Der Unaufgeregte

Punktlandung: Nach 58 rein elektrischen Kilometern springt im Kia Niro Plug-in Hybrid der Benzinmotor an. Das entspricht exakt der Werksangabe nach dem alten Messzyklus NEFZ. Ein ziemlich guter Wert angesichts der hohen Außentemperatur von 31 Grad, eingeschalteter Klimaautomatik und 8,9 Kilowattstunden (kWh) Batteriekapazität. Und mehr als eine Stichprobe: In der Hamburger Metropolregion waren jederzeit mindestens 50 Kilometer Aktionsdistanz ohne Verbrennungsmotor möglich. Zwar führte die Route dabei quasi nie über die Autobahn – aber für diesen Anwendungsfall hat der Kia den Benzintank. So ergibt ein Plug-in Hybrid einen Sinn: Lokal emissionsfrei im Ballungsraum in Verbindung mit der gewohnten Reisereichweite.

Der Kia Niro ist ein unaufgeregtes Auto. In den Außenmaßen ähnelt er einem Mini Countryman; die Formengestaltung verantwortet Peter Schreyer. Der Deutsche ist als erster Nicht-Koreaner zu einem der drei Firmenpräsidenten bei aufgestiegen. Schreyer hat den Audi TT designt, den Volkswagen Golf IV, und er hat den aktuellen Kias die so genannte Tigernase verpasst. Beim Niro ist das Ergebnis ein sachliches Äußeres, das sich vom eher verspielten Mini abgrenzt.

Mit oder ohne Ladestecker?

Im Monat April wurden 410 Kia Niro neu zugelassen. 132 davon – also ein knappes Drittel – waren Plug-in Hybride; 276 waren normale Hybride ohne Ladestecker und zwei kamen als Batterie-elektrische Version auf die Straße, die allerdings erst gegen Jahresende in den offiziellen Verkauf geht.

Der Kunde hat also die Wahl: Beim Niro Hybrid kann er mit Superbenzin und mit sonst nichts fahren, beim von heise Autos gefahrenen Plug-in Hybrid mit Strom oder Benzin und später beim Niro EV ausschließlich mit Strom. Für den Niro EV ist außerdem bekannt, dass er ähnlich wie der Konzernbruder Hyundai Kona EV mit zwei unterschiedlichen Batteriegrößen von 39 und 64 kWh ausgeliefert wird. Macht in Summe vier Antriebsstränge. Dieselmotoren sind nicht erhältlich.

Allen Niros gemeinsam ist die gekonnte Verarbeitungsqualität und eine sehr gute Materialauswahl im Innenraum. Man sitzt leicht erhöht im Niro, wobei die Gesamthöhe des Fahrzeugs mit 1,55 inklusive Dachreling im üblichen Rahmen liegt. Volkswagen T-Roc, Hyundai Kona, Mini Countryman – man bewegt sich in der Klasse weit diesseits echter SUVs wie einem BMW X5 (bis 1,76 m) oder gar einem Range Rover (1,84 m). Die Innenbreite ist großzügig und die Kopffreiheit auch. Eine Schwäche bei der Funktionalität ist die Übersicht. Das schmale Heckfenster schränkt den Blickwinkel ebenso ein wie die C-Säule, und die Außen- und Innenspiegel gleichen das nicht aus.

Alles für den Komfort

Zum Antrieb: Bis zum Erscheinen des EV haben alle Niros ein 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe. Er spricht damit ein komfortorientiertes Publikum an. Die Gänge werden auch im Elektromodus geschaltet, damit beim Durchtreten des Gaspedals – dann springt der Verbrennungsmotor an – die richtige Übersetzung anliegt. Das kann für Fahrer, die das anschlusslose Beschleunigen eines Batterie-elektrischen Autos gewohnt sind, irritierend sein. Viele Hersteller machen es genauso, etwa Volkswagen in den GTE-Modellen (derzeit nicht bestellbar) oder auch Mercedes. Andere wiederum bauen keinen Parallelhybrid, sondern trennen die Antriebe: Volvo etwa treibt beim XC60 T8 die Hinterachse elektrisch und die vordere mit dem Verbrennungsmotor an, und ähnlich ist es beim Mini Countryman.

