Die Rehabilitierung des Diesels

Neuwagen mit Dieselmotor sind tatsächlich so sauber, wie es die gesetzliche Abgasnorm erfordert. Diese Feststellung sollte eigentlich selbstverständlich sein. Nach Abschalteinrichtungen und Thermofenstern aber ist es mehr als eine Randnotiz, wenn der ADAC jetzt in aufwändigen Verfahren Stickoxidwerte an der Nachweisgrenze misst. Aktuelle Diesel-Pkw haben damit in Einzelfällen sogar niedrigere Ergebnisse als die besten Ottomotoren, wie es aus dem Technik Zentrum des ADAC in Landsberg heißt. Im Vergleich der Verbrennungsantriebe ist das die Rehabilitierung.

Ein Auszug aus den Stickoxid-Daten der Fahrt über öffentliche Straßen (abgekürzt RDE für real driving emissions): Der Volvo XC60 D5 AWD kam auf 56 mg NOx / km, der Volkswagen Golf 1.6 TDI SCR emittierte 14 mg NOx / km, der Opel Astra 1.6d wurde mit 1 mg NOx / km gemessen, und beim Mercedes C220d lasen die Messingenieure 0 mg NOx / km ab. Die Außentemperatur betrug dabei übrigens minus 0,4 bis plus 7,9 Grad.

Conformity Factor als Rabatt auf den Prüfstandsgrenzwert

Im Prüflabor, wo ganzjährig reproduzierbare Bedingungen herrschen, liegt der gesetzliche Grenzwert für Stickoxide seit Einführung der Euro 6-Norm bei 80 mg / km. Mit der Umstellung auf Euro 6d-TEMP gilt dieses Limit auch beim genannten Straßentest RDE, wobei hier eine Abweichung von 2,1 (so genannter Conformity Factor) erlaubt ist. Euro 6d-TEMP ist für alle ab 1. September 2019 neu zugelassenen Pkw verpflichtend; die Abgasnorm ist aber bereits seit 1. September 2017 zertifizierungsfähig. Ab dem 1. Januar 2021 folgt Euro 6d mit einem auf 1,5 gesenkten Conformity Factor.

Die meisten neuen Diesel-Pkw unterschreiten heute einen Conformity Factor von 1. Der von der EU genehmigte Rabatt auf die Labormessungen ist offensichtlich nicht notwendig. Im RDE-Test des ADAC kam allein der Honda Civic 1.6 i-DTEC auf 101 mg NOx / km. Das ist immer noch deutlich unter dem Maximum von 168 mg NOx / km (also 80 mg im Labor multipliziert mit dem Conformity Factor von 2,1). Und das, obwohl der Honda als einziges Auto im ADAC-Test nicht über einen SCR-Katalysator verfügt.

Dass so viele Autos den Laborgrenzwert auch auf der Straße einhalten, könnte noch sehr wichtig werden: Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat in einem Urteil vom 18. Dezember klargestellt, dass der Conformity Factor unzulässig ist und sämtliche Autos die Emissionsgrenzen auch auf der Straße einhalten müssen. Das Urteil, das auf Klage von Brüssel, Madrid und Paris erging, ist bisher ohne juristische Konsequenz.

ADAC Autobahntest mit Volllastpassage

Das ADAC Technik Zentrum verschärft die Anforderungen des selbst entwickelten EcoTests regelmäßig. So wird neben den gesetzlichen Prüfungen im Labor und auf der Straße auch der ADAC Autobahntest gefahren: Hierbei wird unter anderem mehrfach mit Volllast beschleunigt. Auf Anfrage von heise Autos sagt der ADAC, dass hier „bisher nur wenige Fahrzeuge ein gutes Ergebnis erreicht haben, weil die Ansprüche extrem hoch sind“. Während ein BMW X2 und ein Peugeot 308 mit 84 und 45 mg NOx / km weiterhin eine gut funktionierende Abgasreinigung nachwiesen, wich der Volvo XC60 mit 239 mg NOx / km nach oben ab.

