Nicht sauber, sondern rein

Unsere Atemluft soll sauberer werden. Das ist der Wunsch der Europäischen Kommission: Ein am Mittwoch veröffentlichter Entwurf sieht vor, dass der Grenzwert für Partikel sinken muss. Zurzeit sind für sehr kleine Teilchen mit einer Größe von bis zu 2,5 Mikrometern maximal 25 Mikrogramm pro Kubikmeter zulässig. Bis 2030 soll dieser Wert auf 10 Mikrogramm reduziert werden. Das ist zweimal so viel, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sich vorstellt. Trotzdem könnte es die Emittenten dieser Lungen- und Gefäß-gängigen Partikel vor erhebliche Probleme stellen. Zum Beispiel Autos. Und auch Elektroautos. Sollten die Vorgaben von der EU beschlossen und später nicht eingehalten werden, passiert das, woran sich die Besitzerinnen und Besitzer von Pkw nicht gewöhnen können: Es gibt Fahrverbote und die vor allem in den Städten.

Für Virginijus Sinkevicius, den Kommissar für Umwelt in Brüssel, ist „frische Luft kein Luxus“, sondern ein „grundlegendes Menschenrecht“. Zwar werden laut Umweltbundesamt (UBA) nur 14 Prozent der Partikel durch den Verkehr freigesetzt. An den städtischen Messstationen aber sind die Emissionen aus Autos und Nutzfahrzeugen besonders relevant.

Die EU befindet sich in einer Doppelrolle: Zum einen fordert sie die Verschärfung der Luftreinhalterichtlinie. Zugleich erlässt sie die Zulassungsvorgaben für neue Pkw. Die EU ist also verantwortlich für die Grenzwerte der Autos, die in den kommenden Jahren auf die Straße kommen. Mehrere Mechanismen werden absehbar zu einer Verbesserung der Luftqualität führen.

CO2-Flottengrenzwerte erzwingen Elektroautos

So muss der Kohlendioxidausstoß aller tatsächlich neu zugelassenen Pkw in der EU im Jahr 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 2020 sinken. Das erzwingt den Verkauf von Elektroautos, die ab 2035 bei Neuwagen verpflichtend sind. Die Industrie stellt sich längst darauf ein: Geht es allein nach den öffentlichen Produktionsankündigungen der Batteriehersteller in Europa, könnten 2030 bereits sämtliche Neufahrzeuge elektrisch fahren. Das geht aus der regelmäßigen Beobachtung der Marktteilnehmer durch die RWTH Aachen hervor.

Durch den Hochlauf der Elektromobilität werden Emissionen aus Verbrennungsmotoren also automatisch weniger. Die feinen Partikel, die Benziner mit Direkteinspritzung produzieren und die Stickoxide aus Dieselmotoren, die eine der Vorläufersubstanzen von Partikeln sind, verschwinden langsam. Vielleicht könnten strengere Vorgaben für Verbrenner durch die 2027 erwartete Abgasnorm Euro 7 noch eine leichte Veränderung bewirken. Entscheidend aber ist die Verbreitung von Elektroautos.

Mikroplastik durch Reifenabnutzung

Perfekt sind auch Elektroautos nicht: Der Abrieb von den Scheibenbremsen besteht aus feinsten Partikeln. Und nach Aussage der des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist die Abnutzung der Reifen für ein Viertel des Mikroplastiks verantwortlich. Weil Elektroautos sehr schwer sind, produzieren sie viel davon. Mikroplastik muss noch genauer definiert und wissenschaftlich untersucht werden, und die Verschmutzung zum Beispiel des Wassers durch dieses Material ist ein Aspekt, der über die Luftreinhaltung hinausgeht. Die DLR hat im Oktober ein Experimentalfahrzeug präsentiert, das zeigt, was möglich ist: ZEDU-1.

Das Kürzel steht für Zero Emission Drive Unit, Generation 1. Die DLR hat den elektrischen Prototyp komplett selbst aufgebaut; Ähnlichkeiten zu Serienfahrzeugen sind nicht erkennbar. ZEDU-1 reduziert sowohl die Partikel beim Bremsen als auch das Mikroplastik von Reifen nahezu auf null.

Elektroautos verringern den Bremsabrieb bereits heute erheblich. Der Grund: Sie verzögern zuerst über den Motor und gewinnen dabei Energie zurück; das ist die so genannte Rekuperation. Nur beim starken Bremsen brauchen sie die Scheiben und Beläge.

Das reicht der DLR nicht. Im Prototyp ZEDU-1 ist die Bremse nicht im Rad verbaut. Stattdessen hat das Forschungsfahrzeug eine mechanische Lamellenbremse, die vollständig gekapselt in der Motor-Getriebe-Einheit sitzt. Der Abrieb dieser Lamellenbremse landet in einem Ölbad, das permanent gefiltert wird.

Serieneinsatz technisch machbar

Am Rad ist jetzt Platz frei. Den braucht das Elektroauto der DLR für die Einhausung der Räder. Diese Einhausungen sind aerodynamisch so konstruiert, dass sich der Reifenabrieb an einer bestimmten Stelle sammelt und abgesaugt sowie gefiltert werden kann. „Aus technischer Sicht steht einer Realisierung und Übertragung des Konzepts auf serienmäßige Pkw und Nutzfahrzeuge nichts im Weg“, erklärt hierzu Franz Philipps, der Projektleiter von ZEDU.1 bei der DLR.

Ökonomisch betrachtet macht die Autoindustrie im Regelfall allerdings das, was die gesetzliche Vorgabe erzwingt. Und im Fall von Brems- und Reifenabrieb ist das bisher gar nichts. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass mit der Abgasnorm Euro 7 erstmals ein Mechanismus eingeführt wird, der zu einer Begrenzung führt. Der konkrete Vorschlag wird Mitte November erwartet. Nur so schafft die Europäische Kommission bei der Zulassung von neuen Autos die Voraussetzung, die sie bei der Luftreinhalterichtlinie einfordert.

Erschienen bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: DRL

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