Wer es schafft, sämtliche Blue-Bezeichnungen der Volkswagen AG fehlerfrei und ohne Suchmaschine zu erklären, ist wahrscheinlich Werksangehöriger. Inzwischen trägt jeder Golf die Zusatzbezeichnung BlueMotion Technology. Ausnahme: Die reinen BlueMotion-Varianten (ohne Technology). Bei diesen werden konventionelle Kraftstoff-Sparmaßnahmen eingebaut, die sich Volkswagen noch nicht in jedem Serienauto vorstellen kann. Im Fall des aktuellen Testwagens, einem Golf 1.0 TSI BlueMotion, ist das vor allem ein Aerodynamikpaket. Es besteht aus einer Tieferlegung um 15 Millimeter, wodurch die Stirnfläche sinkt. Dazu kommen ein Dachkantenspoiler und ein teilweise geschlossener Kühlergrill. Die eigentliche Legitimation zur Aufnahme in die BlueMotion-Familie aber ist der Dreizylinder-Turbomotor mit 85 kW (115 PS) Leistung und 999 Kubikzentimetern Hubraum. Er hilft dabei, den Verbrauch nach Prüfstandsnorm auf 4,3 Liter Superbenzin und die CO2-Emissionen auf 99 Gramm pro Kilometer zu drücken.
Die gute Nachricht: Wir sind ohne Schleichfahrt auf einen Realwert von 5,5 Litern gekommen. Damit liegt der 1.0 TSI rund zehn Prozent unter dem leistungsähnlichen 1.2 TSI mit Vierzylindermotor. Und er zeigt, wie viel Potenzial weiterhin im Verbrennungsmotor steckt. Fraglos ist dieser Dreizylinder eine Art Vorauskommando: Ein wenig versteckt im Konfigurator könnte er den 1.2 TSI ersetzen, falls die CO-Limits der Europäischen Union das erfordern. Der Grenzwert für 2021 liegt bei 95 Gramm pro Kilometer. Man darf zuversichtlich annehmen, dass die Volkswagen-Entwickler die Differenz von vier Gramm in sechs Jahren mehr als nivellieren werden. Und alles ohne Hybridisierung. Das Stichwort heißt: Downsizing.
Konzentrieren wir uns also zuerst auf den Antrieb. Hier kann der Golf 1.0 TSI mit der subjektiven Messlatte in Gestalt des hervorragenden Ford Focus mit EcoBoost-Motor mithalten. Er hat bei niedrigsten Drehzahlen ordentlich Kraft. Das Werk gibt 200 Newtonmeter Drehmoment zwischen 2000 und 3500 Umdrehungen an. Im Testwagen war das empfehlenswerte 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe (DSG) eingebaut, das im Stadtverkehr oft bereits unter 2000 Touren schaltet. Die Höhe der Leistung reicht jedenfalls in allen normalen Lebenslagen aus; wer unbedingt oberhalb von 180 km/h noch richtig Schub haben will, muss halt einen Golf mit mehr Bumms wählen.
Schütteln beim Neustart
Die Leistungsentfaltung ist ebenfalls gut, nur die butterweiche (elektronische) Verbindung zwischen Gaspedalbefehl und Umsetzung ist wie bei so vielen Dreizylinder verbesserungsfähig: Das, was einstmals “gut am Gas hängen” hieß, ist bei niedrigen Drehzahlen verzögert und zäh. Die einzige echte Schwäche des Antriebsstrangs im Testwagen war das Wiederstartverhalten an der Ampel. Die Start-Stopp-Automatik bringt den Motor kurz vorm Fahrzeugstillstand zum Schweigen. Beim Anlassen rumpelt der Dreizylinder einmal kräftig, bevor er in einen kaum hörbaren Leerlauf verfällt. Das erinnert an Dieseltriebwerke, die ebenfalls zum rüpelhaften Schütteln beim Neustart neigen.
Der Geräuschkomfort ist insgesamt sehr gut. Die aufwändige Dämmung ist ein wichtiger Grund für die gefühlte Qualität im Golf. Bei Vollgas im zweiten oder dritten Gang wird der 1.0 TSI trotzdem hörbar – das Klangbild unterscheidet sich dabei deutlich von dem aller Vierzylindermotoren. Und daran scheiden sich die Geister: Die einen sind traumatisiert von den schnattrigen, leistungsschwachen und wenig effizienten Saug-Dreizylindern, wie sie zum Beispiel im Skoda Fabia 1.2 eingebaut waren. Die anderen schwören auf die kraftvollen Turbo-Dreizylinder aus Ford, Mini, BMW und jetzt auch VW, die turbinenartig und ohne Massenkräfte 1. und 2. Ordnung (wenn auch mit Massenmomenten) hochdrehen. Der Autor, in der Motorradwelt sozialisiert, rechnet sich der zweiten Fraktion zu.
Beim Golf 1.0 TSI funktioniert das Downsizing. Den Normwert von 4,3 Litern erreichten wir auf einer lockeren Tour durchs Alte Land, dem Obstanbaugebiet südlich der Elbe. Den Höchstwert von 8,5 Litern genehmigte sich der Golf im Hamburger Stadtverkehr, und mehr ist sicher möglich. Erstaunlich gut waren die Autobahnwerte. Auf einer 200 Kilometer langen Strecke über A7 und A2 verbrauchte der Wagen 5,4 Liter, wobei alle Tempolimits eingehalten wurden und ansonsten mit Tacho 130 bis 150 gefahren wurde.
