Die elektrische Formel 1

Die Neuzeit des Motorsports verursacht keine Hör- oder Atemwegsschäden. Denn das hysterische Kreischen eines hochdrehenden Verbrennungsmotors ist bei der Formel E tabu. Geräusche machen die elektrischen Rennwagen trotzdem: Als sie die Berliner Karl-Marx-Allee hart hinauf beschleunigen, ertönt eine Mischung aus quietschenden Reifen, jaulendem Getriebe und einem bisher unbekannten Siiiiaum. Ohrstöpsel brauchen die Menschen auf den Tribünen nicht. Und die Anwohner auf den vollbesetzten Balkonen können tief Luft holen. Die mindestens sechsspurige Straße ist für den öffentlichen Verkehr gesperrt – damit der ePrix von Deutschland ausgetragen werden kann. Ergibt das irgendeinen Sinn?

Ja, sagt Alex Tai, Teamchef von DS Virgin Racing in einer Lounge am Streckenrand. Er ist eigentlich das, was die Briten einen Petrolhead nennen, einen Benzinkopf, also einen, der vernarrt in Kolben und Zündkerzen ist. Jetzt erklärt Tai den Journalisten, was das Geile an der Formel E ist: Anders als in der überreglementierten und extrem teuren Formel 1 sind echte Fortschritte sichtbar. Die Rennserie ist erst in der zweiten Saison, und sie macht offensichtlich Spaß. Tai ist überzeugt, dass wir über Verbrennungsmotoren irgendwann so denken werden wie über das Rauchen in Restaurants – wir werden uns fragen, warum wir das so lange ausgehalten haben.

Zur Sache: Alle zehn Teams benutzen das gleiche Chassis. Optisch lassen sich die Autos mit den freistehenden Rädern nur durch Lackierung und Sponsorenaufkleber unterscheiden. Auch die Batterien sind gleich und haben eine abrufbare Kapazität von 28 Kilowattstunden. Außerdem verfügen sie über ein per Software über eine Funkverbindung steuerbares Managementsystem, was im Rennen eine einheitliche Leistung von 170 Kilowatt (231 PS) und während des Qualifyings 200 Kilowatt (272 PS) freigibt.

In der Hand der Entwickler ist dagegen alles, was nach der Batterie kommt. So arbeitet DS Virgin Racing mit jeweils einem Elektromotor pro Hinterrad, was eine perfekte elektronische Verteilung der Kräfte erlauben würde, wenn das Reglement der FIA (Fédération Internationale de l’Automobile) dem Team nicht noch ein schwere mechanisches Differential aufgebrummt hätte. Manche Konkurrenten haben nur eine E-Maschine, andere experimentieren mit zwei oder mehr Gängen, und wie jedes ganz normale Elektroauto gewinnen die Flitzer der Formel E beim Bremsen einen Teil der Energie zurück.

Effizienz ist wichtiger als Höchstleistung

Am Ende geht es um Effizienz, um den gekonnten Einsatz der raren Energie in den Batteriezellen. Es mag manchem als Witz oder Inszenierung erscheinen, aber nein, nach der Hälfte der 48 Runden von je 1927 Metern Länge steuern die Fahrer die Box an. Sie springen in ein zweites Auto mit vollgeladener Batterie, um den Rest bewältigen zu können. Zehn Teams mit je zwei Fahrern haben also zusammen 40 Autos. Ab 2019 sollen die Speicher genug Energie haben, um dieses Schauspiel zu überwinden.

Warum das ganze Bohei um jede Kilowattstunde? Unter anderem für die Verbesserung der Serienautos, argumentiert Alex Tai von DS Virgin Racing. Und tatsächlich zeigt DS – neben Citroen und Peugeot die dritte Marke des französischen PSA-Konzerns – am Rande der Veranstaltung mit der Studie DS E-Tense einen begeisternden Ausblick in die nahe Zukunft des Antriebsstrangs. Der Prototyp wurde bereits auf dem Genfer Autosalon präsentiert. Der Wagen ist Ästhetik pur, ein sportliches Coupe, und der DS E-Tense ist nicht nur gemacht, um angeguckt zu werden. Er fährt, und wie.

