Falls Sie mal die Gelegenheit haben, sollten Sie einen Renault R4 F6 ausprobieren. Er ist der luftige und laute Urahn des Kangoo. Kastenwagen sind eine französische Erfindung – der Citroen 2CV Fourgonnette („Kasten-Ente“) kam 1951 auf die Straßen. Der heutige Renault Kangoo wiederum fährt auf Wunsch elektrisch und das in der zweiten Generation. Wir sind in die Nutzfahrzeugversion Kangoo Rapid E-Tech mit dem Zusatz Open Sesame eingestiegen.
Luftig sind Kastenwagen per Definition weiterhin: Der Laderaum des Kangoo Rapid hat laut Renault 3,3 Kubikmeter Volumen. Nach VDA-Norm sind es sogar 3,9. Platz satt. Bei der Außenhöhe von 1,86 Meter und der Breite von 1,92 Meter kommt der Kangoo Rapid dicht an typische Vans heran. Nur bei der Länge von 4,49 Meter bleibt er bescheiden kompakt.
Open Sesame
Der geschlossene Kastenwagen wird häufig von Handwerkern gekauft. Sie wissen genau, welches Bauteil für ihr Gewerk hineinpassen muss. Und hier bietet Renault für 1.000 Euro Aufpreis – und wir reden in diesem Text ausschließlich von Nettopreisen exklusive Mehrwertsteuer – die Option Open Sesame an.
Der Ausspruch von Ali Baba aus den Erzählungen von Tausendundeiner Nacht „Sesam, öffne Dich“ bezieht sich auf die B-Säule rechts: Sie fehlt. In Verbindung der Beifahrertür, die im 90 Gradwinkel öffnet, ergibt sich eine riesige Lademöglichkeit für sperrige Gegenstände. Außerdem kann der Beifahrersitz so flach zusammengefaltet werden, dass eine etwa drei Meter lange Ebene entsteht. Angucken lohnt sich.
Fast baugleicher Mercedes
Wir haben den Kangoo E-Tech bei Renault natürlich angefragt, weil wir wissen wollten, wie gut die zweite elektrische Generation geworden ist. Er ist als Nutzfahrzeug Rapid erhältlich. Aber auch als Pkw-Version. Und von Mercedes als eCitan, eCitan Tourer und als luxuriöser EQT. Der Antriebsstrang und die Karosserie sind ähnlich bis identisch, nur das Armaturenbrett ist anders.
Wichtigster Konkurrent ist der Stellantis-Kastenwagen, der von vielen Konzernmarken in etlichen Versionen erhältlich ist, aber inhaltlich immer der Gleiche bleibt. Ein sympathisches Fahrzeug, das im Praxistest aber durch einen hohen Stromverbrauch aufgefallen ist.
Sparsamer als der Stellantis-Kastenwagen
Die Erwartung an den Renault Kangoo Rapid war in dieser Hinsicht nicht besonders hoch, weil Fahrzeuge mit einer großen Stirnfläche systemimmanent einen hohen Stromverbrauch haben müssen. Trotzdem zeigte sich der Renault eindeutig effizienter und sparsamer als der Wettbewerber von Stellantis.
Auf der Autobahn mit dem Tempomat auf 120 km/h verbrauchte der Kangoo Rapid E-Tech zwischen 25 und 27 Kilowattstunden (kWh) auf 100 Kilometer. Zwar wird wegen der 44 kWh fassenden Traktionsbatterie auch aus dem Renault kein Langstreckenfahrzeug. Aber er lag in unserer Stichprobe klar unter einem vergleichbaren Opel e-Combo, der rund 30 kWh nahm.
Auch abseits der Autobahn war der Stromverbrauch für so ein sperriges Ding bei winterlichen Temperaturen zwischen null und fünf Grad gut. Meistens zeigte der Bordcomputer zwischen 18 und 20 kWh / 100 km an, wenn es über Bundesstraßen oder durch die Stadt ging. Übers Jahr betrachtet sollte man eher mit 150 km Reichweite statt mit der WLTP-Werksangabe von 287 km rechnen.
Bei ausgekühlter Batterie niedrige Ladeleistung
Aber Vorsicht, diese Werte beziehen sich auf das warmgefahrene Auto. Im Ultrakurzstreckenbetrieb und winterlicher Aufheizphase konnte der Stromverbrauch bis auf 60 kWh / 100 km ansteigen, und es ist zu bedenken, dass wir anders als Handwerker mit wenig Beladung unterwegs waren. Bis zu 526 kg sind möglich. Die Anhängelast beträgt 1,5 Tonnen, und die Dachlast liegt bei 100 kg.
Das Aufladen der Traktionsbatterie wiederum ist im besten und schlechtesten Sinn Renault-typisch. Der Kangoo Rapid hat serienmäßig ein elf kW AC-Ladegerät. Gegen den heftigen Aufpreis von 2.750 Euro netto gibt es das vertraut fiepende 22 kW-Ladegerät. Es ist eine Empfehlung für alle, die an den vielen, vielen AC-Ladepunkten in der Frühstückspause mal eben ein paar Kilowattstunden ziehen wollen. Für weitere 1.000 Euro ist der Renault DC-fähig mit bis zu 80 kW Ladeleistung.
Prüfen Sie also, wie lang Ihre Touren und die Standzeiten sind, um klug zu entscheiden. Keine Wahl bleibt beim Kälteproblem, das der Kangoo von La Zoe geerbt hat: Bei vollständig ausgekühlter Traktionsbatterie brach die erzielbare Ladeleistung auf fünf kW ein. Ist das System auf Normaltemperatur, läuft dagegen alles wunderbar. Tägliche Nutzer werden dieses Phänomen kaum spüren – außer am Montagmorgen im Januar, falls der Kangoo Rapid zwei Nächte in der Kälte stand.
Nicht günstig, aber gut
Der Testwagen war bis Oberkante Unterlippe ausgestattet. Der Nettopreis von 47.455 Euro steht symbolisch dafür. Viele Extras sind nicht notwendig. Wer keine Heckfenster hat, sollte zumindest das City-Paket 3 mit Rückfahrkamera wählen. Serienmäßig ist aber zum Beispiel die Klimaautomatik, die faktisch eine Standheizung ist. Angenehm.
Auch bei der Beschränkung auf den Grundpreis von 33.990 Euro bleiben Besteller weit entfernt vom billigsten Kangoo Rapid mit Verbrennungsmotor, der ab 20.450 Euro netto zu haben ist. Die Autoindustrie reguliert über solche Mehrpreise die Nachfrage.
Es wird trotzdem viele Käufer geben. Das liegt zum einen daran, dass der E-Tech wesentlich komfortabler und kraftvoller fährt als die Pendants mit Otto- oder gar Dieselmotor. Wer Strom selbst produziert, kann außerdem die Unterhaltskosten deutlich senken. Fuhrparkmanager wiederum haben es sich längst zur Pflicht gemacht, einer Flotte konventioneller Fahrzeuge auch ein paar elektrische zur Seite zu stellen. Daten sammeln, Erfahrungen machen.
Der Renault Kangoo Rapid E-Tech Open Sesame ist der moderne Begleiter für den Handwerker. Leicht in der Handhabung, lebenspraktisch begabt und mit allen denkbaren Ladeoptionen für a) Gegenstände und b) Strom. Ob er das Geld wert ist, muss jeder auf Basis seiner Total Costs of Ownership entscheiden. Wenn die Reichweite für den Alltag groß genug ist, ist er in den Eigenschaften besser als die Versionen mit Verbrennungsmotor.
Erschienen bei ELECTRIVE.net.