Angebotsengpässe. Produktionsausfälle. Arbeitsplatzverluste. Die Abgasnorm Euro 7 wird drastische Folgen haben. Das zumindest sagen der nationale und der europäische Verband der Automobilindustrie VDA und ACEA. Die Pläne der Europäischen Kommission wären „technisch und terminlich kaum erfüllbar“ , befürchtet Hildegard Müller, die Präsidentin des VDA. Europaweit könnten bis zu 300.000 Jobs verloren gehen, rechnet Luca di Meo vor, der Präsident der ACEA und zugleich CEO der Renault Group ist. Ist das professionelles Gejammer, um die Verhandlungen zur Abgasnorm Euro 7 zu beeinflussen – oder ein reales Szenario?
Die Europäische Kommission hatte am 9. November den Entwurf zur Neufassung der Vorgaben veröffentlicht. Ein interessanter Aspekt ist, dass neben den bekannten Grenzwerten für Partikel- und Stickoxidemissionen auch Mechanismen aufgenommen wurden, die Elektroautos betreffen: So werden mit der Euro 7 auch Limits für Brems- und Reifenabrieb sowie eine Mindesthaltbarkeit für die Traktionsbatterie eingeführt.
Unrealistisches Startdatum
Zugleich ist die Euro 7 wahrscheinlich die letzte Abgasnorm für Verbrennungsmotoren. Eigentlich, so der Plan der Europäischen Kommission, soll sie sowohl für neue Typprüfungen – also bei der Einführung eines Automodells – als auch für alle Erstzulassungen am 1. Juli 2025 in Kraft treten.
Lebenspraktisch wird dieses Datum nicht zu halten sein. Das liegt am Gesetzgebungsprozess: Nach Ablauf der Rückmeldungsfrist am 9. Februar (das war der Anlass für die jüngsten öffentlichen Äußerungen) startet der Trilog: Die Europäische Kommission, das Parlament und der Rat verhandeln. Ein Ergebnis wird frühestens Anfang 2024 erwartet. Es kann auch länger dauern.
Nach der Verabschiedung müssen die Automobil- und Zulieferindustrie die technischen Maßnahmen zur Erfüllung der Abgasnorm Euro 7 zu Ende entwickeln und in der Produktion umsetzen. Anschließend müssen sämtliche Autotypen geprüft und zertifiziert werden. Es ist eine Illusion anzunehmen, dass das in einem guten Jahr möglich ist. Brüsseler Kreise gehen davon aus, dass eine Verschiebung bis 2027 unvermeidbar ist.
Wenn die EU also die eigenen Prozesse nicht deutlich beschleunigt oder alternativ den Starttermin von Euro 7 auf 2027 oder noch später verlagert, würde das zu einem größeren Zulassungschaos als gegen Ende des letzten Jahrzehnts führen: Schnell aufeinanderfolgende Subnormen der Euro 6 hatten Halden von Neufahrzeugen produziert, die auf die Zertifizierung warten mussten. Ein Desaster.
In diesem Punkt hat VDA-Präsidentin Müller nach allem, was vernünftig annehmbar ist, Recht. Das Problem des VDA bleibt, dass die Glaubwürdigkeit seit Dieselgate stark beschädigt ist und der Verband weiterhin mit nicht nachvollziehbarer Polemik agiert – und dazu gehört die Behauptung, die formulierten Ziele der Abgasnorm Euro 7 wären auch technisch kaum erfüllbar.
Die Frage ist nur: Was kostet das?
Schärfere Grenzwerte, Streichung der Toleranz
Die Euro 7 wird, so viel steht fest, gleiche Emissionsgrenzwerte für Pkw mit Otto- und Dieselmotoren bringen. Das bedeutet konkret, dass das Limit für Stickoxide einheitlich bei 60 Milligramm pro Kilometer liegt – ein Viertel weniger als die 80 mg/km, die bisher für Dieselmotoren gültig waren.
Dazu kommt, dass der so genannte Conformity Factor gestrichen wird. Das ist die geduldete Abweichung der tatsächlichen Abgase im realen Straßenbetrieb vom Laborwert. Der beträgt für Stickoxide bisher 1,43 und für Partikel 1,5.
Kern des Streits bei den Verhandlungen um die Abgasnorm Euro 7 ist die Messung im Straßenbetrieb, abgekürzt RDE für Real Driving Emissions. Hierbei werden die Autos im öffentlichen Verkehr bewegt und mit einem mobilen Messgerät (PEMS für Portable Emissions Measurement System) ausgerüstet.
Was ist realer Straßenbetrieb?
