Das Aufladen eines batterieelektrischen Autos dauert zehn Sekunden. So zumindest argumentieren die Befürworter dieses Antriebs – und meinen lediglich das Einstecken und Abziehen des Kabels. Die Zwangspause dazwischen aber kann elend lang werden. Wie lang die Geduldsprobe tatsächlich wird, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Es ist kompliziert. Eindeutig ist nur: Laden ist nicht Tanken.
Die Umgewöhnung auf die Eigenarten eines batterieelektrischen Autos werden Tausende Käufer 2020 mit dem Volkswagen ID.3 durchmachen. 30.000 Exemplare sind angezahlt. Volkswagen könnte auch sechsstellige Stückzahlen produzieren, wenn die Nachfrage so hoch sein sollte. Die Ingenieure aus Wolfsburg haben dem lokal emissionsfreien Pendant zum Golf ein für diese Preisklasse übliches Technikpaket mitgegeben: Der Kunde kann zwischen drei Batteriegrößen mit 45, 58 und 77 Kilowattstunden (kWh) Speicherkapazität wählen.
Unabhängig von den gesetzlichen Reichweitenangaben ist bei Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn mit einem Stromverbrauch von 20 bis 25 Kilowattstunden auf 100 Kilometer (km) zu rechnen. Abseits von A7 und A2, auf Bundes- und Landstraßen sowie in der Stadt, dürften es um die 15 kWh sein. Übersetzt bedeutet das: Wer sein Elektroauto lediglich für die Tour in die nahegelegene Großstadt, als Kinder-Shuttle oder für den Einkauf im Supermarkt einsetzt, muss vielleicht nur einmal pro Woche nachladen. Wer dagegen eine weitere Reise vorhat, muss die Route sorgfältig planen.
Gemächlich zu Hause mit Wechselstrom
Die entscheidende physikalische Größe für die Geschwindigkeit beim Laden ist die Ladeleistung. Sie wird in Kilowatt (kW) angegeben. Moderne batterieelektrische Autos haben dazu im Regelfall zwei Maximalangaben: Einmal die für Wechselstrom (abgekürzt AC für alternating current) und einmal die für Gleichstrom (abgekürzt DC für direct current).
Beispiel Volkswagen ID.3: Er kann AC-seitig elf kW aufnehmen. Rein rechnerisch sind in einer Stunde also elf kWh in der Batterie. Eine typische Größe für ein Auto in diesem Segment. Die Ladestation für zu Hause, Wallbox genannt (ca. 1.500 Euro), kann diese Leistung problemlos anbieten. Die Auto-internen Ladegeräte aber sind kostentreibend. Die Hersteller sparen darum gerne daran: Volkswagen verbaut in der Basisversion des ID.3 lediglich 7,4 kW Leistung. So macht es auch Opel beim Corsa-E. In den höheren Ausstattungen sind es elf kW. Ein Smart EQ schafft 4,6 kW und gegen Aufpreis von 840 Euro 22 kW – er ist dann also fast fünf Mal so schnell und entsprechend praxistauglicher. Und ein Jaguar I-Pace hat zwar eine sehr große Batterie, kann aber auch gegen Geld AC-seitig nicht mehr als 7,2 kW laden.
Wie zügig es vorangeht, ist beim Laden mit Wechselstrom ohnehin oft von untergeordneter Bedeutung. Wenn das Elektroauto über Nacht in der Garage oder tagsüber auf dem Firmenparkplatz steht, kann es gemächlich Strom an der Wallbox ziehen. Das schont außerdem die Batterie. Bei einer großen Urlaubsfahrt sind die Bedürfnisse genau umgekehrt. Jetzt kann eine unfreiwillig lange Pause quälend sein. Die Nutzer legen darum großen Wert auf Schnell-Ladesäulen, die Gleichstrom (DC) liefern. Und davon möglichst so viel, wie das Auto verträgt.
