Die Stadtreiniger kommen

Wir sollten uns überraschen lassen. Das sagte Volkswagen Nutzfahrzeuge im Vorfeld der IAA. Für Journalisten ist das eine Provokation: Neugierde ist eine Kerneigenschaft in diesem Beruf – und häufig ist die Geheimniskrämerei der Hersteller substanzlos. Viele Andeutungen, nichts geliefert. Anders war es bei der Konzernmarke mit den Caddys uns Craftern: Volkswagen Nutzfahrzeuge hat in Hannover ausschließlich elektrifizierte Neuheiten und Prototypen vorgestellt. Das ist Ansage und Aussage zugleich. Seht her, wir können es, und wir machen es.

In der Übersicht: Der Batterie-elektrische e-Crafter ist lieferbar (Preis: ab 69.500 Euro netto). Ab Frühjahr baut Abt den e-Caddy und den e-T6, für den neben einer Standardbatterie mit 37,3 kWh ein Doppelpack mit 74,6 kWh geordert werden kann. Zugleich beginnt in Hannover die Fertigung des dreirädrigen Lasten-Pedelecs Cargo e-Bike. Und beinahe hätten wir die Transportversion des e-Up vergessen, die seit Jahren auf dem Markt ist.

Für die Zukunft präsentiert Volkswagen den I.D. BUZZ Cargo auf Basis des Modularen Elektrifizierungsbaukastens (ab 2022) und, mindestens genauso relevant, den e-Crafter Hymotion mit Brennstoffzellenantrieb: Hierzu haben die Ingenieure den Vorderwagen des e-Crafters mit Elektromotor und Leistungselektronik übernommen. Die Batterie wird gegen die aus dem Passat GTE (13 kWh) ausgetauscht. Sie kann im Prototyp nicht extern geladen werden, obwohl das natürlich prinzipiell möglich wäre. Stattdessen arbeitet sie als Puffer und Booster für den Strom, den eine 30 kW starke Brennstoffzelle produziert. Der Inhalt der Wasserstofftanks von 7,5 kg reicht für über 500 km. Im Subtext der Gespräche am Stand wird klar: Aus technischer Sicht sollte auf die Studie ein Serienfahrzeug folgen.

Jedes Auto, das Volkswagen Nutzfahrzeuge in diesem Jahr auf der IAA neu vorstellt, hat also einen Elektromotor. „Die Zeit ist jetzt reif“, sagt dazu Volker Becker, Leiter Innovationsmanagement der Nutzfahrzeugentwicklung. Der TDI sei heute die Lebenswirklichkeit, aber ohne elektrischen Antrieb werde es in Zukunft nicht gehen, so Becker.

Elektrifizierungstreiber Politik

Die persönliche Begeisterung, die er ausstrahlt, reicht als Motivation für eine ganze Branche trotzdem nicht aus. Es gibt zwei elementare Treiber der Elektrifizierung bei den leichten Nutzfahrzeugen: Zum einen die CO2-Flottengrenzwerte der Europäischen Union. Und zum anderen die Fahrverbote und Einfahrtsbeschränkungen, die immer mehr Städte weltweit verhängen.

Punkt 1, die CO2-Limits: Für die Klasse N1 gelten fast die gleichen Grundregeln wie für Pkw (M1). 2020 darf der durchschnittliche Kohlendioxidausstoß pro Kilometer maximal 147 Gramm (M1: 95 g/km) betragen. Die Strafzahlungen bei Überschreitung sind erheblich: Für jedes (!) verkaufte Fahrzeug und pro Gramm zu viel sind 95 Euro fällig. Ein e-Crafter fließt dagegen mit Null Gramm ein, ist also ein Joker in der Bilanz.

Punkt 2, die Fahrverbote: Unabhängig von der Diskussion in Deutschland haben viele europäische Metropolen entweder eine Abgasmaut eingeführt (London, Oslo) oder Fahrverbote für Dieselmotoren angedroht (Paris). Der politische Druck, die Atemluft in den Städten zu verbessern ist konstant und international. An lokal emissionsfreien Nutzfahrzeugen, die zum Beispiel im Lieferverkehr eingesetzt werden, führt darum kein Weg vorbei.

Es ist kein Zufall, dass auch Ford auf der IAA mit elektrifizierten Antriebssträngen auffällt. Ford, eine ur-amerikanische Marke, wird in Großbritannien gerne als einheimischer Hersteller wahrgenommen. In der Hauptstadt London wurde der Begriff Smog erfunden: Der Smog-Katastrophe von 1952 fielen je nach Schätzung 4.000 bis 12.000 Menschen zum Opfer. Kontinuierlich strengere Auflagen – selbst für die üblen Black Cab-Taxis – sind die Spätfolge.

Die Branche bewegt sich

Als Antwort verkauft Ford ab 2019 den mit Mercedes Sprinter oder VW Crafter vergleichbaren großen Transit als 48 Volt-Mildhybrid. Außerdem für den mit dem VW T6 konkurrierenden Transit Custom einen seriellen Plug-in-Hybridantrieb: Eine 14 kWh fassende Batterie speichert Strom für etwa 50 km. Danach springt ein Dreizylinder-Ottomotor mit einem Liter Hubraum an, der den Akku lädt und keine mechanische Verbindung zum Rad hat. Wichtig für die Kunden: Transportvolumen und Zuladung bleiben erhalten.

Dass auch andere Konzerne wie Renault-Nissan oder Daimler inzwischen ein wachsendes Portfolio Batterie-elektrischer Fahrzeuge anbieten, soll der Vollständigkeit halber erwähnt sein. Es tut sich also eine Menge bei den leichten Nutzfahrzeugen, diesen Werkzeugen und Arbeitsgeräten für Handwerker und Lieferdienste. Stück für Stück wächst das Portfolio.

Während die technischen Herausforderungen mit verschiedensten Ansätzen vom BEV übers PHEV bis zum FCEV gelöst werden können, bleibt ein weiteres Problem vorerst erhalten: Der Preis. Er muss sinken – sonst fahren die totgesagten Diesel länger, als sich das die Freunde der E-Mobilität vorstellen können.

Erschienen am 24. September bei ELECTRIVE.net.

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