Der Testwagen Kia Niro Plug-in Hybrid wurde in der höchsten Ausstattungslinie Spirit angeliefert. Vom Preis (38.450 Euro, Basisversion Edition 7 32.750 Euro) kann die E-Prämie von 3.000 Euro abgezogen werden, was 35.450 Euro ergibt. Die Differenz beim Bruttolistenpreis zum nicht förderfähigen normalen Niro Hybrid reduziert sich damit auf 4.160 Euro. Der Kia ist als Spirit so üppig ausstaffiert, dass stellvertretend lediglich einige Besonderheiten genannt werden sollen: Das wohlklingende JBL-Soundsystem ist im Preis enthalten, die Frontscheinwerfer mit LED-Technik oder eine 220 Volt-Steckdose in der Tunnelkonsole hinten.

Der Kia Niro Plug-in Hybrid ist das richtige Auto für jene Interessenten, die das elektrische Fahren ausprobieren wollen, ohne allzu große Kompromisse zu machen. So verfügt der Niro optional über eine Anhängerkupplung (790 Euro) mit 1,3 Tonnen gebremster Last und 100 kg Stützlast. Das ist erwähnenswert, denn häufig sparen die Hersteller an der Homologation für dieses in Deutschland beliebte Extra.

Abstriche gibt es beim Kofferraumvolumen (324 statt 436 l im Niro Hybrid) und der Zuladung (406 statt 430 kg). Auf der anderen Seite spurtet der Plug-in Niro besser als die Version ohne Ladestecker (10,8 statt 11,5 Sekunden bis 100 km/h) und er fährt schneller (172 statt 162 km/h). Für beide gilt: Der Niro richtet sich an Gleiter, nicht an Heizer.

Ab September mit Euro 6d TEMP und Partikelfilter

Dafür sorgt auch der Verbrennungsmotor mit Direkteinspritzung, aber ohne Turbolader. Fürs gelassene Fahren eignet er sich gut. Für die harte Gangart ist er zu zäh und unwillig. Übrigens: Ab September erfüllen alle Kia-Modelle die Abgasnorm Euro 6d TEMP. Der Kia Niro Plug-in Hybrid bekommt dann einen Partikelfilter. Käufer mit Umwelt- und Wertbewusstsein sollten unbedingt darauf warten.

Der Verbrauch des Kia Niro Plug-in Hybrid beträgt nach der gesetzlichen Norm 1,3 Liter. Ein Wert, der der guten Form halber genannt werden soll, denn hier fließt ein elektrischer Anteil mit Null ein. Die tatsächlichen Verbrauchswerte im Test, hochgerechnet auf 100 Kilometer: Im E-Betrieb waren es 15,3 kWh inklusive Ladeverluste. Ein wirklich gutes Ergebnis, das deutlich unter dem Niveau anderer Plug-in Hybridautos liegt. Im reinen Benzinbetrieb konsumierte der Niro im Mittel 5,8 Liter pro 100 Kilometer.

Das wiederum ist ein nur durchschnittliches Ergebnis. Am niedrigsten lag der Benzinverbrauch mit 3,7 Litern auf einer Überlandfahrt durch die niedersächsische Tiefebene. Auf der Autobahn dagegen kamen bei Richtgeschwindigkeit rund sechs Liter zusammen. Wer schneller fahren will, muss den Niro treten: Auf einer Etappe mit 130 bis 170 km/h stieg der Verbrauch auf über acht Liter an. Vergleichbare Hybridmodelle von Toyota liegen klar darunter. Zwar spiegelt sich in der Zahl von 5,8 Litern die Nutzung – elektrisch in der Cityregion, außerhalb mit Verbrennungsmotor – wieder. Der Parallelhybrid kann bei der Effizienz trotzdem nicht mit den japanischen Topsellern mithalten.

So lässt sich gut eingrenzen, an wen sich der Kia Niro Plug-in Hybrid richtet: An Kunden, die ein hochwertiges und verlässliches Kompaktauto wollen, denen Komfort und Qualität wichtig sind und die das elektrische Fahren mit der jederzeit verfügbaren Rückfallebene des Benzinmotors für sich testen wollen. Der Niro Plug-in Hybrid ist ein solides Auto und hat die Allroundtalente, an die wir uns gewöhnt haben, zum Beispiel die optionale Anhängerkupplung, die für mehr als einen Fahrradträger taugt. Und mit seinem stimmigen und nüchternen Design spricht er auch die Käufer an, für die die Fahrer eines Mini Countryman einfach Spinner aus der Großstadt sind.

Erschienen am 7. Juni bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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