Darf’s etwas mehr sein?

Rivian hatte an der Wallstreet einen glänzenden Start: Mittwoch, am Erstausgabetag, stieg der Aktienkurs auf gut 100 US-Dollar und damit um rund 29 Prozent. Rivian ist ein Startup und plant die Produktion des Batterie-elektrischen Pick-up Trucks R1T. Der R1T ist knapp fünfeinhalb Meter lang und circa 2,7 Tonnen schwer. Viel wichtiger aber ist: Er konkurriert direkt mit dem von Tesla angekündigten Cybertruck. Und beide haben das meistverkaufte Fahrzeug der USA überhaupt im Visier, nämlich den Ford F-150. Der Traditionshersteller wiederum ist nicht untätig und bringt 2022 auch eine Version des F-150 mit Strom statt Sprit, den Lightning. Wie umweltfreundlich ist diese schöne, neue Elektrowelt?

Vorweg: Auf dem US-amerikanischen Automarkt gelten andere Grundregeln als in Europa. Alles ist etwas größer. Das liegt am Land, das von Küste zu Küste viele tausend Kilometer misst. Und auch die Kraftstoffpreise waren lange ungleich niedriger als in Europa. Angeblich fühlen sich viele US-Amerikaner so sehr dem Treck der ersten Siedler verbunden, dass sie im Pick-up die moderne Interpretation des Planwagens nachleben wollen. Diese Fahrzeuge sind nach den dortigen Zulassungsnormen auch keine Pkw, sondern so genannte Light Trucks: Die Auflagen für Crashversuche und die Verbrauchslimits sind weniger streng.

Ford Lightning als fahrende Powerbank

Fraglos können Pick-up Trucks auch einen Zweck haben. Der Ford F-150 Lightning zum Beispiel hat einen Stromausgang mit einer Gesamtleistung von bis zu 9,6 Kilowatt, verteilt auf elf Steckdosen: Vier unter der vorderen Haube, zwei in der Kabine und fünf weitere auf der Pritsche. Genug für eine veritable Kreissäge und einen abgasfreien Grill vor der Farm. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass es in den USA auch nur ansatzweise so viele Bauernhöfe gibt, wie in den letzten Jahrzehnten F-150 verkauft wurden.

„Nur ein kleiner Teil dieser Pick-ups wird in der Land- oder Forstwirtschaft genutzt werden“, sagt Benjamin Stephan, Campaigner für Verkehrswende bei Greenpeace. „Wenn aber Städter solche überdimensionierten Kolosse fahren, ist es egal, ob sie elektrisch oder mit Benzin betrieben werden – beides ist falsch.“ Stephan fordert, ein Fahrzeug solle weder mehr Verkehrsfläche noch mehr Material verbrauchen als unbedingt notwendig.

Außerdem sollten E-Autos effizient mit Strom umgehen, sagt Greenpeace-Experte Stephan: „Ein windschlüpfiges und leichtes Elektroauto ist besser als ein großes und schweres, das in dieser Form eigentlich nicht gebraucht wird.“ Schließlich stehe die elektrische Energie aus Windkraft- und Fotovoltaikanlagen nicht unbegrenzt zur Verfügung.

Ein Gedanke, der den Interessenten des Tesla Cybertrucks offenbar fremd ist. Der Cybertruck hat eine kantige Gestalt, die an den dystopischen Film Mad Max oder an Militärfahrzeuge erinnert. Es gibt keine offizielle Zahl, aber in der Tesla-Szene werden über eine Million Vorbestellungen kolportiert. Auch deutsche Interessenten können für 100 Euro Anzahlung gewissermaßen eine Wartemarke ziehen, obwohl unklar ist, ob der Cybertruck europäischen Zulassungsvorschriften entsprechen kann.

Welt-Trend Batterie-SUV

Es wäre aber Heuchelei, mit dem Finger auf die US-Amerikaner zu zeigen und die Fehler auf dem Heimatmarkt zu übersehen: In Deutschland sind Batterie-elektrische SUVs vom Skoda Enyaq bis zum Tesla Model Y besonders beliebt. Der Massengeschmack der Kunden unterscheidet sich nicht wesentlich von dem in China oder den USA: Ein kompaktes SUV soll es bitte sein. Dass der Staat die Versteuerung der Privatnutzung von Batterie-elektrischen Dienstwagen – zwei Drittel aller Neuzulassungen entfallen auf Gewerbekunden – bis 60.000 Euro auf ein Viertel des üblichen Prozents pro Monat gesenkt hat, beschleunigt diese Entwicklung. Dabei macht der Gesetzgeber keinen Unterschied, ob ein herausragend effizienter Pkw wie ein Hyundai Ioniq oder ein verbrauchsintensiver Audi e-tron bestellt wird. Hier gibt es eine Regulierungslücke.

Kleinstwagen, die wenig Ressourcen benötigen und ein Element der Verkehrswende an sich sein können, sind dagegen Auslaufmodelle, egal ob mit Verbrennungs- oder Elektromotor. Die Logik der Autoindustrie ist „Top Down“: Wir bringen die Elektromobilität zuerst in den hochprofitablen Segmenten, bei den Luxuslimousinen und den SUVs. Vielleicht folgen irgendwann bezahlbare Autos. Oder eben nicht.

Etwas Gutes haben die US-amerikanischen Pick-ups von Rivian, Tesla und Ford trotzdem: Sie beweisen, dass Elektromobilität machbar ist. Negativklischees können so aufgebrochen werden. Und sie haben so viel Anhängelast, dass sich auch ein Aluminium-silberner Airstream-Wohnwagen westwärts ziehen lässt.

Erschienen bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: Ford

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