Anoden mit Silizium-Beimischung

NMC oder LFP? Bei der Zellchemie für die Traktionsbatterie im Elektroauto wird meistens über die Kathodenseite geredet. Hier hat sich mit dem steigenden Nickelanteil bei NMC und der massenhaften Verbreitung der robusten LFP-Zellen viel getan. Die Anode dagegen wurde weitgehend ignoriert: Sie besteht nahezu überall ausschließlich aus Grafit. Das Potenzial für die Ladegeschwindigkeit und die Energiedichte wurde übersehen und vernachlässigt. Materialforscher und Autoindustrie sind aber dabei, das zu ändern. Der Anode wird mittelfristig Silizium beigemischt werden, und sogar die Idee einer 100-prozentigen Siliziumanode ist nicht undenkbar.

Der Ist-Stand ist die Grafitanode. Das Material ist seit Beginn der Lithium-Ionenzellen der Standard. Vereinfacht gesagt ist Grafit reiner Kohlenstoff wie in einer Bleistiftmine. Es ist als Naturgrafit leicht verfügbar und bewährt, es hat eine lange Lebensdauer und eine brauchbare Kapazität. Ein strategischer Nachteil ist, dass die Abhängigkeit von China als Herstellungsland fast komplett ist, und die Produktion ist energieintensiv. Alternativ kann Grafit auch synthetisch hergestellt werden. Allerdings sind für den Prozess sehr hohe Temperaturen und also noch mehr Energie notwendig.

Die Grafitanode begrenzt die Ladeleistung

Grafit ist verlässlich – aber es setzt Grenzen, wie Dr. Johannes Kasnatscheew erklärt. Er ist Bereichsleiter Materialien am MEET (Münster Electrochemical Energy Technology): „Grafit benötigt viel Volumen in der Zelle und ist zudem nicht ideal fürs schnelle Laden“, so Kasnatscheew vom Batterieforschungszentrum der Universität Münster. Beim Schnellladen kann sich das Lithiummetall an der Oberfläche der Anode abscheiden, was zum einen ein Sicherheitsrisiko darstellt und zum anderen die Kapazität minimiert. Dieses so genannte Lithium Plating ruiniert die Dauerhaltbarkeit.

Die Autoindustrie zeigt aber seit Jahren Charts, in denen die Laderate in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts auf und über 4C steigen wird. Übersetzt: Eine Vollladung dauert 15 oder weniger Minuten. Die wichtigste Voraussetzung hierfür ist aus heutiger Perspektive ein leistungsstarkes Heiz- und Kühlsystem. Die technische Fantasie ist groß und vielfältig, um die Zellen auf Wohlfühltemperatur zu bringen.

Porsche-Plattform J1 mit Siliziumbeimischung

Ein sehr großes Potenzial fürs Schnellladen bei gleichzeitiger Verbesserung der Energiedichte haben Anoden, denen Silizium beigemischt wird. Im einstelligen Prozentbereich gibt es das derzeit nur im Porsche Taycan sowie im gleichfalls auf der Plattform J1 basierenden Audi e-tron GT.

Porsche hat noch keinen detaillierten Einblick in die Traktionsbatterie des frisch überarbeiteten Taycan erlaubt. Die Praxistests in Kalifornien zeigen eine überzeugende Ladekurve, die weit über 300 Kilowatt (kW) in der Spitze erlaubt und lange konstant ist. Mutmaßlich ist es die Verbesserung der Kombination aus einem leistungsstarken Heiz- und Kühlsystem sowie der Siliziumbeimischung an der Anode, die zu einer nochmaligen Steigerung geführt hat.

Silizium kann viel mehr Lithium zwischenspeichern

„Entscheidend ist, dass ein Atom Silizium bis zu 3,5 Atome Lithium aufnehmen kann“, erklärt Dr. Johannes Kasnatscheew vom MEET. Zum Vergleich: Um ein Atom Lithium aufzunehmen, bräuchte es wiederum sechs Kohlenstoffatome, also Grafit. „Silizium ist schwerer als Kohlenstoff, was das Plus teilweise konterkariert. In der massebezogenen Kapazität liegt die Bilanz trotzdem noch bei circa Faktor 10“, sagt der Materialforscher.

Das Problem: Die Ladungsaufnahme und -abgabe in einer Siliziumanode führt zu einer großen Volumenausdehnung und anschließenden -schrumpfung. Dieser extreme Materialstress verkürzt die Lebensdauer stark. Die Beimischung eines geringen Anteils von Silizium in eine bestehende Grafitanode ist aktuell der Kompromiss.

Forschung an reiner Siliziumanode

Eine reine Siliziumanode würde theoretisch zu einer im Volumen erheblich kleineren und im Gewicht leichteren Batteriezelle führen. Es ist Gegenstand der Forschung, dem Materialstress beim Laden und Entladen entgegenzuwirken. Unter anderem hat die Europäische Investitionsbank (EIB) dem Unternehmen Graphenex Development Inc (GDI) jüngst einen Kredit in Höhe von 20 Millionen Euro bewilligt. Wenn alles klappt, soll eine industrielle Produktion in Deutschland aufgebaut werden. Formal könnte eine Batteriezelle mit einer 100-prozentigen Siliziumanode einer echten All Solid State-Batterie mit reiner Lithiumanode Paroli bieten.

Es ist unklar, ob dieses Ziel erreicht wird. Bis dahin bleibt es bei der Beimischung mit den entsprechenden Vorteilen. Das nächste Elektroauto, für das eine Zellchemie mit Siliziumbeimischung angekündigt ist, ist der Mercedes CLA. Er wird ab 2025 verkauft.

Im Grundsatz führt die Vielzahl an kontinuierlichen Fortschritten bei der Zellchemie sowie bei den wohltemperierten und in der Spannung steigenden Batteriesystemen zu immer besseren Elektroautos. Die Revolution ist ausgeblieben, die Evolution findet statt. Hierzu wird die Beimischung von Silizium an der Anode einen Beitrag leisten.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Porsche

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