Kurios: Obwohl der Testwagen wie üblich mit sehr vielen Extras ausgestattet war, hatte er keinen Tempomat. Ein Blick in den Konfigurator entlarvt ein Manko: Die automatische Distanzregelung (ACC) mit City-Notbremsfunktion ist in diesem Golf nicht bestellbar. Angesichts der exzellenten Funktion dieses Assistenzsystems in anderen Varianten des Topsellers ist das eine Enttäuschung. Hier wurden offensichtlich die Adaptionskosten gescheut.
Der Spurhalteassistent dagegen war Teil der Ausstattung im Testwagen. Und er überzeugte: Anders als in einem zuletzt bewegten GTE fiel das System („adaptiv“ aktiviert) nicht durch zu große Nervosität auf. Es fiel gar nicht auf, was das Beste ist, was darüber gesagt werden kann. Droht der Fahrer, aus der Autobahnspur zu geraten – zum Beispiel, weil er am Smartphone spielt, sich zu den Kindern umdreht oder übermüdet ist – lenkt das Auto selbsttätig gegen. Für den Laien unmerklich, und der Vielfahrer freut sich. Das ist ein klarer Sicherheitsaspekt.
Kommen wir zu den ewigen Kritikpunkten am Downsizing. Mögen sich die Entwickler an der geringeren inneren Reibung erfreuen und von Zylinderfüllung und Lastpunktverschiebung dozieren – die Skeptiker sehen im kleinen Hubraum nur einen Beweis für einen früheren Exitus der Maschine. Die Autoindustrie hat den Weg der Verkleinerung aber längst eingeschlagen. Schon der 1.2 TSI-Vierzylinder ist ein Beweis dafür, dass der Hubraum eines Käfers groß genug ist, um die breite Masse („MQB“) der Volkswagen zu bewegen. Die Frage des ob stellt sich nicht mehr, es geht um die Umsetzung.
Misstrauen in die Dauerhaltbarkeit
Diverse Gespräche, zum Beispiel mit dem ADAC Technik Zentrum, haben den gleichen Tenor: Der Hubraum sei ein nachrangiger Parameter für die Dauerhaltbarkeit; vielmehr komme es auf die Qualität von Laufbuchsen, Pleueln und Lagern an. Und auch das weiß jeder, der Berichterstattung und Foreneinträge verfolgt: Die Probleme, die Volkswagen in den letzten Jahren mit TSI-Motoren hatte – und das waren etliche – sind kein Resultat des Downsizings. Das Misstrauen gegen die Hubraumschrumpfung wird wohl erst sinken, wenn eine große Zahl dieser Antriebe alt geworden ist, ohne Schaden zu nehmen.
Der Golf 1.0 TSI ist ein strategisches Fahrzeug. Volkswagen zeigt damit, ob gewollt oder nicht, wie groß das Einsparpotenzial des Verbrennungsmotors weiterhin ist. Er ist nicht hybridisiert, davon legt der zu hohe Stadtverbrauch ein eindeutiges Zeugnis ab. Im Februar hatte Volkswagen zu den „Innovationstagen“ nach Ehra-Lessien eingeladen, wo die angereisten Journalisten einen Golf mit Boost-Recuperation-System (BRS) testen konnten. Diese milde Sorte der Hybridisierung ist preisgünstig realisierbar, lief tadellos, und es dürften mindestens weitere zehn plus x Gramm CO2 abgeschliffen werden. Kommt das BRS schon zur IAA?
Die Botschaft an die Freunde des Batterie-elektrischen Fahrens und der Plug-In-Hybride ist klar: Anders als vermutet werden die Autos mit Ladestecker nicht gebraucht, um die CO2-Ziele des Jahres 2021 zu erreichen. Diese Mär wird von diversen Beratern immer wieder vorgetragen.
Zum Schluss, um es mit den Worten des 2008 verstorbenen NDR-Autojournalisten Karl Otto Maue zu fragen: Was kostet der Spaß? Ab 20.450 Euro geht es los. Das sind 1075 Euro mehr als im vergleichbaren 1.2 TSI mit 81 kW (110 PS) Leistung. Beim heutigen Kurs für Super (E5) von 1,35 Euro pro Liter und einer überschlägigen Ersparnis von einem halben Liter pro 100 Kilometer rechnet sich der 1.0 TSI also nach…Moment…rund 160.000 Kilometern. Angesichts der aktuellen Kraftstoffpreise sind die Zeiten für Sparmodelle schwierig.
Der 1.0 TSI ist die Wahl für Neugierige, denen der Diesel zu rau und wegen der Stickoxide zu schmutzig ist (hat jemand bemerkt, dass der TDI im Polo BlueMotion zu Gunsten des TSI gestrichen wurde?), und die eine Motorvariante ähnlich wie einen Satz Leichtmetallfelgen betrachten – als Extra, nicht als Amortisationsinstrument. Der Listenpreis des Testwagens übrigens liegt bei 33.545 Euro.
Bildquelle: Christoph M. Schwarzer
Erschienen am 25. August 2015 bei heise Autos.