Bei RDE gibt es zurzeit etliche Ausnahmeregeln, die zum Beispiel die Kaltstartphase betreffen. Der Beginn der Messung wird gar nicht berücksichtigt, und danach darf vorübergehend nur 20 Prozent der Leistung abgerufen werden. Außerdem ist eine exakte Drittelung von Stadt-, Überland- und Autobahnverkehr vorgegeben, und es gibt ein eingeschränktes Temperaturfenster.
Der Streit um die Definition der Straßenmessung RDE ist keineswegs trivial. So fordert der VDA, dass der Missbrauch durch den Testfahrer in Form des Biased Driving ausgeschlossen wird. Das vorsätzliche und praxisfremde Gasgeben soll verhindert werden.
Jan Dornoff vom International Council on Clean Transportation (ICCT) begrüßt dagegen die Fassung der Europäischen Kommission zur Abgasnorm Euro 7 im Grundsatz. Aber „wir plädieren für ambitioniertere Schadstoffgrenzwerte für PKWs und Vans, strengere Dauerhaltbarkeitsanforderungen für Abgasreinigungssysteme und Traktionsbatterien und erweiterte Umgebungsbedingungen bei der Messung im Straßentest“, so Dornoff.
Elektrische Zuheizer erforderlich
Wenn die Umgebungsbedingungen erweitert werden, also etwa die Kaltstartphase verkürzt oder das Temperaturfenster vergrößert wird, wird die Abgasreinigung aufwendiger. Für Dieselmotoren ist annehmbar, dass ein elektrischer Zuheizer notwendig wird, der die SCR-Systeme schneller auf Arbeitstemperatur bringt. Einige Pkw haben den bereits. Für Ottomotoren wiederum wird wahrscheinlich ebenfalls ein Zuheizer, eine leichte Vergrößerung des Katalysators und des Partikelfilters installiert werden müssen.
Die Europäische Kommission hat im Vorfeld des Entwurfs die Auswirkungen von drei verschiedenen Grenzwertverschärfungen auf Fahrzeugkosten in so genannten Impact Assessments berechnet. Der tatsächliche Entwurf orientiert sich an einer mittelmäßig ehrgeizigen Absenkung.
Die in der Prognose geringsten Mehrkosten in Höhe von 139 Euro nimmt die EU-Kommission für einen Kleinwagen mit Ottomotor und einem Verkaufspreis von 17.282 Euro an. Die höchsten Mehrkosten in Höhe von 440 Euro werden für einen großen Pkw mit Dieselmotor und einem Verkaufspreis von 64.581 Euro fällig. Beide Annahmen würden nicht zu einer Absatzkrise führen.
Investitionen sinnvoll lenken
Die größten Probleme bekommen nach diesem Impact Assessment Kleinwagen mit Dieselmotor. Für diese Gattung müssen 368 Euro mehr für die Abgasreinigung ausgegeben werden, was bei einem angenommenen Verkaufspreis von 17.144 Euro einer Steigerung von 2,15 Prozent entspricht. Während solche Pkw in Deutschland kaum noch angeboten werden, gibt es in Italien durchaus noch neue Kleinwagen mit Dieselmotor.
Im Trilog haben Europäische Kommission, Parlament und Rat sowie die beratenden Fachgremien nun die Gelegenheit, über die exakte Ausgestaltung von RDE zu entscheiden. Das Ergebnis wird die mutmaßlich letzte Abgasnorm für Pkw mit Verbrennungsmotoren sein. Wird die Ausgestaltung der Abgasnorm Euro 7 zu streng, fehlen der Industrie Milliarden, die eigentlich in die Elektromobilität fließen könnten. Wird sie zu lasch, wird die Atemluft über den Lebenszeitraum dieser Pkw unnötig belastet.
Erschienen bei heise Autos.
Interessant ist der Ansatz des „biased driving“. Sagen die Autohersteller damit nicht, dass ihre absurden Leistungsangaben eigentlich gar nicht abgerufen werden dürfen, weil die Abgasnachbehandlung nur für eine viel kleinere Leistung ausgelegt ist? Ein Auto mit 300 PS hat jedenfalls keinen doppelt so großen Kat wie ein 150-PS-Auto. Der nötig größere Kat würde ja auch selten genutzt.
Vermutlich müssen die starken Varianten zusammengestrichen werden – für eine bessere Abgasanlage fehlt der Platz. Eine Begrenzung der Maximalleistung muss weder an der Fahrbarkeit noch das Leistungsempfinden des Fahrers beeinträchtigen. Wer dreht den Motor schon aus?