Die wichtige Vorkonditionierung

Schnell weg: Beim Zwangsstopp im Ladepark will niemand zu viel Zeit verlieren. Das ist ohnehin unerwünscht, weil die starken DC-Säulen (für Direct Current, auf Deutsch Gleichstrom) an den Autobahnen zu Stoßzeiten ausgelastet sind. Elektroautos können die maximale Ladeleistung und damit die höchste Ladegeschwindigkeit aber nur erreichen, wenn die Zellen in der Traktionsbatterie im idealen Temperaturfenster sind. Tesla war Vorbild für eine Methode, die inzwischen von vielen Herstellern übernommen wurde: Die automatische und gezielte Vorkonditionierung fürs DC-Laden auf Langstrecken.

Ein gutes Elektroauto berechnet für eine Route, die länger ist als die Reichweite, exakt die Ladestopps. Das Navigationssystem zeigt an, wo entlang der Zielführung geladen werden soll, mit welchem SOC (für State Of Charge, also Stand der Batterieladung) bei Ankunft zu rechnen ist und wie weit aufgeladen werden muss, um sicher anzukommen. Auch das hat Tesla vorgemacht. Diese Integration von Ladestopps in die Routenführung sollte darüber hinaus so kalkuliert sein, dass der Verlauf der Ladekurve berücksichtigt wird: Viele Elektroautos können bei niedrigem SOC besonders viel Leistung aufnehmen; später nimmt die Geschwindigkeit ab.

Ideale Temperatur erhöht auch die Dauerhaltbarkeit

Vorkonditionierung bedeutet nun, dass die Traktionsbatterie vor der Ankunft an der DC-Säule geheizt oder gekühlt wird. Und zwar auf den Punkt. Schließlich kostet zum Beispiel das Aufheizen im Winter elektrische Energie. Strom, der bezahlt werden muss. Der Nutzen ist aber so groß, dass niemand darauf verzichtet, der es einmal ausprobiert hat: Gerade bei großer Kälte kann die Ladeleistung ohne Vorkonditionierung radikal einbrechen. Außerdem ist ruiniert es die Dauerhaltbarkeit der Zellen, wenn bei niedrigen Temperaturen schnell geladen werden soll.

Wo genau der beste Bereich ist, hängt von der Zellchemie ab. Lithium-Ionenzellen mit einer Kathodenmischung aus Nickel, Mangan und Kobalt (NMC) fühlen sich bei ungefähr 20 bis 25 Grad wohl. Lithium-Eisenphosphatzelle (LFP) dagegen benötigen eher 40 Grad, um optimal zu funktionieren, und unterhalb des Gefrierpunktes können sie praktisch nicht laden. Traktionsbatterien mit LFP-Zellen, wie sie in der Grundversion des Tesla Model 3 oder des MG4 zu finden sind, nutzen unter solchen Bedingungen den Strom zu Beginn des Ladens allein, um aufzuheizen. Umso wichtiger ist die automatische Vorkonditionierung.

Im Winter kann es im Extremfall vorkommen, dass die Innentemperatur bei gleitender Fahrweise sogar sinkt. Das Gegenteil wäre eine Fahrweise mit wechselnder Geschwindigkeit und schwerem Stromfuß im Sommer – dann ist die Kühlfähigkeit der Traktionsbatterie gefragt.

Wärme effizient verteilen

Das Temperaturmanagement in den Traktionsbatterien moderner Elektroautos ist folglich aufwendig. Eine aktive Heizung und Kühlung ist die Grundvoraussetzung. Auch das Heat Scavenging gehört inzwischen dazu: Die Abwärme der Elektromotoren oder der Leistungselektronik wird genutzt, um die Effizienz zu steigern. Ein hochwertiges Elektroauto hat mehrere Heiz- und Kühlkreisläufe, die getrennt voneinander geregelt werden können.

Die automatische Vorkonditionierung ist trotzdem nicht bei allen Elektroautos eingebaut. Was bei Tesla, BMW, Mercedes und Porsche serienmäßig ist, gibt es bei den auf dem MEB (Modularer Elektrifizierungs-Baukasten) basierenden Modellen des Volkswagen Konzerns wie dem ID.3 gar nicht. Stattdessen schaltet sich bei einer Batterietemperatur von unter einem Grad grundsätzlich die Heizung an, bis mindestens 1,5 Grad erreicht sind. Eine starre und limitierte Regelung. Im Kompaktsegment sind die Unterschiede groß; ein Renault Megane E-Tech etwa hat alle Funktionen von der Routenführung mit Integration der Ladestopps bis zur Vorkonditionierung.

Wahlweise manuelle Vorkonditionierung bei BMW

BMW geht inzwischen noch einen Schritt weiter: In iX, iX3 und iX1 gibt es zum neuen Modelljahr eine manuelle Vorkonditionierung als Alternative zur automatischen.

Der Hintergrund ist, das nicht jeder die Routenführung benutzen will oder zum Beispiel einen Stamm-Ladepark hat, zu dem er gerne fährt. Auf Wunsch kann im Zentralmenu die Vorkonditionierung angeschoben werden. Je nach Innentemperatur fängt die Batterie mit dem Heizen oder Kühlen an. Ein Richtwert für die Vorkonditionierung ist eine Viertelstunde. Die manuelle statt der automatisch berechneten Vorkonditionierung kann niemals perfekt sein, es ist aber offensichtlich, dass ein geringerer Abstand von der Idealtemperatur bereits einen Fortschritt bedeutet. Bei Mercedes gibt es zwar die manuelle Option nicht. Wer unbedingt will, kann die automatische aber abschalten.

Die manuelle Vorkonditionierung sollte nicht verwechselt werden mit dem, was bei vielen Herstellern Wintermodus heißt: Bei den Elektroautos von Hyundai etwa wird die Innentemperatur der Traktionsbatterie über fünf Grad plus gehalten, wenn der Ladestecker in Säule oder Wallbox hängt. Ist dagegen der Wintermodus aktiviert, erfolgt die Aufheizung auch mit elektrischer Energie aus der Batterie während der Fahrt.

Mindestmaß für die Langstrecke

Hyundai Ioniq 5 und 6 haben jetzt zusätzlich auch eine automatische Vorkonditionierung. Das war zu Beginn der Auslieferung des Ioniq 5 nicht der Fall und führte bei vielen Nutzern zu Frustrationen: Der Ioniq 5 ist mit einer Werksangabe von 18 Minuten für den Ladehub von zehn auf 80 Prozent SOC eins der schnellsten Elektroautos überhaupt. Bei Kälte war jedoch bisher oft nur ein Teil dieses Potenzials nutzbar. Ein Mangel, der nun abgestellt ist.

Es sollte auch nicht übersehen werden, dass preisgünstige Elektroautos nur wenige oder keines dieser Features haben. Das verlängert die Ladezeit und verkürzt die Dauerhaltbarkeit. Käufer, die selten oder nie lange Strecken fahren, werden eine automatische Vorkonditionierung kaum vermissen. Für alle anderen ist sie in Verbindung mit einer Routenführung inklusive Berechnung der Ladestopps das Mindestmaß.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Renault

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