Die halbe Wahrheit

Höchsttemperatur: Minus drei Grad. Es ist Winter in Norddeutschland, und ich friere. Also Tür auf und rein in den Renault Zoe. Ich stelle die Klimaautomatik auf 20 Grad, schalte das künstliche Fahrgeräusch aus, ziehe den Wahlhebel auf D und parke aus. Los geht’s. Respekt, Renault: Die Franzosen haben die Courage, den Batterie-elektrischen Kompaktwagen auch dann als Testwagen zur Verfügung zu stellen, wenn die Bedingungen grimmig sind. Das ist keineswegs selbstverständlich – andere Hersteller versuchen, die Berichterstattung durch Embedded Journalism auf Kurztrips durch Südeuropa zu beeinflussen. Der Zoe mit der von 22 auf 41 Kilowattstunden (kWh) gewachsenen Batterie aber ist mitten in der Kältekammer: Von den 400 im gesetzlichen EU-Labor erhobenen Kilometern Reichweite bleiben rund 200 übrig.

Jetzt könnte ich das ewige Klagelied über die gesetzlichen Fantasiewerte anstimmen und darüber nörgeln, dass Renault auf der Webseite immerhin 300 „in der täglichen Praxis“ verspricht. Das wäre aber nur die halbe Wahrheit. Denn genauso richtig ist, dass ich bisher kein Batterie-elektrisches Auto diesseits von Tesla mit einer so hohen Aktionsdistanz und Praxistauglichkeit gefahren bin. Und das bei Worst Case-Wetter. Wer bitte erledigt mit einem Fahrzeug dieser Klasse permanent Fernreisen?

Gekonnt gemacht

Bevor ich zu den Details von Batterie, Ladetechnik und Verbrauch komme, möchte ich den Blick auf den Renault Zoe selbst richten, also abseits des Antriebsstrangs: Die Form gefällt mir nach über drei Jahren immer noch. Nicht zu modisch. Nicht zu bieder. Die Sitzposition ist hoch, ähnlich wie etwa in einem Captur. Das Raumangebot ist großzügig; die Kopffreiheit ist üppig und der Kofferraum im Klassenvergleich groß. Einziger Makel: Die Rücksitzbank ist nicht geteilt umklappbar.

Dass Renault weiß, wie man ein Auto baut, merke ich außerdem an der guten Übersichtlichkeit – steigen Sie mal in ein zeitgeistiges Soft-SUV wie den Toyota C-HR ein – und den großen Außenspiegeln. Es ist einfach angenehm, wenn das Grundkonzept passt, und das tut es beim Renault Zoe. Und jeder Leser möge sich bitte vorstellen, wie wir auf dieses BEV (Battery Electric Vehicle) blicken würden, wenn auf dem Heck Volkswagen Polo stehen würde. Wahrscheinlich wäre die allgemeine Aufmerksamkeit viel höher, und es würde reichlich Komplimente geben.

Für mich ist es der dritte Zoe-Testwagen. Die Ur-Version war im Sommer 2013 dran; es folgte im Oktober 2015 Nummer Zwei, der so genannte R240 mit von 43 auf 22 kW reduzierter Ladeleistung. Nun also der große Sprung: Nirgends lässt sich der Fortschritt der Batterietechnik so beeindruckend ablesen wie in diesem Auto. 41 statt 22 kWh Kapazität sind ein Plus von 86 Prozent im identischen Bauvolumen. Dabei ist das Gesamtgewicht nur um 22 (!) kg gestiegen. Top.

Komplettkauf möglich

Ebenfalls geändert hat Renault die Preispolitik. Bisher konnte der Kunde den Zoe entweder leasen oder ein Mischmodell wählen: Das Auto wurde gekauft, die Batterie gemietet. Jetzt kommt als dritte Option der Komplettkauf hinzu. Dafür verlangt Renault einen Mehrpreis von 8.000 Euro.

Konkret starten die Preise bei 22.100 Euro für die weiterhin angebotene 22 kWh-Variante plus mindestens 59 Euro im Monat für die Batteriemiete. Mir erscheint die 41 kWh-Version in der Ausstattungslinie Intens am attraktivsten. Beim Komplettkauf sind dafür 34.700 Euro fällig, wovon auf absehbare Zeit die von Renault auf 5.000 Euro aufgestockte staatliche E-Prämie abgezogen werden kann. Macht 29.700 Euro. Renault garantiert eine Kapazität von mindestens 66 Prozent (das war mal mehr) über acht Jahre oder 160.000 km.

Der Testwagen war – so ist das eben mit den Presseautos – mit dem fein abgestimmten BOSE-Soundsystem (im Paketpreis ab 37.400 Euro) sowie Ledersitzen ausgestattet. Wichtig ist beim Zoe, dass alles Wesentliche schon im Einstiegspeis enthalten ist: Die Klimaautomatik, die Wärmepumpe und die 22 kW-AC-Ladefähigkeit. Die 205er Winterreifen auf 17-Zollfelgen, die ihren Teil zum Stromkonsum beigetragen haben, halte ich für verzichtbar. Die 16-Zöller bieten einen besseren Kompromiss aus Abrollkomfort, Lenkpräzision und Fahrwiderständen.

