Auf Tret-Diät

26 Prozent. Der Marktanteil elektrifizierter Fahrräder in der ersten Jahreshälfte ist die Fortführung einer Erfolgsgeschichte: Ohne Zwang, ohne Subventionen und trotz hoher Preise verkaufen sich Pedelecs von selbst. Das System von Bosch dominiert den Markt. Es ist verlässlich, aber schwer und optisch grob. Jetzt gibt es einen feinnervigen Gegenentwurf. Nicht vom behäbigen Elektronikkonzern, sondern vom Münchner Startup Fazua Evation . Leicht, sportlich und ästhetisch. Und eingebaut ist der Antrieb in einem Cube, dem Agree Hybrid C:62. Dürfen die das überhaupt – ein e-Rennrad bringen?

Klar dürfen sie, und das Resultat spricht für sich.

Was traditionellen Rennradfahrern als Frevel oder sogar als moralisch unerlaubtes elektrisches Doping erscheinen könnte, ist in der Wirklichkeit eine extrem angenehme und verdammt schnelle Menschmaschine.

Das Ziel der Entwicklung bei Fazua Evation war, die Nachteile klassischer Pedelec-Antriebe so weit wie möglich zurückzudrängen. Zuerst das Übergewicht. Und dann ein Problem, dass jeder geübte Fahrradfahrer schnell bemerkt: Häufig ist das Pedalgefühl synthetisch, und nach drei, vier starken Tritten ist die gesetzliche Geschwindigkeitsgrenze von 25 km/h erreicht. Darüber ist der Vortrieb im Regelfall zäh.

Fein durchdachte Menschmaschine

Dem setzt Fazua Evation eine durchdachte Konstruktion entgegen: Zuerst ist das Cube Agree einfach ein Rennrad. Tretlager vorne, Kettenschaltung hinten. Im unteren Rahmenrohr ist nun das so genannte Drivepack integriert, eine Kombination aus Batterie (oben in der Verpackung) und E-Motor mit Planetengetriebe (darunter). Planetengetriebe sind in vielen Pedelecs zu finden, weil damit die Drehzahl des E-Motors für bessere Effizienz und Leistungsabgabe angehoben werden kann.

Das Drivepack kann auf Knopfdruck entnommen werden; es wirkt über eine Sternkupplung und ein Winkelgetriebe direkt aufs Tretlager. Die Leistungsabgabe des E-Motors (dauerhaft 250 Watt, kurzfristig 400W bei 60 Nm Drehmoment) richtet sich nach der Aktivität des Fahrers: Zwei Drehmomentsensoren sowie ein Trittfrequenzmesser analysieren den Einsatz des Menschen und legen entsprechende Stromkraft oben drauf. Je stärker in die Pedale getreten wird – also zum Beispiel bei Gegenwind und oder bergauf – desto kraftvoller die Unterstützung.

Ein geiles System, dass durch die hohe Sensibilität herausragt und außerdem sehr leise ist. Der Fazua Evation-Antrieb agiert unauffällig und fühlt sich natürlich an. Die anderen Radfahrer, die offenbar einen Langsamfahrwettbewerb veranstalten, erinnern an die Funktionsfähigkeit. Man zoomt sich durch die Stadt und übers Land.

Hülsenfreilauf koppelt den E-Motor ab

Eine Besonderheit ist ein Hülsenfreilauf im Drivepack: Oberhalb von 25 km/h wird der Motor nicht nur ausgeschaltet, sondern auch entkoppelt. Das Cube Agree fährt sich dann also exakt wie ein gewöhnliches Rennrad. Dabei setzt die elektrische Unterstützung nicht abrupt aus, es ist mehr ein ausgleiten.

Weil das Geschwindigkeitsspektrum sich damit faktisch über 25 km/h ausweitet, dort aber kein Strom verbraucht wird, führt auch die auf den ersten Blick wenig üppige Batteriekapazität von 250 Wh zu branchenüblichen Reichweiten. Im Test waren es in der stärksten Unterstützungsstufe rund 60 km.

Zum Gewicht: Das Drivepack wiegt nur 3,8 kg, die sich aus 1,92 kg für die Batterie und 1,38 kg für den E-Antrieb addieren. Dazu kommen ein paar Gramm aus dem Winkelgetriebe im Tretlager. Das Cube Agree bringt in der von heise Autos gefahrenen SL-Version (4.999 Euro) 13,8 kg auf die Waage. Als SLT (7.999 Euro) sind es 12,8 kg. Viel für ein Rennrad, äußerst wenig für ein Pedelec. Vom Konzept bei Fazua Evation sind mittlerweile mehrere Hersteller überzeugt. So entwickelt etwa Focus ein Gravel Bike unter dem Namen Project Y, und andere folgen in Kürze.

Das Cube Agree macht den Anfang. Es ist bei Geometrie und Ausstattung nicht radikal sportlich-aggressiv ausgelegt, sondern eher auf Dynamik und Ausdauer. Die Sitzposition ist angenehm, und die 32er Reifen bieten genug Restkomfort. Ein Langstreckenbike im besten Sinn, das Teil verlockt dazu, viele Kilometer zu machen.

Ein paar Kleinigkeiten bieten dennoch Raum für Verbesserung. So ist eine App in Vorbereitung, aber eben noch nicht fertiggestellt, die Trainingsfahrern die Watt-genaue Hilfsleistung ortsbezogen dokumentiert. Unpraktisch ist außerdem, dass das Drivepack zum Laden des Akkus herausgenommen werden muss.

Marktzuwachs durch Diversifikation

Das ändert nichts am Sportrad-tauglichen Konzept. Es ist erfreulich, dass es Alternativen zu den Antrieben der großen traditionellen Player gibt, und ist es begrüßenswert, dass die intelligente Idee eines Startups zu einem Serienprodukt geworden ist.

Im vollen Verkaufsjahr 2017 werden über eine Million in Deutschland neu auf die Straße kommen, und die Tendenz ist weiter steigend. Der Pedelec-Markt diversifiziert sich zunehmend. Die Lösungen sind immer genauer auf die Bedürfnisse des jeweiligen Radfahrertyps zugeschnitten. Der Fazua Evation-Antrieb im Cube Agree Hybrid C:62 ist ideal für technikbegeisterte Endurance-Fahrer. Er sorgt für Leichtigkeit in jeder Hinsicht und ist damit die richtige Wahl für die Gourmets unter den Pedelec-Fahrern. Mehr davon, bitte.

Erschienen am 1. November bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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