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Die Autoindustrie schreibt sich ihre Gesetze selbst. Das zumindest behaupten die Kritiker. Aber auch bei sachlicher Betrachtung kann der Lobbyeinfluss nicht geleugnet werden: Eine Emissions-Regulierung gegen das Veto von Volkswagen und Daimler, gedeckt durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Spitzenbeamte wie Martin Selmayr, ist nicht vorstellbar. Umso erstaunlicher ist, dass den Herstellern immense Strafzahlungen drohen, weil sie es nicht schaffen, den CO2-Flottengrenzwert einzuhalten: Das Ziel, am 31. Dezember 2021 einen Ausstoß von 95 Gramm pro Kilometer im Durchschnitt aller EU-Neuzulassungen zu melden, ist angesichts der aktuellen Entwicklung eine Illusion. Für die Autoindustrie gibt es nur einen Ausweg aus der Misere – es müssen viel mehr Batterie-elektrische Autos (BEV) und Plug-In-Hybride (PHEV) verkauft werden.

Die EU-Regulierung ist leicht verständlich: Im Vergleich zum CO2-Limit von 130 g / km für 2015 ist eine Reduzierung um 27 Prozent bis inklusive 2021 vorgesehen. Für das Limit von dann 95 g / km sind Abweichungen möglich, die sich nach dem Gewicht der zugelassenen Fahrzeuge eines Konzerns richten. So gilt für Daimler mit den schwersten Autos ein Grenzwert von 102 g / km, während Fiat-Chrysler (FCA) mit den leichtesten Pkw auf höchstens 90 g / km kommen darf.

Bemessungsgrundlage bleiben die Daten aus dem veralteten Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), obwohl ab 1. September für alle neu zugelassenen Autos in der Europäischen Union die strengere Worldwide harmonized Light vehicle Testing Procudere (WLTP) gültig ist. Es muss ergo zweifach gemessen werden.

Milliardenhohe Strafzahlungen möglich

Für jedes Gramm Überschreitung pro Auto müssen 95 Euro nach Brüssel überwiesen werden. Ein Rechenbeispiel: Der große Hersteller XY hat einen gewichtsbezogenen individuellen Grenzwert von 97 g CO2/km. Stoßen die 2021 in der EU zugelassenen Pkw dieser Marke durchschnittlich 104 g CO2/km aus, wird die Abweichung – hier also sieben Gramm – mit der Zahl der Autos multipliziert. Bei imaginären 2,1 Millionen Exemplaren werden also knapp 1,4 Milliarden Euro fällig. Eine Summe, die den Gewinn schrumpfen und den Ruf schädigen würde.

Und eigentlich war alles auf dem richtigen Weg: Betrugen die EU-Flottenemissionen vor zehn Jahren noch 154 g CO2 / km (Deutschland: 166 g), waren es 2012 noch 133 g (D: 142 g) und 2015 nur noch 120 g (D: 129 g). Seitdem herrscht bei den Werten ungefähr Stagnation. Ein jährliches Minus von gut fünf Gramm wäre aber notwendig.

Die Zahlen aus Deutschland, dem größten Einzelmarkt in der EU, tendieren im Vergleich der Staaten eher nach oben. Dennoch sind die Entwicklungen repräsentativ – egal ob es der Boom der SUVs oder die erkaltende Liebe zum Diesel ist, alle Phänomene können so oder noch ausgeprägter in Frankreich oder Schweden beobachtet werden.

Zulassungszahlen: Verschiebung zu Gunsten des Benzinmotors

Schauen wir auf die neusten Zulassungszahlen des Kraftfahrtbundesamts (KBA) aus dem Februar:

Der Marktanteil von Pkw mit Dieselmotor ist auf 32,5 Prozent zurückgegangen. Vor einem Jahr waren es noch 43,4 und 2016 sogar 47,2 Prozent. Der Skandal um manipulierte Abgaswerte dürfte zwar ein psychologisch verstärkendes Element dieser Entwicklung sein. Aber auch ohne Dieselgate war die Verschiebung des Selbstzünders in höhere Fahrzeugsegmente lange absehbar: Die für die Abgasnorm Euro 6d-TEMP notwendige Reinigungstechnik ist zu teuer. So liegt zum Beispiel der Platinbedarf auf dem Niveau eines Elektroautos mit Brennstoffzelle. Im Vergleich ist die Investition in den ab 1. September (Euro 6c für alle Neuzulassungen) für alle Benzindirekteinspritzer notwendigen Partikelfilter mit 15 bis 50 Euro äußerst günstig.

Dass es selbst beim Volkswagen Golf, dem ungeschlagenen Topseller in der EU, für den TDI eng wird, ist seit dem letzten Facelift an den CO2-Emissionen ablesbar: Der 1.6 TDI mit Handschaltung und 85 kW (115 PS) Leistung kommt auf 106 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Der 1.0 TSI mit 81 kW (110 PS) stößt 108 g CO2 / km aus. Der Mehrpreis von 2.900 Euro aber amortisiert sich dem Steuervorteil von 18,41 Cent pro Liter bei gleichzeitig höherer Energiedichte zum Trotz für immer weniger Käufer: 22,6 Prozent wählten den TDI.

Die im Februar zugelassenen Pkw mit Dieselmotor emittieren durchschnittlich 130,2 g CO2 / km; die mit Benzinmotor kommen auf 130,6 g CO2 / km. Es wäre allerdings eine Fehlinterpretation, das als Beweis für einen nicht vorhandenen CO2-Vorteil des Selbstzünders zu deuten. Je größer und schwerer das Auto, desto sichtbarer wird die Differenz. Würden Mercedes S-Klasse und BMW X5 ausschließlich mit Benzinmotoren fahren, wären die Kohlendioxidemissionen höher.

