Das Potenzial der Anode

Die Diskussion um die Zellchemie von Traktionsbatterien kreist meistens um das Kathodenmaterial. Die zwei wesentlichen Trends: Zum einen verändert sich bei Kathoden mit Nickel, Mangan und Kobalt (NMC) das Mischungsverhältnis – es kommt anteilig immer mehr Nickel und immer weniger Kobalt zum Einsatz. Zum anderen steigt der Marktanteil von Lithium-Eisen-Phosphat-Zellen (LFP) als der einzigen relevanten Alternative zu NCM stetig an. Vielleicht lassen sich über Modifikationen weitere Optimierungen erzielen. Weitgehend übersehen wird in der veröffentlichten Debatte dagegen das Potenzial der Anode: Hier und nicht an der Kathode liegt die Möglichkeit, eine neue Qualität zu erreichen.

Wir erklären, worum es bei Anoden aus Grafit, Silizium, Lithium und als Übergang zum letzten Teil der Batterie-Serie bei Hard Carbon geht.

Grafit

Fast alle Elektroautos haben Batteriezellen mit einer Grafit-Anode. Das Mineral hat sich bewährt, im Guten wie im Schlechten. Ja, Grafit ist verlässlich. Wieso verändern, was wunderbar funktioniert? Die Nachteile: Grafit ist ein begrenzender Faktor bei der Ladegeschwindigkeit. Es ist schwer und folglich ein Verursacher einer niedrigen Energiedichte. Und bei der Förderung ist die Abhängigkeit von China groß, wo über 90 Prozent des Grafits abgebaut wird.

„Die Entdeckung, dass Grafit als Anodenmaterial geeignet ist, brachte dem Japaner Akira Yoshino 2019 den Nobelpreis ein“, erklärt dazu Prof. Dr. Markus Hölzle vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW). Grafit sei deswegen so interessant, weil es eigentlich instabil sei, aber im Betrieb an der Oberfläche eine Schutzschicht bilde, also passiviert sei. „Grafit ist heute ausgeforscht, aber im Serieneinsatz weiterhin unübertroffen“, stellt Hölzle fest.

Silizium

Das bei bodenständiger Betrachtung größte Potenzial für eine Verbesserung der Anode und damit der Zelle an sich liegt in Silizium. Dass Silizium als Anodenmaterial funktioniert, ist bekannt. Rechnerisch kann es zehn Mal so viel Lithium aufnehmen wie Grafit. Je Atom Silizium können vier Lithiumatome beim Laden aufgenommen und beim Entladen wieder abgegeben werden. Die Folge: Das Volumen dehnt sich erheblich aus und schrumpft wieder zusammen. „Dieses Atmen führt mittelfristig zum Ablösen von Siliziumpartikeln“, sagt Prof. Hölzle vom ZSW. „Dem wirkt  man entgegen, indem man nur einen Teil des Grafits mit Silizium versetzt.“ Diese Beimischung ist im niedrigen einstelligen Prozentbereich bereits zu finden, zum Beispiel im Porsche Taycan. Mercedes sagt auf Anfrage, dass die elektrische G-Klasse ab Mitte des Jahrzehnts damit ausgerüstet sein könnte.

Eine Mischelektrode ist besser als ausschließlich mit Grafit und schlechter als mit reinem Silizium. Dafür atmet eine solche Elektrode kaum noch im Volumen und ermöglicht eine Verdoppelung in der spezifischen Lithiumaufnahme und die halbe Dicke der Batterie. „Dünne Elektroden lassen sich generell einfacher und schneller laden, da das Lithium nicht zuerst lange Wege zurücklegen muss“, erklärt Markus Hölzle vom ZSW. Und weil Silizium viel leichter ist als Grafit, steigt die Energiedichte automatisch deutlich an.

Branchenkreise gehen davon aus, dass eine Beimischung von bis zu 20 Prozent Silizium für den Serieneinsatz umsetzbar ist. Sollte das tatsächlich gelingen, entsteht mit einer Anode aus Silizium und Grafit der härteste Konkurrent für die Festkörperzelle, weil die Energiedichte in eine ähnliche Richtung geht, die Handhabbarkeit aber viel einfacher und die Kosten in der Produktion folglich niedriger sind.

Lithium

Festkörperzellen, häufig auch mit dem englischen Begriff Solid State Battery bezeichnet, gelten als das finale Ziel der Entwicklung. Volkswagens oberster Batterie-Entwickler Frank Blome jedenfalls sprach vom „end game“. Gemeint ist der Elektrolyt, der nicht mehr flüssig, sondern fest ist. Allerdings ist die Definition nicht eindeutig und umfasst derzeit alles zwischen Gel, weichen Pulvern und starren Keramiken, also auch halbfeste Elektrolyte.

An tatsächlichen Festkörperzellen forschen nur wenige Unternehmen wie Quantumscape, wo wiederum Volkswagen beteiligt ist. Und nur hier geht es um den Kern der Solid State Battery: Ein fester Elektrolyt ist die Voraussetzung, um eine Anode aus reinem Lithium zu verbauen. Solid State ist also kein Selbstzweck, sondern das Mittel für die Umsetzung der metallischen Lithium-Anode.

Metallisches Lithium ist hochreaktiv. Eine reine Lithium-Anode ist ein sehr dünnes Blech. Sollte es gelingen, eine metallische Lithium-Anode in Serie zu produzieren, entsteht so die höchste Energiedichte überhaupt. Der feste Elektrolyt soll das größte Problem dieses Aufbaus verhindern, nämlich das Dendritenwachstum – dem spitzen Aufwachsen von Lithium –, das zum Kurzschluss und zum Brand führt. Folglich dürfen nur nicht brennbare Materialien wie Festelektrolyte eingesetzt werden.

Professor Hölzle vom ZSW ordnet die reine Lithiumanode ein: „Diese Festkörperzellen sind schwer zu bauen und zu betreiben, da sich das Lithium nun durch einen quasi festen Elektrolyten bewegen muss. Gute Elektrolyte sind komplex und teuer.“

Es gilt darum als wahrscheinlich, dass Festkörperzellen zuerst in hochpreisigen Luxuslimousinen oder Sportwagen verkauft werden. Und wenn Anoden mit Siliziumbeimischung für viel weniger Geld nahezu gleiche Eigenschaften bieten könnten, wäre das das Aus für die echte Solid State Battery mit metallischer Lithium-Anode.

Hard Carbon

Hard Carbon leitet zum dritten Teil unserer Batterie-Serie über. Es ist das Anodenmaterial, dass zum Einsatz kommt, wenn Lithium durch Natrium ersetzt wird. Der Weltmarktführer bei Batteriezellen, CATL, verspricht für dieses Jahr bereits den Serieneinsatz des amorphen Kohlenstoffs.

So viel vorweg: Natrium ist preisgünstiger als Lithium. Und wenn die Massenmotorisierung international mit den Batterie-elektrischen Fahrzeugen funktionieren soll, ist Geld eben extrem wichtig.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Volkswagen

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