Die Mitte

Wohltuend konventionell. Und zugleich exzellent. Der Volkswagen Polo ist ein beeindruckend gutes Auto geworden. Was aber bleibt übrig, wenn der Kompaktwagen nicht mit der bei Pressevorstellungen üblichen Vollausstattung gefahren wird, sondern so, wie Privatkunden ihn tatsächlich kaufen? Einen einfachen Polo, bitte! Ich habe eine entsprechende Anfrage an die Volkswagen Kommunikation geschrieben, und jetzt steht er da – nicht als völlig abgespeckte Basisversion. Aber eben mit sinnvollen Extras als Comfortline. Und vor allem mit dem Dreizylinder-Saugmotor.

Diese Maschine, im konkreten Fall in der stärkeren Variante mit 55 kW (75 PS) statt mit nur 48 kW (65 PS) Leistung, ist im Volkswagen-Konzern ein Exot: Mangels Turbolader und Direkteinspritzung gehört sie zu den wenigen Benzinbetriebenen, die nicht das Kürzel TSI tragen. Das hat allerdings nicht nur Nachteile. Bei den Partikelemissionen ist der Simpelantrieb nämlich genauso problemlos wie bei den Stickoxiden, und auch der CO2-Ausstoß bleibt akzeptabel: Im Durchschnitt nahm der Polo 5,6 Liter pro 100 Kilometer aus dem 40 Liter großen Tank. Das entspricht 132 g CO2 / km (NEFZ: 4,7 l, 108 g CO2 / km).

Kein Turbolader, keine Direkteinspritzung, kein Doppelkupplungsgetriebe und auch kein sechster Gang. Kein „Active Info Display“, sondern zwei analoge Rundinstrumente. Die Handbremse funktioniert über den klassischen Hebel zwischen den Vordersitzen, und der Motor startet über den Dreh des Zündschlüssels im Lenksäulenschloss. Ich. Vermisse. Nichts.

Allzweckauto für alle

Das, was den Polo ausmacht, haben ohnehin alle denkbaren Modellvarianten. Er passt. Ein Auto für so viele Anwendungsfälle wie möglich. Beim Raumangebot ist der Polo ungefähr so groß wie ein Golf IV, wobei er sich bei der Innenbreite (angenehm), dem Radstand (ein Plus für die Passagiere auf der Rückbank) und dem Kofferraum (351 Liter, beim aktuellen Golf sind es nur 29 mehr) deutlich vom Vorgänger absetzt. Diese Fahrzeugklasse hat noch nicht das Übermaß erreicht, dass viele Autos besonders im Stadtverkehr unhandlich macht; der Polo lässt sich sorgenfrei durch enge Straßen lenken.

Überhaupt, die Lenkung: Sie ist leichtgängiger als beim alten Polo, bietet aber trotzdem eine hohe Präzision bei sehr guter Rückmeldung – ein wesentlicher Beitrag zum Eindruck des für wirklich alle Nutzer entspannt fahrbaren Autos. Der Qualitätseindruck ist ebenfalls ganz weit vorne, was unter anderem an der wirksamen Geräuschdämmung des Fahrwerks liegt. Kompakte Maße, anständige Lenkung, hochwertige Verarbeitung bei hohem Gesamtkomfort, so mag es der europäische Autokäufer.

Wenig beliebt dagegen ist die Preispolitik von Volkswagen. So hat der Trendline-Polo bis heute weder Klimaanlage noch Radio serienmäßig, weswegen die Kunden meistens zum mittleren Ausstattungsniveau Comfortline greifen. Lobenswert: Alle Polos haben ein radarbasiertes automatisches Notbremssystem. Das ist das Ergebnis des Drucks von EuroNCAP, dem Verein, der die Sicherheit im Pkw erhöhen und die Unfallzahlen senken will. Die Punktevergabe von EuroNCAP führt zugleich zu einer Seltsamkeit: Der Geschwindigkeitsbegrenzer ist grundsätzlich immer im Polo – die weiterführende Belegung des identischen Hebels mit der Tempomatfunktion kostet 205 Euro. Unverständlich.

Zurück zum Antrieb. Verwöhnte Naturen grübeln vielleicht, ob ein Überleben mit 55 kW (75 PS) und 95 Newtonmetern Drehmoment möglich ist. Kein Problem! Das Leistungsangebot reicht jederzeit zum lockeren Mitschwimmen. Wer jedoch meint, in Zeiten des Diesel- oder Elektro-Punches zum zügigen Beschleunigen einfach bei niedrigen Geschwindigkeiten das Gaspedal durchtreten zu können, erntet lediglich eine veränderte Klangfarbe. Stattdessen ist die Anwendung einer nahezu vergessenen Kulturtechnik nötig: Schalten Sie runter und drehen Sie den Motor ordentlich hoch! Dann geht auch irgendwie irgendwas: Die Werksangabe verspricht minimal 14,9 Sekunden bis 100 km/h und maximal 170 km/h.

Ohne E

Subjektiv ist das völlig okay. Und ich frage mich nach der Ausfahrt kürzlich im Renault Scenic Hybrid Assist, ob nicht ein ähnliches 48-Volt-Hybridsystem für diesen Polo attraktiver wäre als die Leistungssteigerung mittels Turbolader im TSI. Denn beim Verbrauch war der Gesamtwert mit 5,6 Litern zwar im Rahmen und lag unter dem vor drei Jahren gefahrenen Vorgänger. Beim Stadtkonsum von sechs Litern aber ist Luft nach unten. Das krasse Drehmoment des E-Motors von Continental im Renault Hybrid Assist – 66 Nm reißen direkt an der Kurbelwelle – würde das souveräne Fahren im Polo nochmals unterstreichen, selbst wenn das niedrige Leergewicht von 1.105 kg dadurch ansteigen würde.

In Wolfsburg weiß man, wie man Autos baut. Daran gibt es keinen Zweifel. Ich habe mich am Steuer dabei ertappt, wie ich mir eine Batterie-elektrische Version des Polos vorstelle. Und tatsächlich wird der kommende I.D. (Premiere auf IAA 2019) exakt das: Ein konsequentes E-Auto im Kompaktformat mit allem, was Volkswagen so erfolgreich macht. Mir ist zugleich klar, dass der Preis eines Stromers auf absehbare Zeit nicht mit einem schlichten Verbrennungsmotorauto mithalten kann: Viele Komponenten wie die Klimaanlage oder die Lenkung brauchen beide. Lediglich der Rumpfmotor, der Plastiktank und der Abgasstrang fallen weg – dass die Summe aus E-Motor, Leistungselektronik, Ladetechnik für Wechsel- und Gleichstrom sowie Traktionsbatterie kostengleich werden können, ist nach meiner Einschätzung nicht plausibel.

Umso wichtiger ist die Feinarbeit am heutigen Konzept. Der Testwagen, der letztlich doch wieder mit Verzichtbarem wie 17-Zollfelgen mit 215er Reifen und dem teuersten Radionavigationssystem ausgerüstet war, repräsentierte einen Listenpreis von 22.220 Euro. Die Realität der Tageszulassungen wird mittelfristig bei rund 15.000 Euro liegen. Viel Geld für Normalverdiener. Und dennoch werden etliche Privatkäufer in Europa zugreifen, weil der Polo selbst an der Basis das beste Angebot ist. Er ist die Mitte.

Erschienen am 23. Oktober bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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