Es ist eine dringende Empfehlung: Wenn Deutschland die Klimaschutzziele im Verkehrssektor erreichen wolle, wäre eine verbindliche Quote für Elektroautos richtig, sagt der Sachverständigenrat für Umweltfragen. 25 Prozent im Jahr 2025 lautet der Vorschlag. Das Gremium berät die Bundesregierung seit Jahrzehnten. Wenn die aber nur geschäftsführend im Amt ist, wird wenig beschlossen – anderswo wird unterdessen gehandelt.
China etwa macht Ernst. Ab 2019 gilt eine Mindestquote für Elektroautos von zehn Prozent. Die Folge: Innerhalb kurzer Zeit werden auf den Straßen von Peking und Changchun mehr Batterie-elektrische Autos und Plug-In-Hybride rollen als bisher im Rest der Welt – die Luft soll schließlich besser werden. Vor allem aber ist die Quote ein industriepolitisches Instrument und eine Maßnahme zur Stärkung der eigenen Wirtschaft. China ist zum wichtigsten Markt für die internationale Autoindustrie geworden: Nach gut elf Millionen Verkäufen im Jahr 2010 stiegen die Absatzzahlen 2016 auf über 23 Millionen. Und der Staat schreibt rigide vor, dass im Inland produzierte Fahrzeuge nicht von Herstellern wie Volkswagen gebaut werden. Stattdessen entstehen Joint-Ventures mit mehrheitlich chinesischer Beteiligung wie FAW-Volkswagen.
Vorbild des chinesischen Elektrifizierungsmodells ist der US-Bundesstaat Kalifornien. Um der üblen Luftqualität zu begegnen, wurde dort 1967 das California Air Resources Board (CARB) gegründet. Die Behörde ist vielen Deutschen seit Dieselgate ein Begriff. Das CARB hat eine gesetzliche Verpflichtung für emissionsfreie Autos, ein so genanntes ZEV-Mandat (für Zero Emission Vehicle) durchgesetzt; 2018 müssen 4,5 Prozent aller neu zugelassenen Pkw die Anforderungen erfüllen. Kalifornien hat hierzu ein System eingeführt, dass unterschiedliche Antriebsarten individuell gewichtet: So fließt ein Plug-In-Hybrid in Abhängigkeit der elektrischen Reichweite mit dem Faktor 0,4 bis 1,3 ein. Ein Batterie-elektrisches Auto mit mehr als 320 Kilometern Aktionsdistanz wird dreifach angerechnet. Der heimische Hersteller Tesla, bei dem alle Modelle diese Strecke schaffen, hätte also mit absoluten 1,5 Prozent bereits das Soll von 4,5 Prozent erfüllt.
China orientiert sich am kalifornischen System
Darüber hinaus steigt das ZEV-Mandat jährlich um 2,5 Prozentpunkte auf 22 Prozent im Jahr 2025 an. Für China ist beschlossen, dass die Startquote von zehn (2019) auf zwölf Prozent im Folgejahr erhöht werden soll und ein ähnliches Anrechnungssystem wie in Kalifornien in Kraft gesetzt wird. Professor Stefan Bratzel vom Center Automotive Management (CAM) der Universität Duisburg erklärt die Absicht der Chinesen: „Die Umweltsituation vor Ort ist wirklich katastrophal. So kann es nicht weitergehen. Aber das ist eine eher vordergründige Motivation. Wichtiger sind industriepolitische und volkswirtschaftliche Aspekte“, sagt Bratzel. Zum Beispiel die Konkurrenzfähigkeit: Die chinesischen Ingenieure haben es bisher nicht geschafft, ihren Rückstand beim Verbrennungsmotor wettzumachen. Gleichzeitig stört es die Regierung, dass mit dem extremen Wachstum des Fahrzeugbestands immer mehr Devisen für Erdölimporte ausgegeben werden.