Locker von der Ampel weg

Kern der Sache bleibt natürlich der Antriebsstrang. Der 65 kW (92 PS) starke E-Motor beschleunigt den Renault Zoe in 13,2 Sekunden auf 100 km/h (0-50 km/h: 4,1 Sekunden, Spitze 135 km/h). Der Unterschied zum Beispiel zu einem Clio besteht darin, dass jeder Fahrer in der Lage ist, diese Werte zu verwirklichen. Kein Rühren im Getriebe, kein Spielen mit der Kupplung, kein Hochdrehen. Pedal to the metal und ab dafür. Ein Blick in den Rückspiegel genügt: Schon bei wenig Strompedalweg werden die anderen klein.

Der Bordcomputer zeigt mir nach über 500 Gesamtkilometern einen Verbrauch von exakt 20 kWh / 100 km und eine Reichweite von 205 km an. Zum Vergleich: Der im Sommer getestete Zoe 1.0 kam auf 14,8 kWh / 100 km, der im Herbst geprüfte Zoe R240 nahm 15,7 kWh / 100 km aus der Batterie, und die bei Spritmonitor notierten Exemplare liegen bei durchschnittlich knapp 17 kWh / 100 km.

Der vergleichsweise hohe Wert erklärt sich zum einen aus den winterlichen Temperaturen. Ich habe das Auto grundsätzlich draußen geparkt, und wohlgemerkt, die eingangs erwähnten minus drei Grad waren der Höchstwert. Der Welpenschutz für Batterie-elektrische Autos ist bei mir dennoch vorbei, ich schalte Heizung, Licht und Radionavigationssystem ein wie bei jedem anderen Fahrzeug.

Dazu kommt als zweiter Einflussfaktor beim Verbrauch das Geschwindigkeitsprofil. Auf der Autobahn sind leicht 25 kWh / 100 km erreicht; ich habe darum A2 und A7 vermieden, soweit das möglich war. Überhaupt lässt sich sagen, dass dies eine Schwäche ist: Weite Strecken mit hohem Tempo machen keinen Spaß. Die Autobahn ist der natürliche Feind aller BEVs.

Der Grund dafür liegt unter anderem in der Ladeleistung von 22 kW. So perfekt das Zusammenspiel aus Wechselstrom an der heimischen Wallbox und dem typischen Einsatzzweck eines Kompaktautos ist, so wenig eignet es sich für die große Reise. Die Wartezeit an der Säule ist schlicht zu lang, zumal die tatsächlich erzielbare Ladeleistung bei Kälte offensichtlich deutlich unter 22 kW lag.

Zu Hause dagegen ist der Zoe das Beste, was es zu kaufen gibt. Kein Hersteller bietet 22 kW AC-Ladeleistung an. Zum Vergleich: Volkswagen e-Up 3,7 kW, Nissan Leaf 6,6 kW (für 1.047 Euro Aufpreis), BMW i3 11 kW (990 Euro), Tesla Model S 16,5 kW (1.700 Euro). In gut zwei Stunden ist die Batterie des Zoe voll, und meistens genügt eine kurze Zwischenladung.

Die Fans wissen, dass es außerhalb Deutschlands – also zum Beispiel in den Niederlanden oder Österreich – eine Antriebskombination aus der 41 kWh fassenden Batterie und der „alten“ Ladeelektronik mit 43 kW Leistung gibt. In den Foren wird munter diskutiert, welchen Sinn das ergibt, ob man diese Variante importieren sollte und welche Ladegeschwindigkeit real erzielbar ist.

König des heimischen Schnellladens

Ich glaube, dass es Renault Deutschland richtig macht, ausschließlich das leichte 22 kW-Ladegerät anzubieten: Der Zoe ist und bleibt damit der König des heimischen Schnellladens. Die vergrößerte Batterie führt zu einem erheblichen Komfortvorsprung im Alltag. Zur Arbeit und zurück, und wenn es nach dem Abendbrot noch schnell zum Sport gehen soll, reichen wenige Minuten, um genug Reichweite zu bunkern.

Wahrscheinlich werden die Renault Z.E.-Modelle in Zukunft Gleichstrom laden können. Ich erwarte den Nachfolger des aktuellen Zoe vor 2020. Wenn Volkswagen dann den I.D. mit großem Tamtam auf den Markt bringen wird, kann Renault mutmaßlich sagen: Wir sind längst da, haben tausendfache Erfahrung und können mindestens das gleiche.

Überhaupt ist es in der Welt der E-Mobilität entscheidend, was wirklich vorhanden und was nur eine Ankündigung ist. Und nochmal Volkswagen: Seit Monaten vermisse ich den e-Golf im Konfigurator. Während Norweger und Niederländer immerhin eine Bestellung aufgeben können, gilt für deutsche Interessenten: Pech gehabt. Beim Renault Zoe dagegen kann ich in den Showroom kommen, eine Probefahrt machen, bestellen und mitnehmen.

Dass die Assistenzsysteme nicht mehr auf dem neusten Stand sind, die Rekuperation nicht verstellbar ist und die Batteriekapazität nachts um bis zu sieben Prozent absackte („Vampire Drain“): Schwamm drüber. Positiv auffallende Features wie die automatische Verriegelung nach dem Verlassen des Fahrzeuges oder das anständige Abblendlicht gibt es ebenfalls.

Der Renault Zoe ist das echte Leben, er ist die eindeutige Empfehlung für alle, die hier und heute ein BEV haben wollen, die keine Lust auf Lieferfristen, leere Versprechen und Prospektleckerei haben. Mit dem Zoe gewinnt Renault nicht nur einen Platz weit vorne in der Verkaufsstatistik der BEVs, sondern auch jede Menge Glaubwürdigkeit.

Erschienen am 15. Februar bei heise Autos. Ein weiterer Beitrag zum Renault Zoe lief bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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