Du sollst nicht Fremdladen

Nur noch 26 Cent pro Kilowattstunde: Nach Angaben des Vergleichsportals Verivox ist der Strompreis in Haushalten stark gesunken. Die Voraussetzung ist allerdings, dass die Kundinnen und Kunden bereit sind, den Anbieter zu wechseln. Ein Vorgang, der niederschwellig möglich ist. Auch wer ein Elektroauto fährt und an öffentlichen Säulen lädt, profitiert neuerdings von niedrigeren Energiepreisen. Einen liberalisierten Markt wie bei den Haushalten gibt es für die Nutzer der Ladeinfrastruktur trotzdem nicht – eher gleicht die Situation der Frühzeit der Mobilfunktarife und ohne Aussicht auf eine Flatrate.

Konkret hat zum Beispiel der Ladesäulenbetreiber Ionity, der ein europaweites Netz betreibt, den Strompreis auf 39 Cent pro Kilowattstunde gesenkt. Das gilt jedoch nur an den eigenen Standorten des Charge Point Operators (abgekürzt CPO). Außerdem muss eine monatliche Grundgebühr von 11,99 Euro bezahlt werden. Ein Angebot, das sich an Vielfahrer richtet. In einem anderen Tarif mit einer Grundgebühr von 5,99 Euro kostet die Kilowattstunde bereits 49 Cent. Und ohne Vertrag (Branchensprache: Ad hoc-Laden) sind es sogar 69 Cent.

1.000 Kilometer für 89,99 Euro

Was das in der Praxis bedeutet, rechnet Stefan Moeller vor. Er ist Geschäftsführer der bundesweiten Elektroauto-Vermietung Nextmove und aktualisiert regelmäßig einen Vergleich der Tarife an öffentlichen Ladesäulen. Legt man einen Stromverbrauch von 20 Kilowattstunden auf 100 Kilometer zu Grunde, ergeben sich bei Ionity Fahrenergiekosten von minimal 89,99 Euro auf 1.000 Kilometer. Diese Strecke entspricht einem typischen ungefähren Monatswert: Laut Kraftfahrtbundesamt wurden 2022 in Deutschland durchschnittlich 12.545 Kilometer mit dem Pkw zurückgelegt.

Beim Konkurrenten EnBW (Energie Baden-Württemberg) sind es wegen der höheren Grundgebühr von 17,99 Euro pro Monat bei gleichfalls 39 Cent pro Kilowattstunde 95,99 Euro. Und an den Superchargern von Tesla sind für Fremdmarken 9,99 Euro fällig, woraus sich wegen der nach Tageszeit schwankenden Preise laut Nextmove 84,99 Euro bis 103,99 Euro für 1.000 Kilometer ergeben. Wohlgemerkt ausschließlich an den Standorten des jeweiligen Betreibers.

Die Preissenkungsrunde wäre vollständig, wenn unter den großen CPOs auch Aral Pulse in Kürze nachziehen würde. Aral Pulse hatte jüngst EnBW als Kooperationspartner von ADAC e-charge abgelöst und wird so zu einem der Anbieter mit dem größten Kundenkreis in Deutschland.

Grundgebühr als Kundenbindungsinstrument

Die unübersichtliche Kombination aus Grundgebühr plus Preisen pro Kilowattstunde, die für die individuelle Nutzung berechnet werden muss, ähnelt stark an frühe Mobilfunktarife: „Das Ziel ist die Bindung der Kundinnen und Kunden an die selbst aufgebaute Ladeinfrastruktur“, erklärt Stefan Moeller von Nextmove. Mit in der Folge steigender Auslastung hätten die Betreiber eine bessere Chance für die Amortisation der hohen Investitionen, so Moeller.