So trifft es sich gut, dass China große Vorkommen an seltenen Erden hat, die für die Produktion von Elektromotoren wichtig sind. Und wenn die Prognosen stimmen, werden 2020 mehr als die Hälfte aller weltweit gefertigten Batteriezellen ebenfalls aus China kommen. Was liegt da näher, als die eigene Industrie zu unterstützen, Fremdfirmen langfristig zu verdrängen und sogar deren Heimatmärkte in den USA und Europa ins Visier zu nehmen?
Die Europäische Union dagegen tut nichts. Zumindest dem Anschein nach: Der Vorschlag der EU-Kommission zur CO2-Reduzierung der Autos für das Jahr 2030 sieht zwar eine 30-prozentige Quote für Nullemissionsfahrzeuge vor. Aber die Kommission hat es – dem Vernehmen nach durch direkte Lobbyarbeit des VDA-Präsidenten Matthias Wissmann (CDU) – unterlassen, Sanktionen bei Nichterfüllung ins Papier zu schreiben. Damit ist dieses Instrument wirkungslos. Auf den ersten Blick ein Erfolg für die Industrievertreter, wie vielfach kolportiert wurde. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich trotzdem, dass es schon viel früher als 2030 nicht mehr ohne Ladestecker geht.
Indirekte Quote durch CO2-Grenzwerte der EU
Faktisch hat die EU nämlich längst eine indirekte Quote: Das CO2-Flottenziel von 95 Gramm im Jahr 2021. Für jedes einzelne Auto müssen pro Gramm Überschreitung 95 Euro nach Brüssel überwiesen werden. Eine sehr hohe Summe, denn in der Branche wird üblicherweise um jeden Zehntelcent hart gekämpft. Und in der Vergangenheit sah es tatsächlich so aus, als würde es den Herstellern gelingen, den Zielkorridor einzuhalten.
Zwei Trends stehen dem deutlich entgegen. Zum ersten der SUV-Boom. Kein Segment hat größere Zuwachsraten. Dass es hier neuerdings eher um Kompaktwagen wie den Volkswagen T-Roc geht und nicht um traditionelle schwere SUVs vom Format eines Range Rover, ist dabei nur ein kleiner Trost. Diese kleinen oder mittelgroßen Autos sind keine Spritsäufer. Sie verbrauchen jedoch wegen der schlechteren Aerodynamik und ihres höheren Gewichts das entscheidende Stück mehr, das den Herstellern die CO2-Bilanz verdirbt.
Letzter Ausweg Ladestecker
Das zweite Negativsignal ist die Abkehr vom Dieselmotor, ein Trend, der in ganz Europa zu beobachten ist. Ohne den Selbstzünder wird es in den höheren Fahrzeugklassen kaum möglich sein, die CO2-Vorgaben einzuhalten. E-Autos sind das Gegenmittel. Die Premiummarke BMW etwa profitiert vom Engagement in der elektrischen i-Reihe: Im September hatten 4,2 Prozent der in Deutschland neu zugelassenen BMWs einen Ladestecker.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Ankündigung des Daimler-Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche zu verstehen, die nächste Baureihe des Smart ab 2020 nur noch elektrisch anzubieten. Jeder dieser Kleinwagen geht dann mit Null in die Flottenemissionen des Konzerns ein und bildet das notwendige mathematische Gegengewicht zu Mercedes S-Klasse und einem GLS-SUV.
Der Druck auf die Hersteller ist also selbst ohne Pflichtquote oder den drohenden Ausschluss von Verbrennungsmotoren hoch. Gleichzeitig wächst mit den jährlichen Gesamtproduktionszahlen, die bald über 100 Millionen liegen werden, die Erkenntnis: Ohne das Fahren mit Strom wird es nicht gehen. Der schlichte Ersatz des Antriebsstrangs durch einen anderen allerdings wird nicht die Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme sein.
Erschienen am 27. November bei ZEIT ONLINE.