Näher dran

28 Prozent mehr: Mit dem Messverfahren WLTP steigen die CO2-Emissionen des Volkswagen Golf 1.0 TSI mit DSG von 109 auf 139 Gramm pro Kilometer an. Die Folge: Für seit dem 1. September neu zugelassene Pkw erhöht sich die Kfz-Steuer entsprechend. Im konkreten Beispiel von 48 auf 108 Euro pro Jahr. Die Steuerausfälle durch unrealistisch niedrige CO2-Werte werden also geringer. Überhaupt lässt sich sagen: WLTP, die Abkürzung für Worldwide harmonized Light vehicle Test Procedure, ist näher an der Wirklichkeit.

WLTP hat den 1992 eingeführten NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) abgelöst. Wie bisher werden die Abgase auf einem Rollenprüfstand im Labor unter reproduzierbaren Bedingungen gemessen. Allerdings ist die Fahrkurve, also die Vorgabe für Beschleunigung und Verzögerung, dynamischer. In Zahlen: Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 131 statt zuvor 120 km/h. Die maximale Antriebsleistung wächst von 34 auf 42 Kilowatt (kW). Die mittlere Geschwindigkeit liegt bei 46,6 statt zuvor 34 km/h. Und der Anteil des Stillstands als Simulation von Ampelstopps reduziert sich von 25 auf 13 Prozent.

Der Fahrer im Auto auf dem Rollenprüfstand muss also mehr Gas geben; die Emissionen steigen. Bei der Verbrennung von einem Liter Benzin werden 2,33 Kilogramm (kg) CO2 frei; bei einem Liter Diesel sind es 2,65 kg: Aus dem gemessenen Kohlendioxid-Wert wird der Verbrauch rückwärts errechnet. Die Werksangabe des Verbrauchs für den eingangs genannten Golf ändert sich so von 4,8 Liter Superbenzin auf 100 km im NEFZ auf 6,1 Liter nach WLTP.

Neben den CO2-Emissionen hat der Gesetzgeber die Stickoxide (NOx) und die Partikel nach Zahl (PN) und Masse (PM) als besonders relevant identifiziert. Das dynamischere Messverfahren bedeutet zugleich, dass absolute Grenzwerte, wie sie nach der jeweiligen Euro-Norm gelten, schwieriger einzuhalten sind. Dazu später mehr – zuerst noch ein wichtiges Detail von WLTP.

Es ist viel geredet worden über abgeklebte Karosseriefugen oder prall aufgefüllte Reifen im NEFZ. Ein weites Einfallstor für legale Manipulationen war auch die Einteilung in so genannte Schwungmassenklassen. Der Widerstand auf der Prüfrolle wurde in Stufen eingeteilt. Das hat es für die Hersteller attraktiv gemacht, abgespeckte Basisversionen – etwa mit verkleinertem Kraftstofftank – zu verkaufen, um das Leergewicht des Testwagens in eine niedrigere Schwungmassenklasse zu drücken. Das ist vorbei.

Bei WLTP fahren je zwei Autos einer Motor-Getriebe-Variante auf dem Prüfstand: Zum einen die minimale Basisversion und zum anderen die ungünstigste Maximalausstattung mit den breitesten Reifen und dem schlechtesten Aerodynamikpaket. Hieraus ergibt sich eine große Spannbreite beim CO2- und Verbrauchswert für jede Motor-Getriebe-Variante eines Autotyps.

Verzögerung bei der Kennzeichnungsverordnung

Eigentlich sollen ab 1. Januar 2019 alle kundenrelevanten Angaben von NEFZ auf WLTP umgestellt sein. Die Car Konfiguratoren etwa werden dann bei jedem Klick in der Ausstattungsliste anzeigen, wie sich die CO2-Emissionen verändern. Leider hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) die Kennzeichnungsverordnung nicht rechtzeitig angepasst. Das BMWi teilt auf Anfrage von heise Autos mit, dass es mit einem „Inkrafttreten der novellierten Verordnung für das erste Halbjahr 2019“ rechnet. Wenn Volkswagen also im Konfigurator neben dem verpflichtenden NEFZ- auch den WLTP-Wert angibt, geschieht das freiwillig, obwohl der WLTP-Wert die Bemessungsgrundlage für die Kfz-Steuer ist.

Das Verfahren WLTP ist eng verknüpft mit den Abgasnormen. Seit 1. September gilt für alle neu zugelassenen Pkw (M1) die Euro 6c-Norm und ein Jahr später die Euro 6d-TEMP. Viele Hersteller zertifizieren ihre Modelle gleich nach Euro 6d-TEMP, weil die Laborgrenzwerte identisch sind. Eine Verschärfung ergibt sich daraus, dass für Euro 6d-TEMP neben dem Prüfstand auch auf der Straße gemessen wird (Real Driving Emissions, abgekürzt RDE). Hierbei dürfen die Grenzwerte um den Faktor 2,1 („Conformity Factor“) überschritten werden. Fußnote: Für Nutzfahrzeuge (N1) setzen alle Normen jeweils ein Jahr später ein.

Das wirkt verwirrend. Für Kaufinteressenten ist es am einfachsten, sich auf den Kern zu konzentrieren: Also auf die CO2-Werte nach WLTP sowie die Erfüllung der Abgasnorm Euro 6d-TEMP. Mit der inzwischen beinahe üblichen Euro 6d TEMP-Norm gehen bestimmte Abgasreinigungssysteme einher: Ottomotoren mit Direkteinspritzung haben meistens einen Partikelfilter. Dieselmotoren haben oft eine Kombination aus SCR- und Speicherkatalysator.

Durch die unselige Diskussion über Fahrverbote ist ein Aspekt leider aus dem Fokus geraten: Die Effizienz. In der öffentlichen und veröffentlichten Meinung geht es um gesetzliche Emissionsgrenzwerte. Dass diese eingehalten werden müssen und jetzt auch werden, hätte immer selbstverständlich sein sollen. Vergessen wird darüber, dass effiziente Fahrzeuge nicht im Trend liegen. SUVs boomen – für einen sparsamen Hyundai Ioniq electric oder einen Toyota Prius dagegen begeistern sich nur Wenige.

Erschienen am 13. November bei heise Autos.

Bildquelle: Volkswagen

Ein Gedanke zu „Näher dran

  1. leider ist die Fahrkurve bei allen Fahrzeugen gleich.
    im realen Leben wird aber jeder Fahrer, mehr oder weniger, die Fahrkurve an das Fahrzeug anpassen (ich will Spass..ich geb Gas). Dies solte in der Fahrkurve abgebildet werden. Ein Teil davon sollte als fahrzeugsepz. max. Beschleunigung, max Geschwindigkeit in das Verfahren eingebracht werden, Reproduzierbar je Fahrzeug, vergleichbar bei verchiedenen Fahrzeugen, entspricht noch mehr der Wirklichkeit!

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