Geht doch, möchte man sagen. Und aus technischer Sicht waren leistungsfähige Abgasreinigungsanlagen lange umsetzbar. Das hatte schon jener RDE-Test gezeigt, mit dem Dieselgate ins Rollen kam: In den USA waren 2015 drei Pkw-Modelle untersucht wurden. Zwei schnitten katastrophal ab. Eins sehr gut. Allerdings konnten die Zahlen bis zum September des Jahres nicht bestimmten Autotypen zugeordnet werden, weil der International Council on Clean Transportation (ICCT) ein Anonymisierungsabkommen unterzeichnet hatte. Dann, als die Informationsbombe hochging, war klar: Ein Volkswagen Jetta und ein Passat hatten abseits der Laborprüfstände extrem hohe NOx-Emissionen. Ein BMW X5 mit einer Kombination aus Speicher- und SCR-Katalysator jedoch war unauffällig. Mit einem ähnlichen Aufbau wie der X5 fahren jetzt fast alle neuen Dieselautos.

Warum nicht gleich Euro 6d?

Angesichts der vom ADAC Technik Zentrum erhobenen Daten stellt sich die Frage, warum Neuwagen nicht generell wie die Mercedes A-Klasse schon nach Euro 6d statt nach Euro 6d-TEMP zertifiziert werden. Die Recherche ergab leider keine präzise Antwort. Es lässt sich lediglich spekulieren.

Zum einen gibt es bei industriellen Entwicklungsprozessen grundsätzlich Verzögerungen. Es dauert, bis die Weiterentwicklung einer Abgasreinigung den Weg vom Ingenieursbüro über vielfältige Tests bis ins Serienfahrzeug schafft. Das Ziel ist die jeweils gültigen Anforderungen zu erfüllen – was schwierig genug zu sein scheint, wie die Umstellung vom alten Messzyklus NEFZ auf WLTP im September gezeigt hat. Die Grenze der Fachabteilungen ist manchmal überschritten.

Die zweite mutmaßliche Ursache ist, dass seit 2017 nahezu jährlich strengere Limits mit vielen Detailänderungen in Kraft treten. So gibt es Aktualisierungen von WLTP (2nd Act) und RDE (4th Package). Auch die so genannte In-Service-Conformity (ISC) ist ein Hindernis für die Homologation nach Euro 6d: Autos müssen dann für eine sehr lange Betriebszeit und überprüfbar eine funktionierende Abgasanlage nachweisen.

Diesel vs Elektro

Wir wissen also genug über neue Diesel-Pkw um sagen zu können, dass die Abgasemissionen endlich auf einem ähnlichen Niveau liegen wie bei Autos mit Ottomotor. 2019 haben sich etwa ein Drittel der Käufer für einen Selbstzünder entschieden. Und für die Zukunft ist das Aus des Diesels keineswegs beschlossen.

Denn paradoxerweise ist es genau der von Volkswagen-Chef Diess propagierte Batterie-elektrische Antrieb in Gestalt des Modularen Elektrifizierungsbaukastens (MEB), der dem Dieselmotor ein langes Leben garantiert: Batterie-elektrische Autos sind effizient, stark und leise. Die elektrochemischen Speicher bekommen aber immer dann ein Problem, wenn große Fahrzeuge über weite Strecken bewegt werden sollen. Auch der Benzinmotor ist in diesem Szenario im Nachteil. Hier setzen die asiatischen Hersteller auf die mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle. Als kostengünstige und etablierte Lösung aber könnte der traditionelle Dieselmotor – vielleicht betrieben mit synthetischem Kraftstoff – noch viel länger bei uns sein, als sich das die Untergangspropheten vorstellen können.

Erschienen am 2. April bei heise Autos.

Bildquelle: Opel

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