Teslas Chauffeur

Bing! Wenn der freundliche Signalton aus den Lautsprechern des Tesla Model S klingt, ist der Autopilot eingeschaltet. Und das heißt: Jetzt beginnt die Zukunft. Der Wagen hält nun automatisch den Abstand zum Vordermann, gleichzeitig lenkt er sicher zwischen den Fahrspuren der Autobahn. Das wirkt keineswegs wie von Geisterhand, sondern erstaunlich natürlich. Das Gefühl, von einer Maschine fremdgesteuert zu werden, bleibt aus. Stattdessen steigt der Komfort. Mit der Autopilotfunktion hat Tesla einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz. Keinen großen, aber einen spürbaren. Und das US-Unternehmen geht damit auch ein Risiko ein, das die Wettbewerber noch scheuen.

Vorweg: Der Begriff Autopilot ist irreführend. Er suggeriert, dass hier bereits das autonome Fahren im Sinn eines Roboterautos funktioniert. Die Bezeichnung gehört zur bei Tesla üblichen und perfekten Selbstinszenierung. Tatsächlich handelt es sich um ein so genanntes teilautomatisiertes System. Das heißt: Es übernimmt die Quer- und Längsführung des Autos, also im Wesentlichen das Lenken und Bremsen. Dabei muss der Fahrer das System durchgehend überwachen. Macht das Auto einen Fehler, ist der Mensch in der Pflicht.

Doch worin liegt nun Teslas Vorsprung? Zunächst einmal unterscheidet sich die Hardware für den Autopiloten nicht oder nur marginal von dem, was selbst für einen VW Polo erhältlich ist: Ein Radar überwacht den Abstand, eine Frontkamera erkennt Fahrspuren und andere Verkehrsteilnehmer, und je sechs Ultraschallsensoren vorne und hinten helfen beim Einparken und messen während der Fahrt Distanzen im Zentimeterbereich. Das war es.

Diese Technik ist in allen aktuellen Tesla Model S serienmäßig eingebaut. Wer sie nutzen will, muss allerdings einen Aufpreis zahlen. Er liegt beim Kauf des Wagens bei 2.800 Euro. Wenn ein Käufer erst nach der Auslieferung erkennt, dass er sich für die Fahrautomatisierung erwärmen kann, steigt der Kurs auf 3.300 Euro. Das erscheint angesichts der niedrigen Kosten der Bauteile frech. Doch wenn Volkswagen in einem Golf 3.025 Euro für das Fahrassistenzpaket verlangt, zeigt das, wie einig sich die weltweiten Autohersteller bei der Preisgestaltung sind.

Zudem liegt der Wert des Tesla-Systems nicht in der Hard-, sondern in der Software. Die ist ohnehin per Definition eine Stärke des US-Unternehmens: Etliche Mitarbeiter rekrutieren sich aus dem Silicon Valley. Die Software wird regelmäßig aktualisiert. Es ist unverständlich, dass andere Hersteller das nicht oder selten tun.

Hände am Lenkrad? Kein Muss bei Tesla

Bei nüchterner Betrachtung grenzt sich Teslas Autopilot in zwei Punkten vom Wettbewerb ab. Die aber bewirken einen deutlichen qualitativen Unterschied zur Konkurrenz.

Der erste Punkt hat mit dem Festhalten des Lenkrads zu tun. Einem Mercedes-Benz der C-Klasse könnte man wohl genauso bei der Arbeit zusehen wie einem Tesla Model S – wenn die sogenannte Hands Off Detection des Mercedes nicht nach rund zehn Sekunden dazu mahnen würde, wieder das Steuer zu ergreifen. Bei Tesla lässt man es laufen. Das klappt auf der Autobahn dermaßen überzeugend, dass man sich unwillkürlich fragt, warum es nicht bei allen so geht.

Dankenswerterweise wurde das Wetter während des Tests immer schlechter. Erst fing es ein wenig an zu regnen, dann immer stärker. Irgendwann war es für das menschliche Auge schwer, den Unterschied zwischen betongrauem Asphalt und Fahrbahnmarkierung zu erkennen. Die Kamera des Autopiloten von Tesla indes arbeitet exzellent, sie orientiert sich an den weißen Streifen und anderen Verkehrsteilnehmern. Und der Fahrer kann im Zentraldisplay zusehen, wie es Autos und Lkws identifiziert. Schön.

