Mercedes-Benz kümmert sich um die Luft. Sukzessive erhalten die verschiedenen Varianten der S-Klasse mit Ottomotor einen Partikelfilter, wie der Autohersteller Mitte Juni in einer ausführlichen Mitteilung bekannt gab. Die mit Benzin betriebene Luxuslimousine S500 hat schon seit mehr als zwei Jahren dieses Reinigungsverfahren. Andere Mercedes-Modelle werden zum jeweils nächstmöglichen Zeitpunkt mit dem Filter ausgestattet, also dann, wenn ein neues Fahrzeug erscheint oder die Motoren ohnehin überarbeitet werden.
Das ist vorbildlich – und es ist dringend notwendig. Denn die massenhafte Umstellung der Benzinmotoren von Saugrohr- auf Direkteinspritzung bringt eine neue Umweltverschmutzung mit sich. Bei der modifizierten Verbrennung entstehen im Motorraum Partikel – im Volksmund Ruß genannt –, die im Vergleich zu denen von Dieselantrieben viel kleiner und zahlreicher sind.
Das Problem gewinnt schnell an Bedeutung. So ist seit der Einführung des Volkswagen Golf VII im Herbst 2012 jeder Benziner mit der Bezeichnung TSI in Europas beliebtestem Auto ein Direkteinspritzer. Noch vor zehn Jahren spielte die Direkteinspritzung kaum eine Rolle. Doch wenn sich die Technik ausbreitet und jedes Jahr von den rund 29,8 Millionen Pkw mit Ottomotor etwa 1,6 Millionen durch Neuwagen mit Benzindirekteinspritzung ersetzt werden, steigt die Belastung der Atemluft mit feinen Partikeln gewaltig an.
Unterschiedliche Grenzwerte für Benziner und Diesel
Das Thema ist nicht neu und Fachleuten lange bekannt. Aber der Gesetzgeber hat den Autoherstellern großzügige Übergangsfristen eingeräumt. Erst mit der Einführung der Abgasnorm Euro 6c, die für neu typgeprüfte Fahrzeuge am 1. September 2017 und für neu zugelassene Autos genau ein Jahr später in Kraft tritt, unterliegen Ottomotoren den gleichen Grenzwerten wie Dieselmotoren. Bis dahin ist es gesetzlich erlaubt, dass Benziner zehnmal so viele Partikel (PN) wie Dieselmotoren ausstoßen dürfen. Ein Recht auf Luftverunreinigung, das der ADAC bereits 2011 vor Erlass der Verordnung kritisiert hat.
Die Motivation der Entwicklungsingenieure, trotzdem auf Benzindirekteinspritzer zu setzen, ist simpel: Sie sind sparsamer und stoßen folglich weniger Kohlendioxid aus.
Doch der Vorteil wird teuer erkauft. Eckard Helmers von der Hochschule Trier bringt es auf den Punkt: „Je mehr und besonders je kleiner die Partikel sind, die Menschen einatmen, desto größer ist die Schadenswirkung.“ Auf der Oberfläche der Teilchen lagern sich verschiedene Verbrennungsprodukte ab, etwa die krebserregenden polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK). „Im Hinblick auf die toxikologische Wirkung ist es absurd, bestimmten Techniken höhere Emissionen zu erlauben als anderen“, kritisiert der Hochschulprofessor.
Auch der freie Umweltberater Axel Friedrich aus Berlin, in der Autobranche für seine Beharrlichkeit gefürchtet, weist auf die gesundheitsschädliche Wirkung von Partikeln hin. Diese seien gefäßgängig und riefen unspezifische Entzündungsreaktionen hervor, sagt Friedrich und fordert die sofortige Ausrüstung mit einer verbesserten Abgasreinigung: „Der Einbau eines zusätzlichen Filters in das Gehäuse des vorhandenen Drei-Wege-Katalysators kostet pro Fahrzeug zwischen 20 und 40 Euro.“
Dieselgate hat die Branche wachgerüttelt
Wie wirksam die Filter sind, zeigt eine Untersuchung des Interessenverbands Association for Emissions Control by Catalyst (AECC). Ein aktuelles Auto mit Benzindirekteinspritzung zeigt im gültigen, aber veralteten Messzyklus NEFZ, dass es die kommenden Euro-6c-Grenzwerte noch unterschreiten kann. Im 2017 geltenden WLTP schafft es das nicht mehr ohne weitere Anstrengungen. Erst recht gilt das für die strengen Straßentests mit dem Kürzel RDE (Real Driving Emissions). Mit einem nachträglich installierten Filter sinkt die Zahl der Partikel im Test jedoch drastisch; selbst im anspruchsvollen RDE wurde eine Reduzierung um mindestens drei Viertel erzielt.
Die Europäische Union als Gesetzgeber verhält sich bei Partikelemissionen paradox. Einerseits räumt sie Fahrzeugen mit Ottomotor den Faktor-10-Nachlass bei der Partikelzahl ein, den Umweltorganisationen als „Verschmutzungsprivileg“ kritisieren. Andererseits implementiert die EU-Kommission mit RDE ein Verfahren, das die Einhaltung der Grenzwerte für Stickoxid- und Partikelemissionen schärfer überwacht als jemals zuvor.
Abgasreinigung näher am technisch Machbaren
Das Skandalpotenzial der als „Dieselgate“ bekannt gewordenen Manipulationen von Stickoxidwerten bei Selbstzündern haben die Partikelemissionen der Benzindirekteinspritzer allerdings nicht. Für diese These sprechen mehrere Argumente.
Die Zahl der Ottomotor-Pkw mit Direkteinspritzung ist im Bestand noch gering. Anders als beim Dieselmotor hat sich also noch keine riesige Kohorte von zweifelhaften Autos auf die Straßen geschlichen, die naturgemäß nicht einfach beseitigt werden kann. Es ist zum Handeln nicht zu spät. Die Hersteller und der Gesetzgeber haben das Dilemma erkannt. Hier profitiert der Benzindirekteinspritzer faktisch von der Wachsamkeit, die durch Dieselgate entstanden ist. Am schwersten wiegt: Mit dem Filter ist ein wirksames Mittel zur Verbesserung vorhanden. Zudem treibt es den Preis des Antriebs kaum in die Höhe. Hier liegt der größte Unterschied zum Dieselmotor, wo an einer aufwendigen und darum kostentreibenden Abgasreinigung kein Weg mehr vorbeiführt.
Überhaupt hat sich die Stimmung in der Branche wegen des Drucks der Öffentlichkeit sowie der Politik gewandelt. Jeder weiß, dass es nicht mehr ausreicht, eine Abgasreinigung zu bauen, die gerade noch legal und dabei so billig wie möglich ist. Stattdessen nähern sich die Serienautos ein Stück mehr dem an, was technisch machbar ist. Die Gesundheit der Menschen profitiert davon.
Erschienen am 30. Juni bei ZEIT ONLINE.