So schnell wie möglich an Gleichstrom-Ladesäulen
Im Fall des Volkswagen ID.3 sind das bis zu 100, 125 oder 150 kW. Je größer die Batteriekapazität, desto mehr Ladeleistung erlaubt der ID.3. Zum Vergleich: Der e-Golf, der jetzt aus dem Programm genommen wird, hat höchstens 40 kW zugelassen. Ein Audi e-tron schafft 150 kW. Und ein Porsche Taycan sogar 270 kW. Bei diesen batterieelektrischen Autos, die alle auf den euro-amerikanischen Steckerstandard CCS setzen, sind noch viele DC-Säulen im Bestand, die lediglich 50 kW abgeben. Relativ neue Standorte wiederum liegen bei 150 kW, und einige wie die des europaweiten Netzwerks Ionity gehen sogar bis 350 kW.
Ein Volkswagen ID.3 aus der inzwischen ausverkauften 1st Edition hat das mittlere Batteriepaket mit 58 kWh Kapazität und eine maximale DC-Ladeleistung von 125 kW. Vorausgesetzt, die Säule bietet eine entsprechend hohe Power an, sind in einer Viertelstunde also 31,25 kWh in der Batterie. Strom für rund 150 Autobahnkilometer. Wenn vorm Ladevorgang noch 20 Prozent Restkapazität vorhanden waren, sind es in diesem Beispiel danach 74 Prozent. Mathematisch jedenfalls.
Nachlassen bei Hitze- oder Kältestress
Denn die von den Herstellern angegebene maximale Gleichstrom-Ladeleistung kann von den batterieelektrischen Autos nicht dauerhaft gehalten werden. Spätestens ab einem zu 80 Prozent gefüllten Akku regelt die Software zu Gunsten der Dauerhaltbarkeit runter. Die meisten früher. Etliche Elektroautos wie etwa der Nissan Leaf haben keine aktive Kühlung. Weil sich die Batterie durch das Laden erhitzt, sinkt die Geschwindigkeit nach dem zweiten Schnell-Ladevorgang auf einer Langstrecke beim Leaf deutlich ab. Dann kann es eine Stunde dauern, um Strom für 100 weitere Autobahnkilometer zu bekommen.
In der Szene der Elektromobilisten ist dieses Phänomen als Rapidgate bekannt geworden. Es schränkt die Nutzbarkeit auf langen Strecken erheblich ein und betrifft keineswegs nur den Nissan. Etliche Elektroautos lassen es bei Hitzestress langsamer angehen. Dass es anders geht, zeigt Audi beim e-tron: Vier getrennt regelbare Kühlkreisläuse halten die Batterie im Wohlfühlbereich. Im Test von ZEIT ONLINE konnte der elektrochemische Speicher des e-tron auch bei massiver Provokation nicht überhitzt werden.
Neben zu hohen Temperaturen reduzieren auch sehr niedrige die Ladeleistung. Die Standzeit verlängert sich folglich. Kaufinteressenten aller Marken sollten darum das Kleingedruckte in den Optionslisten lesen: Manchmal gibt es eine aufpreispflichtige interne Heizung. Diese kann auch in einem Ausstattungspaket versteckt sein. Neugierige sollten sich genau informieren und auch die bekannten Foren wie Going Electric lesen.
Zusammengefasst: Beim Laden mit Wechselstrom – zu Hause an der Wallbox, beim Arbeitgeber oder an vielen öffentlichen Ladepunkten – kommt es im Alltag nicht auf Topspeed an. Besitzer, die ihr Elektroauto für kurze Distanzen nutzen wollen, können sich entspannt zurücklehnen. Unterwegs dagegen, an den leistungsstarken DC-Ladesäulen, kann es schwierig und ermüdend werden. Zwar bietet die Infrastrukturbranche immer höhere Leistung von jetzt bis zu 350 kW an, und der neue japano-chinesische Standard ChaoJi will sogar 900 kW realisieren. Die Batterien aber können dieses Angebot auf absehbare Zeit nicht umsetzen.
Erschienen bei ZEIT ONLINE.