Trans-Europa-Express

Eine Absichtserklärung. Mehr ist die Mitteilung der Autokonzerne BMW Group, Daimler AG, Ford Motor Company und Volkswagen AG zum Aufbau einer europaweiten Ladeinfrastruktur für Elektroautos vorerst nicht. Ab 2017 und bis 2020 sollen extrem leistungsstarke 350 kW-Säulen an 400 Standorten fertiggestellt sein. Und an jedem dieser Punkte, die sich entlang der wichtigsten Verkehrsachsen befinden sollen, können mehrere Fahrzeuge gleichzeitig Strom beziehen. Trotz des juristischen Vorbehalts, dass man auf die „Fusionsfreigabe in verschiedenen Jurisdiktionen“ – sprich: auf das Kartellamt – warten müsse, ist die Ankündigung eine sehr gute Nachricht. Der Druck auf die Hersteller ist inzwischen so groß, dass sie handeln müssen. Wenn Batterie-elektrische Autos (abgekürzt BEV für Battery Electric Vehicle) unter den Labels Audi e-tron oder Mercedes EQ ab 2018 auf die Straße kommen würden, ohne Fernstrecken bewältigen zu können, bliebe den Interessenten nur eine Alternative: Tesla. Und den Neuling aus Kalifornien nehmen die etablierten Autoproduzenten sehr ernst.

Um zu verstehen, wie bedeutsam das geplante Joint Venture ist, muss man zuerst einen Blick auf die Ist-Situation werfen. Bei Tesla ist die Analyse einfach. Es funktioniert perfekt. In ganz Europa. Und so simpel, wie es nur vorstellbar ist: Ran an den Supercharger, einstöpseln, fertig. Die Kommunikation zwischen Auto und Säule erledigt eine Software automatisch. Ab April 2017 müssen Neukunden damit rechnen, für den Strom auch direkt (statt wie bisher indirekt über den Kaufpreis) zahlen zu müssen. Die Details hierzu sind noch nicht bekannt; es darf aber davon ausgegangen werden, dass Tesla die eingeschlagene Linie der maximalen Convenience fortsetzt.

Die Ladeleistung der Supercharger von Tesla beträgt zwischen 120 und 145 Kilowatt. Laden ist kein linearer Vorgang. Es beginnt schnell und endet langsam. In einer Stunde sind darum nicht 120 oder 145 Kilowattstunden im Akku. Ohnehin wird ein erfahrener BEV-Fahrer niemals abwarten, bis ein Batterieladestand (engl.: State Of Charge, SOC) von 100 Prozent erreicht ist. Auf eine Tour zum Beispiel von Hamburg nach Frankfurt (rund 500 Kilometer) plant ein Tesla-Besitzer wahrscheinlich zwei kurze Stopps ein um ungefähr so viel Strom zu speichern, wie er großzügig berechnet bis zum Ziel braucht.

Bisher keine koordinierte Strategie bei CCS

So weit, so vorbildlich. Das krasse Gegenteil ist die Gleichstrom-Ladeinfrastruktur beim europäischen Combined Charging System. Nirgends gibt es eine verbindliche Übersicht sämtlicher Standorte. Stattdessen organisieren sich die BEV-Besitzer in Portalen wie Going Electric Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner. Viele CCS-Säulen befinden sich auf dem Hof von großstädtischen Händlern, wo sie oft von Vorführwagen zugeparkt sind. Nur wenige sind dort, wo sie hingehören, nämlich an den stark frequentierten Fernstraßen. Wer dabei an das Stichwort SLAM denkt – dazu gleich mehr.

Die meisten aktuellen CCS-Säulen leisten maximal 50 kW; vereinzelt werden nur 20 kW abgegeben. Das war bisher nicht relevant, weil die Batteriekapazitäten der vorhandenen Autos kaum über 30 kWh hinausgingen. Der letzte Punkt des Elends ist das Sammelsurium verschiedener Identifikationssysteme – man braucht RFID-Karten, eine App oder einen Dongle, um den Stromfluss freizuschalten. Ein Krampf, den die Masse der Kunden und speziell die im 100.000 Euro-Segment niemals akzeptieren würde.

