sich die Post beim Preis nicht in die Karten gucken. Über die Lebensdauer, sagt die Pressestelle, habe der Streetscooter vergleichbare Kosten im Betrieb. Und weiter: „Die höheren Anschaffungskosten kompensieren sich durch geringere Energiekosten. Erfreulicherweise sind auch die Wartungs- und Instandhaltungskosten deutlich niedriger als bei konventionellen Fahrzeugen.“

Sofort fällt uns bei ELECTRIVE.net das Zitat von Martin Winterkorn ein, als er einen Hyundai inspiziert. Es passt auch auf den Streetscooter: „Warum kann‘s der? Der BMW kann es nicht, wir können es nicht, warum kann’s der?“

Vielleicht zahlt die Deutsche Post ein wenig drauf. Das ist egal, denn hier gestaltet man die eigene Zukunft. Wir kennen außerdem den Stromtarif des Unternehmens nicht. Klar ist: Haushaltsstrom kostet laut BDEW 29 Cent pro Kilowattstunde. Industriekunden zahlen 16 Cent (ohne Stromsteuer).

Sich auf das konzentrieren, was geht

Der Streetscooter Work ist nur der Anfang. Längst arbeitet man an einem e-Fahrzeug für den reinen Paketzustelldienst im Format eines Sprinters. Die Deutsche Post klagt nicht darüber, was nicht funktioniert und welches Einsatzprofil noch nicht elektrisch abgedeckt werden kann. Sie fängt stattdessen dort an, wo es klappt. Unkompliziert eben.

Selbst die Ladestrategie ist kein Problem. Nachts füllen die Streetscooter ihre Batterien. Mit geringer AC-Leistung über Wallboxes, die in Hamburg an der Außenwand angebracht sind. Ganz langsam und sicher, und damit ohne das interne Stromnetz vor Schwierigkeiten zu stellen.

Die Frage an einen Post-Mitarbeiter, ob er etwas an den Volkswagen-Bussen vermisst, bringt eine eindeutige Antwort. Nein, nichts. Der E-Antrieb entlastet den Postboten in jeder Situation, und die Zwangspause für die Regeneration des Partikelfilters fällt mit dem Streetscooter weg. Es scheint, als wäre der Dieselmotor eigentlich nie für diesen Einsatz geeignet gewesen.

Erschienen am 10. April bei ELECTRIVE.net. Ein weiterer Beitrag lief am 25. April bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: Deutsche Post DHL Group

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