Elektroauto? Tesla. Elon Musk, Gründer der kalifornischen Marke, hat das Fahren mit Strom attraktiv gemacht. Vielleicht sogar sexy. Es ist fast genial, wie Musk dem Elektroauto ein positives Image verpasst hat. Die deutsche Autoindustrie wirkt im Vergleich verkopft. Es ist leicht, mit dem Satz Zustimmung zu bekommen, die heimischen Konzerne hätten den Anschluss bei der Energiewende des Antriebs verpasst. Die Analyse der Wirklichkeit aber ergibt ein anderes und differenziertes Bild: Die BMW Group, die Daimler AG und die Volkswagen AG vereinen den Großteil der Verkäufe in der Europäischen Union auf sich.
Betrachtet man nur die Batterie-elektrischen Pkw (abgekürzt BEV für Battery Electric Vehicles), ist der Volkswagen e-Golf im März laut Kraftfahrtbundesamt mit 534 Neuzulassungen in Deutschland das meistverkaufte Elektroauto. Wegen der hohen Nachfrage hat die „Gläserne Manufaktur“ in Dresden auf Doppelschicht umgestellt. Es folgt der beliebte und praktische Renault Zoe mit 523 und der BMW i3 mit 459 Exemplaren in konsequentem Purpose-Design. Auf Platz 4 und 5 liegen der Smart Forfour (457) und der Fortwo (454) Electric Drive. Die Kleinwagenmarke wird unter dem Label EQ ab 2020 ausschließlich BEVs anbieten. Das Wachstum bei dieser Antriebsart beträgt im ersten Quartal 2018 Plus 73 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
In diesem in absoluten Zahlen kleinen Segment dominieren die deutschen Konzerne den inländischen Markt mit einem Anteil von 68 Prozent. In Westeuropa sind es immer noch 55 Prozent. Die Voraussage des ehemaligen Präsidenten des Verbands der Autoindustrie (VDA) Mattias Wissmann, „Leitanbieter“ werden zu wollen, ist nach aktuellem Stand eingetreten.
Der Fokus auf den Absatz zwischen Flensburg und Füssen ist für die Gesamteinordnung jedoch zu eng. Die Autoindustrie ist nicht naiv, und sie ist nur dann patriotisch, wenn es dem Verkauf des Produkts dient. Um auf dem Weltmarkt, der sich sukzessive der 100 Millionen-Pkw-Schwelle pro Jahr nähert, bestehen zu können, wird selbstverständlich auf jedem Kontinent gefertigt.
China baut Elektroautos für den eigenen Markt
Die größte Gefahr für den langfristigen Erfolgt droht fraglos aus China. Der Staat mit den meisten Einwohnern hat es satt, Devisen für Rohölimporte auszugeben. Zugleich verfügt China über schnell wachsende Batteriezellfabriken. Viele Materialien dafür werden lokal gefördert. Es ist nur logisch, dass die Regierung die Elektromobilität in Quoten festschreibt.
Das haben auch die deutschen Konzerne begriffen. So kündigte der Volkswagen-Vorstand Thomas Ulbrich im Rahmen der Beijing Motor Show Ende April an, es werde zwei Werke in China geben – zusätzlich zu dem in Zwickau und einem weiteren geplanten Standort in den USA. In der Batteriesystemfertigung in Braunschweig wiederum werden jetzt die Produktionslinien für das Kompaktauto I.D. vorbereitet, damit Volkswagen nach der Präsentation auf der IAA 2019 zeitnah mit der Auslieferung beginnen kann.
BMW hat unterdessen in Peking den Batterie-elektrische iX3 vorgestellt. Ab 2020 läuft das SUV im chinesischen Shenyang vom Band. Wie wichtig das Engagement im weltgrößten Markt (ca. 25 Millionen pro Jahr) mit gleichzeitig rapidem Wachstum ist, zeigen zwei Zahlen: Rund die Hälfte aller Volkswagen wird in China verkauft. Die deutschen Marken vereinen in Summe aber nur vier Prozent der dortigen BEVs und PHEVs auf sich. So kommt das weltweit meistverkaufte Elektroauto denn auch nicht von Tesla, sondern von BAIC und heißt EC-Serie.
Tesla als Ankündigungsmeister
Tesla erwirbt sich derweil selbst bei Anhängern den Ruf des Ankündigungsmeisters. Model S und Model X sind begehrenswert, für den Durchschnittsmenschen jedoch zu teuer. Der wartet seit dem Reservierungsstart im März 2016 auf die Auslieferung des angeblich bezahlbaren Model 3 – die wird wohl noch bis mindestens Ostern 2019 auf sich warten lassen, zumal die entscheidende Größe beim Model 3 weiterhin unbekannt ist: Der Preis in Deutschland. Und während Tesla dem hohen Markenwert zum Trotz mit den Mühen der Ebene zu kämpfen hat, liefert Audi ab Ende 2018 den e-tron aus.
Die Vorstellung, die deutsche Autoindustrie wäre bei der Elektromobilität abgeschlagen und verloren, ist durch die Fakten nicht gedeckt. Aus derzeitiger Perspektive ist bis 2025 eine Aufsplitterung des Antriebsmarkts absehbar: Das Fahren mit Strom wird eine wesentliche Ergänzung und keine Ablösung für den Vortrieb mit fossilen Kraftstoffen sein. Im letzten Jahr hatten über 97 Prozent aller weltweit verkauften Fahrzeuge einen Verbrennungsmotor. Das Rennen um den Markt der Zukunft hat gerade erst begonnen, und es ist lang. Aufgeschreckt durch Tesla und Dieselgate hat sich die deutsche Autoindustrie auf den Weg gemacht – sie hat alle Chancen zu bestehen.
Erschienen am 4. Mai bei ZEIT ONLINE.