294 Kilowatt (400 PS) leisten die zwei Motoren des DS E-Tense, die ihre Kraft über drei Gänge auf die Hinterräder übertragen. So sieht es aus, das Rezept, um jene Kunde ins Autohaus zu locken, denen ein Kombi mit Dieselmotor einfach zuwider ist. Zu kaufen gibt es den luxuriösen DS E-Tense in dieser Form wohl niemals, aber er zeigt eine Perspektive auf für ein Produkt von DS, das Strom und Design verbindet.

So nutzen die Hersteller den ePrix der Formel E in Berlin also auch als Werbeveranstaltung in eigener Sache. Volkswagen etwa hat kein eigenes Team; die Bindung an den Rennstall Abt Schaeffler Audi Sport ist allerdings offensichtlich. Wichtig ist letztlich nur, dass die Wolfsburger für das Jahresende eine von 24,2 auf 35,8 Kilowattstunden um fast die Hälfte gewachsene Batterie für den e-Golf ankündigen. Gut gemacht, geht doch, möchte man sagen, und sicher ist die Prämie von 4.000 Euro bis dahin noch nicht vergriffen.

Überhöhte Eintrittspreise durch die FIA

Eine Volksfeststimmung wie beim 24-Stundenrennen in Le Mans kommt dennoch nicht auf. Die FIA, deren Präsident Jean Todt freundlich lächelnd und zurückhaltend durch die Boxengasse spaziert, verlangt einfach zu viel Geld für ein Ticket, um eine Breitenwirkung zu erzielen. Ein Gast sagt, er habe 75 Euro für einen Tribünenplatz bezahlt. Günstiger ist möglich, aber ein Kinobesuch ist das hier eben nicht, und damit niemand etwas sieht, für das er nicht seine Euros an die FIA abgegeben hat, versperren Zäune die Sicht. Der zweitbeste Platz ist also der vorm Fernseher, und der Beste ist auf einem der privaten Balkone, auf denen die Party stattfindet, die eigentlich neben der Strecke sein sollte. Dort wiederum, auf der Flaniermeile mit  den üblichen Fressbuden, ist es erstaunlich leer.

Die Formel E ist trotzdem reizvoll und spannend, denn sie ist eine Veranstaltung in der Entwicklung. Die Technik schreitet schnell voran, und das Reglement wird freier werden. Vielleicht dürfen irgendwann unterschiedliche Batteriesysteme in Konkurrenz gehen. Sie sind ein Kernelement des Fahrens mit Strom, und vorm Start werden sie mit Trockeneis gekühlt. Ein Tesla Model S, das weiß hier jeder, würde ein Beschleunigungsduell gegen einen Formel E-Rennwagen gewinnen. Aber nur in den ersten zwei Runden, danach, diese Spitze verkneift sich ein Verantwortlicher nicht, müsse die Leistung beim kalifornischen Serienauto wegen Überhitzung reduziert werden. Im elektrischen Motorsport dagegen sei die volle Kraft uneingeschränkt bis zum Schluss vorhanden.

Schluss, das ist das Ziel, und das hat Sébastien Buemi in einem Renault e.Dams als Sieger durchfahren. Ob Berlin auch 2017 wieder Austragungsort der Formel E sein wird? Wahrscheinlich, denn solche kurzen und relativ leicht organisierbaren Veranstaltungen gehören heute zum Stadtmarketing, zur Stärkung eines Standorts im touristischen Wettbewerb. Sollte die Hauptstadt kein Interesse mehr an diesem harmlosen und zugleich innovativen Rennzirkus haben – Hamburg, München oder Köln wären sicher bereit, ihre Straßen für das abgasfreie Surren zu sperren.

Erschienen am 22. Mai bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: FIA

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