Das Auto bleibt ein Erfolgskonzept

Übrigens: Der Automarkt ist keineswegs in der Krise. Das Gegenteil ist der Fall. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt das Plus 9,3 Prozent, und der Gesamtbestand ist auf 46,4 Millionen (2008: 41,2 Mio.) gewachsen. Wer hier die Abkehr vom Konzept Auto erkennen will, leugnet die Fakten.

Ein Trigger der guten Verkaufszahlen sind die so genannten Umweltprämien, bei denen die Hersteller Dieselfahrzeuge verschrotten, um neue Autos auf die Straße zu bringen. Wahrscheinlich gelingt es, dadurch sinkende Stickoxidmesswerte zu erreichen und die Diskussion so lange zu verschleppen, bis alle Überlegungen zu Fahrverboten und Hardwarenachrüstungen vergessen sind.

Das ändert aber nichts daran, dass gut 130 Gramm CO2 pro Kilometer weit von der 95 Gramm-Vorgabe entfernt sind. Ohne einen Joker geht es nicht – und der ist die Elektrifizierung. Rechnet man die BEVs und PHEVs mit ein, liegt der CO2-Wert nämlich mit 127,7 g / km exakt auf dem Vorjahresniveau, obwohl die reinen Verbrennungsmotorautos einen Anstieg vorweisen.

Supercredits und Zauberformel

Weil für die Messung der CO2-Emissionen die Prüfstandsabgase gelten, fließt jedes BEV mit Null in die Bilanz ein und wird außerdem mehrfach angerechnet: Dieser Supercredit beträgt 2020 Faktor 2, 2021 1,67 und 2022 1,33 – erst 2023 zählt ein BEV einfach Null. Und PHEVs haben im Vergleich zu Dieselantrieben ebenfalls einen deutlichen CO2-Vorteil. Der Grund dafür ist ein Verfahren, bei dem der rein elektrische Fahranteil mit Null in die Bilanz eingeht und gewichtet wird („Zauberformel“). Ein typisches Beispiel ist der Porsche Panamera E-Hybrid, der eine Systemleistung von 340 kW (462 PS) hat und auf nur 56 g CO2 / km kommt. Es ist darum wenig verwunderlich, dass der Sportwagenbauer es „dieses Jahr mal ohne Diesel probieren“ will, so Vorstandsvorsitzender Oliver Blume.

Die Autoindustrie handelt logisch, wenn sie im Hochpreissegment auf PHEVs setzt: Der Dieselmotor wird faktisch nur für den EU-Markt konstruiert und hat für die USA oder die Wachstumsregion Asien keine Bedeutung. Ein PHEV dagegen ist viel leistungsstärker, was höheren Gewinn verspricht, und zugleich sind die CO2-Emissionen niedrig.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) argumentiert in einem internen Papier noch klarer: Der Fahrzeughochlauf für xEV, also BEV, PHEV und FCEV, werde entsprechend der EU CO2-Regulierung extrapoliert. Wie auch immer die Kohlendioxidwaage also in Richtung Strafzahlung ausschlägt – das Gegengewicht heißt Elektroauto.

Starkes Plus auf niedrigem Niveau

Die Käufer jedenfalls sind neugierig und greifen zu. Das KBA meldet ein Plus von 85,1 Prozent für BEVs (Januar und Februar 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum) auf 5.310 Pkw. Bei PHEVs beträgt der Zuwachs 82,4 Prozent auf 5.429 Exemplare. Das entspricht zusammen nur zwei Prozent. Aber einzelne Marken wie BMW zeigen den Trend an: Die Bayern haben 2017 in der EU eine Quote von 5,7 Prozent erreicht. Tendenz steigend.

Spötter monieren darum, sämtliche Elektroautos wären Compliance Cars, die nur den Zweck hätten, die CO2-Emissionen zu erfüllen, sonst aber unwillig produziert würden. Diese Einschätzung mag plausibel klingen, hat mit der Wirklichkeit der Entwicklungsingenieure jedoch nichts zu tun. Dort herrscht anders als bei den Kollegen Maschinenbauern Euphorie.

Eine breitere Gruppe von Kunden wird sich spätestens 2020 die BEVs genauer ansehen. Dann ist zum Beispiel ein Nissan Leaf mit mehr als 60 kWh Batteriekapazität normal. Oder ein Volkswagen I.D., der bei der Speichergröße bestimmt nicht zurückfällt. Die daraus resultierenden Reichweiten werden BEVs für viele Nutzer erstwagentauglich machen.

Fazit: Mit dem CO2-Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer für das Jahr 2021 hat die Europäische Union – gewollt oder nicht – eine Quote fürs Elektroauto eingeführt. Dass die Ursache dafür einerseits beim Kunden liegt, der CO2-intensive SUVs kauft, und andererseits bei der Fehlinvestition der Industrie in den Dieselmotor, ändert nichts am Ergebnis. Und falls es am Ende doch knapp werden sollte, wird nachverhandelt. Vielleicht wird der Supercredit für BEVs neu definiert, oder das Phasing-In (Euphemismus für Aufschub) wird verlängert. Nur eins ist kaum anzunehmen: Dass die Autoindustrie tatsächlich zur Kasse gebeten wird. Dafür sind die Interessen Hundertaussender Arbeitnehmer in fast allen EU-Staaten zu groß.

Erschienen am 26. März bei heise Autos.

Bildquelle: Porsche

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