Das Alleskönner-Elektroauto

Das Versprechen ist Wirklichkeit geworden. Von Oktober an liefert Toyota, der nach Stückzahlen gemessen größte Autohersteller der Welt, ein mit Wasserstoff betriebenes Brennstoffzellenauto nach Deutschland. Der Mirai fährt immer elektrisch, den Strom dafür macht er selbst. Eine erste ausführliche Tour in einem Vorserienmodell macht offensichtlich: Dieses Antriebskonzept steht nicht in Konkurrenz zu Batterie-elektrischen Fahrzeugen. Vielmehr ist der Mirai ein ernst zu nehmender und leiser Gegner für das konventionelle Alleskönnerauto mit Verbrennungsmotor.

Das liegt an der Flexibilität. Und entscheidend am Gefühl. Hier hängt man nicht mental am Stromkabel und plant schon die nächste Ladezwangspause. Stattdessen fährt man so frei wie gewohnt, nur ohne das Brummen und die Abgase eines Benzin- oder Dieselmotors. Laut Toyota verbraucht der Mirai rund 760 Gramm Wasserstoff auf 100 Kilometer, was bei fünf Kilogramm Tankvolumen eine theoretische Reichweite von 658 Kilometern ergibt. Praktisch kamen wir im Test auf ein Kilogramm pro 100 Kilometer – also die Möglichkeit, mit einer Tankfüllung 500 Kilometer weit zu kommen.

Der Mirai – der Name bedeutet aus dem Japanischen übersetzt „Zukunft“ – funktioniert erstaunlich unspektakulär. Wer irgendwann den Vollhybrid Prius gefahren ist, fühlt sich sofort zu Hause. Der winzige Schalthebel wird mit Fingerspitzenkraft nach dem Start in die Position D wie Drive gezogen. Jetzt ist das Auto anfahrbereit, und der Joystick wippt zurück in seine Ausgangsposition. Danach bietet die Lenkung, analog zu anderen Toyotas der letzten Jahre, eine direkte Rückmeldung, befindet sich aber wie der Rest dennoch auf der komfortablen Seite.

Keine Umstellung im Alltag

Schnell geht natürlich auch. Der 113 kW (155 PS) starke Elektromotor zieht die mit 4,89 Metern Länge ausgewachsene Limousine zügig nach vorne. Ein Sportwagen ist der Mirai damit nicht, eher ein kraftvoller Gleiter für den Alltag. Auf gehobenem Niveau allerdings: Der Grundpreis von 78.540 Euro ist zugleich der Endpreis. Die Vollausstattung ist inklusive. Ledersitze, Navigationssystem, Luxussoundanlage.

Auffällig ist, wie Menschen, die weder technik- noch autobegeistert sind, sondern nur von A nach B kommen wollen, auf dieses Elektroauto reagieren: Warum denn nicht gleich so? Keine Umstellung im Alltag, einfach in drei Minuten volltanken und weiter geht es in den Strand- oder Skiurlaub.

Eine Antwort auf die Frage ist die bisher rudimentäre Infrastruktur. Zwar gibt es in Großstädten wie Hamburg und Berlin sowie in Süddeutschland einige Wasserstofftankstellen. Dazwischen, zum Beispiel in Niedersachsen, klaffen Lücken. Das von der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) koordinierte Aufbauprogramm sieht 400 Zapfsäulen bis 2023 vor. Genug für den Anfang, nicht genug für einen Boom.

Nötig wären wohl 2.000, damit jeder versorgt ist. Selbst wenn im pessimistischen Szenario zwei Millionen Euro pro Tankstelle zugrunde gelegt werden (vereinfacht gesagt wird eine weitere Säule dazugestellt), kommen hier insgesamt lediglich vier Milliarden Euro zusammen. Das ist bloß scheinbar viel Geld. Denn erstens zahlen deutsche Autofahrer jährlich rund 70 Milliarden Euro für Benzin und Diesel, von denen mehr als die Hälfte Steuern und Abgaben sind. Und zweitens fallen die Investitionskosten nicht auf einen Schlag an. Sie würden über viele Jahre gestreckt werden. Entscheidend ist also nicht das Geld, sondern der Wille.

Große Chance, geringes Risiko

Kritiker monieren gerne, dass der Wirkungsgrad im Vergleich zu Batterie-elektrischen Autos schlechter sei. Das stimmt, zumindest wenn man nur die Fahrenergie betrachtet und die Emissionen bei der Akkuproduktion vernachlässigt. Wahr ist aber auch, dass bei einem traditionellen Verbrennungsmotor die Effizienz niemanden interessiert. Der potenzielle Käufer will lediglich wissen: Was kostet mich der Kraftstoff, egal in welcher Form?

Und hier gibt es leider für den Wasserstoff noch keine saubere Zahl. Der aktuelle Preis von rund neun Euro pro Kilogramm wurde vor Jahren symbolisch festgelegt, spiegelt also nicht den Marktwert. Die Industriepreise jedenfalls liegen deutlich darunter.

Auf die Frage, warum Toyota keine Batterie-elektrischen Autos baut, reagieren Unternehmensvertreter gelassen. Sie verweisen zuerst darauf, dass Toyota pro Jahr über 200 Millionen Zellen für die Hybridautos baue, also sehr viel Erfahrung im Thema habe und sich darum auskenne. Dann wird auf das Stadtmobil i-Road und den in Deutschland eingestellten Kleinwagen iQ gezeigt – ja, hier könne es Sinn ergeben, mit Akkus zu fahren.

Man sei aber zu der Überzeugung gekommen, dass sich die von einem Massenhersteller geforderten Kostensenkungen leichter beim mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellenauto als bei den Batterien verwirklichen ließen. Was Toyota mit diesem Satz sagen will: Die Skaleneffekte sind beim Mirai faktisch schon eingetreten. Er teilt sich viele Komponenten mit den fast acht Millionen Mal verkauften Toyota-Hybriden. Nur die Brennstoffzelle sowie der Tank sind wirklich neu.

Der Eindruck, der vom Toyota Mirai bleibt, ist der einer großen Chance. Hier ist endlich ein Wettbewerber für die Direkteinspritzer-Benziner und Turbodiesels dieser Welt, der den druckvollen Komfort des Elektromotors mit der gewohnten Mobilität verbindet. Eine Erfolgsgarantie ist das nicht – das monetäre Risiko des Scheiterns allerdings ist für Japaner angesichts der Gleichteilestrategie gering.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

Erschienen am 26. Juni 2015 bei ZEIT ONLINE.

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