350 kW-Säulen sind abwärtskompatibel

Darum jetzt also das Joint Venture aus BMW Group, Daimler AG, Ford Motor Company und der Volkswagen AG mit Audi und Porsche. Kurz gesagt kopiert man das Tesla-Modell und plant zugleich, es zu übertreffen. Bis zu 350 kW Ladeleistung – also über 200 kW mehr als an den Superchargern von Tesla – und entsprechend kurze Zwangspausen sollen möglich sein. Dass es bisher nur ein einziges Fahrzeug gibt, das perspektivisch in diese Region vorstoßen könnte, nämlich den Porsche Mission E (nach 2019), ist dabei kein Problem: Es ist besser, wenn eine vorhandene Infrastruktur nicht sofort maximal ausgenutzt wird als wenn es umgekehrt wäre und tolle BEVs ihr Potenzial nicht ausreizen könnten. Außerdem gilt, dass alle CCS-Säulen abwärtskompatibel sind. Alle CCS-Autos im Bestand können an einer 350 kW-Säule laden.

Ein Grund für die gemeinsame Aktion der Hersteller könnte die Erkenntnis sein, dass es mit dem gewohnten Geschäftsmodell nicht läuft: Bei Autos mit Verbrennungsmotor baut der Kraftstoffverkäufer eine Tankstelle und bietet Benzin, Diesel und Junk Food an. Beim Strom ist das völlig anders. Die über 900 Versorgungsnetzbetreiber in Deutschland haben kein Interesse daran, teure Ladeparks – es darf von einer runden halben Million Euro pro Standort ausgegangen werden – zu eröffnen. Es rechnet sich nicht. Darüber hinaus ist der Strommarkt ein übles Konstrukt aus Staatshilfen und freier Wirtschaft; man erwartet irgendwie immer, dass der Steuerzahler Geld dazu gibt.

Positiv formuliert lässt sich zu der Initiative sagen: Die Autohersteller haben verstanden, dass sie selbst handeln müssen, und das tun sie jetzt mit einem deutlichen Versprechen. Wenn ihre Produkte auf den Markt kommen, sind die CCS-Standorte da.

SLAM in Baden-Württemberg mit EC-Kartenschlitz

Und, auch das muss gesagt werden, es tut sich eine Menge Gutes beim Aufbau der Gleichstrom-Infrastruktur, um die desolate Lage bei CCS zeitnah zu verbessern. So bekommt das Projekt SLAM (Schnell-Ladenetz für Achsen und Metropolen) langsam Gestalt. Beispiel Baden-Württemberg: Hier errichten das Energieunternehmen EnBW sowie Tank & Rast bis zum Jahresende an 34 Autobahn-Standorten Ladesäulen 50 kW-Säulen (je ein Multicharger inklusive Chademo-Anschluss sowie ein reiner CCS-Zugang), die alle für die Aufrüstung auf 150 kW bei CCS vorbereitet sind, also eine Trafostation haben.

Außerdem neu in Baden-Württemberg: Was in Hintergrundgesprächen unter großem Jammern von vielen Beteiligten der Szene als „geht niemals“ oder „zu anfällig“ bezeichnet wurde, wird hier Realität – die Kunden können per EC-Karte oder Kreditkarte bezahlen.

Ungeklärt bleibt die Frage, ob oder besser: mit welchem Aufwand sämtliche Pkw und Nutzfahrzeuge in Europa elektrifiziert werden können. Die Kombination aus langsamen heimischem Laden mit Wechselstrom (AC) und dem schnellen Laden unterwegs mit Gleichstrom (DC) ist der Weg, der im Moment eingeschlagen wird. Angesichts der hohen Kosten eines Ladeparks kommt eine totgesagte Option wieder ins Spiel, nämlich die mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle. Rund eine Million Euro kostet eine Zapfsäule fürs gasförmige H. Wenn sehr große Energiemengen abgegeben werden sollen, bleibt Wasserstoff eine machbare Zusatzlösung. In Japan jedenfalls wird das so gesehen und konsequent mit einem Doppelmodell aus Batterie plus Brennstoffzelle umgesetzt. In Europa dagegen freuen sich die Autokonzerne über die rapide fallenden Batteriepreise – und sie fürchten die Konkurrenz durch Tesla. Zu Recht.

Erschienen am 6. Dezember bei heise Autos.

Bildquelle: Daimler

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