Der Jetzt-Volks-Tesla

„$30k“ steht auf der amerikanischen Webseite des Chevrolet Bolt als Basispreis. Ich rechne für den Opel Ampera-e in Deutschland mit 39.900 Euro exklusive und 35.900 Euro inklusive staatlicher E-Prämie. Denn der US-Tarif beinhaltet 7.500 US-Dollar Steuergutschrift und keinen Cent Mehrwertsteuer. Sollte der Opel „ab Frühling“, wie es offiziell heißt, tatsächlich für den von mir geschätzten Euro-Kurs im Handel sein, wäre er der Preis-Leistungs-Sieger. Denn im Vergleich zum inzwischen reichhaltigen Wettbewerb in der elektrischen Kompaktklasse hat der Ampera-e mit 60 Kilowattstunden etwa die doppelte Batteriekapazität = Alltagstauglichkeit.

Die Spekulation über die Kaufsumme ist notwendig, weil Opel keine Zahl verrät, um noch eine Überraschung für den Pariser Autosalon parat zu haben. Dort wird der Ampera-e am 29. September offiziell vorgestellt wird. Das ist die übliche Marketing-Salamitaktik, um Journalisten und Leser bei der Aufmerksamkeitsstange zu halten.

Schaue ich genauer auf den Opel Ampera-e, frage ich mich, ob er ein Rüsselsheimer, ein Detroiter Motown-Boy oder ein Südkoreaner aus Incheon ist. Denn das Design ist eindeutig Opel. Zusammengebaut wird er in der Traditionsstadt im US-Bundesstaat Michigan. Die Batterie und der Antriebsstrang aber kommen komplett von LG Chem. 60 Kilowattstunden (kWh) passen in den Speicher. Viel elektrische Energie für den 150 kW (204 PS) starken Motor, dessen Leistung wiederum für rund sieben Sekunden von null auf 100 km/h und eine (abgeriegelte) Spitzengeschwindigkeit von 150 km/h ausreicht.

Der Ampera-e deklassiert die Konkurrenz

Um nochmal die Dimension des Fortschritts zu verdeutlichen: 60 kWh sind so viel wie in der Basisvariante des Tesla Model S (nackt ab 77.040 Euro). Es ist die Größenordnung, die in den letzten drei Jahren in jedem Hintergrundgespräch als Zielmarke für die Kompaktklasse genannt wurde. Nach dem Motto: Damit lässt es sich leben. Und 60 kWh sind wahrscheinlich sogar ein Hauch mehr als der Reservierungs-Weltmeister Tesla Model 3 bieten wird. Nur eben schon im kommenden Frühling. Also quasi jetzt.

Damit deklassiert der Opel Ampera-e die Konkurrenz. Oder sind das bald lediglich Marktbegleiter? Zum Vergleich: Nissan Leaf bis zu 30 kWh. Volkswagen e-Golf ab Jahresende 35,8 kWh. Hyundai Ioniq electric 28 kWh. BMW i3 bis zu 33 kWh.

Das Resultat einer großen Batterie ist eine große Reichweite. Weil Opel mauert und lediglich von „über 400 Kilometern“ im NEFZ redet, bediene ich mich wieder beim Chevy Bolt: Der wird mit 238 Meilen angegeben. Also etwa 383 Kilometer. Erzielt im US-amerikanischen EPA-Zyklus, der näher an der Realität ist als der NEFZ mit seinen bekannten Manipulationseinfallstoren.

Selbst auf der Autobahn, wo die Aerodynamik ihren Tribut fordert, rechne ich mit deutlich über 200 Kilometern Reichweite bei Richtgeschwindigkeit. Bis zum nächsten Supercharger? Nein, denn – auch hier gibt es noch keine offiziellen Inhalte – der Ampera-e wird mutmaßlich DC-ladefähig nach dem CCS-Standard bei 50 kW Ladeleistung sein. In einer Stunde ist er demnach zu circa 80 Prozent geladen, und kostenfrei wird der Strom ebenfalls nicht sein (aber das ist er bei Tesla genauso wenig). AC-seitig gehe ich von rund 7,4 kW aus, weil auf der Chevy-Seite von neun Stunden „bei 240 Volt“ die Rede ist.

Opel spricht von 381 Liter Kofferraumvolumen und 4,17 Meter Länge. Aus dem Datenblatt bei Chevrolet  lassen sich darüber hinaus 1,77 Meter Breite und 1,59 Meter Höhe sowie ein Gewicht von 1.625 Kilogramm (kg) entnehmen. Knappes Golf-Format. Passt, wenn man es ernst meint mit der Masse der Neugierigen.

Noch ein Blick auf die Details der Batterie von LG Chem: Im US-Markt wird der Chevy Bolt mit acht Jahren Garantie oder 100.000 Meilen angeboten. Beachtenswert ist außerdem das Volumen des Akkus von 285 Litern bei einem Gewicht von 485 kg.

Auf dem Weg zur Hochautomatisierung

In einem Video lässt sich auch der Innenraum gut betrachten, der sich im Opel wohl nur durch das andere Markenlogo absetzen wird. Und: Der Fahrer im Film behauptet, dass es zum Serienstart zwar etliche Kamera-basierte Assistenzsysteme (Parkhilfe, digitaler Rückspiegel innen), aber noch keinen adaptiven Tempomaten geben werde. Er verweist stattdessen auf etliche Prototypen, die bereits mit erweiterter Hardware auf dem Dach herumfahren und den Wagen in relativ kurzer Zeit auf ein neues Level der Fahrautomatisierung heben werden.

Ein angenehmes Feature, dass ich zuletzt im Hyundai Ioniq electric ausprobieren konnte, wird die über Wippen verstellbare Rekuperation werden: Je nach Fahrprofil kann die Bremsenergierückgewinnung besonders gering (Autobahn, Überlandfahrt) oder besonders hoch (Stadt) gewählt werden. Im urbanen Einpedalbetrieb, so Opel, lassen sich so bis zu fünf Prozent Strom sparen.

Top oder Flop? Top, wenn der Preis stimmt. Flop, wenn Opel die Schraube wie zu Beginn beim Ampera überdreht. Das ist eine unternehmenspolitische Entscheidung.

Opel hat fraglos eine große Chance mit dem Ampera-e. Die Marke könnte in Deutschland viele Imagepunkte zurückgewinnen. Seit KT Neumann steuert, ist der Blitz wieder auf dem richtigen Kurs. In Kürze könnte es also heißen: Vollstrom voraus, während die Konkurrenz ein, zwei oder drei Jahre hinterherhinkt.

Erschienen am 13. September bei ELECTRIVE.net. Ein weiterer Beitrag zum Ampera-e lief bei heise Autos am gleichen Tag.

Bildquelle: Opel

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