Später auf der A7, bei extrem eingeschränkter Sicht, war der Autopilot doch überfordert. Ein Warnton macht darauf aufmerksam, wenn die Software an Grenzen gerät: Piep, piep, bitte übernehmen Sie das Lenkrad. Wer auf die sich verstärkenden akustischen Mahnungen nicht reagiert, wird automatisch entschleunigt: Das Model S wird langsamer, und die Warnblinkanlage schaltet sich ein.

Der Mensch muss das System kontrollieren

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Autopilot auf der Autobahn unter den meisten Bedingungen sehr gut und geradezu faszinierend funktioniert. Und wenn er überfordert ist, übergibt er zurück an den Menschen, der hoffentlich aufmerksam ist.

Denn klar ist: Zeitungslesen, Rasieren oder Schminken sind ein Spiel mit dem Feuer, das jeder unterlassen sollte. Tesla geht das kalkulierte Risiko ein: Man gewöhnt sich schnell an das System, und das Vertrauen wächst in kurzer Zeit, obwohl die Rechtslage eindeutig ist – das Auto assistiert lediglich, die Verantwortung trägt der Fahrer. Daran lässt das Unternehmen übrigens keinen Zweifel: Tesla spricht von „Komfortmerkmalen“, weil es weiß, dass man eben noch kein System hat, bei dem sich der Besitzer vorübergehend komplett abmelden kann. Das geschieht erst mit den nächsten Entwicklungsstufen, dem hoch- und vollautomatisierten Fahren. Bis dahin gilt eigentlich, was die kalifornische Musikgruppe The Doors in ihrem Roadhouse Blues besingt: Keep your eyes on the road, your hands upon the wheel.

Tesla empfiehlt den Einsatz des teilautomatisierten Fahrens noch nicht für die Stadt. Ausprobieren kann man es trotzdem. Und es ist verblüffend, wie reibungsarm auch das schon funktioniert. Das Model S ist ein sehr langes (4,98 Meter) und breites (1,96 Meter) Auto, das den Fahrer in einer Metropole wie Hamburg zur dauernden Aufmerksamkeit zwingt. Im Autopilot-Modus zirkelt das Elektroauto – wenn man es lässt – dennoch präzise durch den Verkehr.

Meistens jedenfalls. Verwirrend wird es, wenn viele Fahrspuren sich überkreuzen, zum Beispiel bei der Einfahrt in einen sechsspurigen Kreisel. Dann kann das passieren, was in vielen YouTube-Videos zu sehen ist: Das Auto nimmt den falschen Weg, und der Fahrer muss sofort korrigieren.

Schwarmintelligenz verbessert den Autopiloten permanent

Hier aber beginnt die zweite Stärke und qualitative Abgrenzung des Model S. Denn Teslas Autopilot lernt. Alle Model S sind online und geben ihre Positionen anonymisiert in eine Datencloud. Wenn nun alle Tesla-Fahrer vor der immer gleichen Kurve von 100 auf 70 km/h bremsen, wird der Autopilot das verinnerlichen. Diese Schwarmintelligenz mit gleichzeitiger Aktualisierung der Karten wird ein wesentlicher Bestandteil jedes kommenden Automatisierungsgrads sein – bei Tesla ist das schon heute Realität.

Daraus zu schließen, dass die Konkurrenz abgehängt wäre, ist allerdings falsch. Wenn von 2018 an der automatische Notruf eCall gesetzlich verpflichtend in jedes neue Auto eingebaut werden soll, erfordert das die Ausrüstung mit einem GPS-Sensor und einem GSM-Modul. Alle neuen Pkw bis zum kleinsten Importkleinwagen hätten so mit der anfangs beschriebenen Hardware die technischen Voraussetzungen für das, was der luxuriöse und teure Tesla schon heute kann.

Immerhin, an einer Stelle hat eine deutsche Software einen Vorteil: Der Autopilot von Tesla überholt auf der Autobahn auch rechts. Vielleicht ist das System zu sehr auf US-Highways getrimmt, wo das üblich und außerdem erlaubt ist. Ein zuletzt von uns gefahrener VW Passat GTE ging dagegen automatisch vom Gas und unterließ das Rechtsüberholen. Tesla, ein Update für die Germans, bitte!

Erschienen am 25. Mai bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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