Und auch das gehört dazu: Für die genannten 89,99 Euro lassen sich bei einem Preis von aktuell 1,88 Euro pro Liter knapp 48 Liter Superbenzin E5 kaufen. Ein Auto mit Verbrennungsmotor dürfte also lediglich 4,8 Liter pro 100 Kilometer verbrauchen, um Preisparität zu erreichen. Werte, die bestenfalls von sparsamen Toyota-Hybriden erreicht werden. Und ein Elektroauto, das zu Hause zu den von Verivox gemeldeten 26 Cent pro lädt, ist in jedem Fall günstiger als ein Pkw mit Otto- oder Dieselmotor.

Zurück zur öffentlichen Ladeinfrastruktur. Was die Fahrenergie hier kostet, ist nicht nur bei der Urlaubstour auf der Autobahn relevant, sondern auch für die vielen Menschen, die keinen eigenen Stellplatz haben. Sie müssen genau darauf achten, wer der Betreiber einer bestimmten Ladesäule ist, weil sich danach der konkrete Tarif richtet.

Das Problem: Neben den überhöhten Ad hoc-Preisen können Roaminggebühren zu einer Kostenexplosion führen. Kunden der weit verbreiteten Ladekarte des ADAC etwa zahlen bei Ionity oder EWE derzeit 79 Cent pro Kilowattstunde. Und wer einen Vertrag bei EnBW hat, zahlt bei anderen Betreibern zwischen 59 und 89 Cent. Eine Vorab-Recherche in der App ist zwingend.

Mangelhafte Preistransparenz

„Die mangelhafte Preistransparenz ist ein ungelöstes Problem“, stellt dazu Johannes Pallasch, Leiter der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur, fest. Das gelte sowohl für die Endkunden – also die Elektroautofahrer – als auch im B2B-Bereich. Die Roaminggebühren etwa werden frei verhandelt: „Was ist ein gerechtfertigter Preis? Das muss geklärt werden“ sagt Pallasch und fordert in einem ersten Schritt, die Preiskomponenten aufzuschlüsseln. Das Ziel sei in jedem Fall ein fairer Wettbewerb und ein funktionierender Markt.

Dass es so oder so mehr Konkurrenz beim Fahrstrom gibt, liegt am System an sich: Während es praktisch nur Mineralölkonzernen möglich ist, Rohöl-basierte Produkte wie Dieselkraftstoff und Superbenzin herzustellen, kann elektrische Energie von sehr vielen Akteuren gemacht werden. Das Spektrum reicht vom Großversorger über lokale Stadtwerke bis zu eigenen Fotovoltaikanlagen.

Viel preisgünstiger als jetzt wird Strom an öffentlichen Säulen aber kaum werden können. Das liegt unter anderem daran, dass auf jeder Kilowattstunde die volle Steuer- und Abgabenlast liegt, die auch Haushaltskunden bezahlen müssen.

Bürokratieabbau setzt Investitionen frei

Der Anbieter EnBW als einer der größten bundesweiten Betreiber eines Ladenetzes sieht trotzdem weitere Handlungsmöglichkeiten. So könne die „Entschlackung und Entbürokratisierung der Auflagen“ die Kosten senken und so eine positive Auswirkung auf die Endpreise haben, heißt es von der EnBW. Auch eine punktuelle staatliche Förderung zum Beispiel der Netzanschlusskosten könne den Investitionsaufwand für den Aufbau senken.

Diese Förderung hatte es in der Vergangenheit unter vielen Bedingungen gegeben. Mit Ausnahme von auslaufenden Programmen wird der Großteil der öffentlichen Ladeinfrastruktur für Elektroautos inzwischen aber ohne Steuergeld errichtet.

Wegen der stetig steigenden Bestandszahl von Elektroautos und der wachsenden Auslastung rechnen viele Betreiber mittelfristig mit einer Amortisation des Kapitaleinsatzes. Was dagegen aus heutiger Perspektive leider unwahrscheinlich ist, sind Energie-Flatrates wie im Mobilfunkgeschäft. Das würde zwar das Tohuwabohu der Tarife beenden. Erste Versuche in dieser Richtung sind aber am finanziellen Risiko gescheitert.

Erschienen bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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