Dynamische Stromtarife an der öffentlichen Ladeinfrastruktur

Wer keinen eigenen Stellplatz mit Wallbox hat, ist von einigen Vorteilen des Elektroautos ausgeschlossen – vor allem von günstigen Strompreisen: Im Durchschnitt sind zu Hause pro Kilowattstunde laut BDEW 39,6 Cent fällig. In diesem Preis ist eine monatliche Grundgebühr einberechnet. Am günstigsten fährt ein Elektroauto mit Energie aus einer abgeschriebenen Fotovoltaikanlage. Aber auch ohne Solarstrom gibt es reduzierte Netzengelte. Zusätzlich müssen die Versorger seit 1. Januar ein Angebot für einen dynamischen Stromtarif machen, in dem es zu bestimmen Uhrzeiten besonders billig sein kann. In einem Pilotprojekt bei enercity in Hannover wird diese Idee auf die öffentliche Ladeinfrastruktur übertragen: An elf zentralen Standorten in der niedersächsischen Landeshauptstadt sind unter dem Stichwort FlexLaden Ladesäulen mit stündlich wechselnden Tarifen in Betrieb. Grund genug für heise Autos, das in der Praxis auszuprobieren. Bringt das was?

Was enercity hier macht, vereint mehrere Ansätze, die das öffentliche Laden zukünftig attraktiver machen können:

– Die Ladestationen arbeiten mit Gleichstrom (abgekürzt DC für Direct Current) und bieten 150 Kilowatt (kW) Leistung. Solche Schnellladesäulen kosten zwar bei der Investition mehr Geld. Aus der Perspektive der Betreiber sind sie aber wirtschaftlicher, weil pro Zeiteinheit mehr Kilowattstunden verkauft werden können. Das rechnet sich. Außerdem wird der öffentliche Raum besser genutzt: Wenn langfristig der deutsche Fuhrpark vorwiegend auf Elektroautos umgestellt ist, müssen die Ladeplätze zügig für andere freigemacht werden. DC-Säulen sind die logische Antwort.

– Der Strom an diesen Ladesäulen kann ohne Vertrag oder Registrierung freigeschaltet werden. In der Branche heißt das Ad hoc-Laden. Eine zusätzliche Besonderheit beim Pilotprojekt von enercity ist der Partner ev pay: Das auf Software spezialisierte Unternehmen erledigt die Abrechnung eichrechtskonform. ev pay kann unter anderem dynamische Tarife integrieren. Aus Sicht der Elektroautofahrer ist das Bezahlen mit Smartphone oder Kreditkarte besonders niederschwellig. Hierzu stellt ev pay auch den Terminal bereit.

– Dynamische Stromtarife sind kein Selbstzweck. Vielmehr folgen sie dem Prinzip des netzdienlichen Ladens. Die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien liegt im bisherigen Jahresverlauf laut Fraunhofer ISE bei 62,5 Prozent – und sie schwankt. Zugleich ist die Nachfrage volatil. Mit der Lenkungswirkung eines dynamischen Stromtarifs werden Elektroautofahrer dazu bewegt, zu einem sinnvollen Zeitpunkt zu laden. Die Nachfrage wird zum Angebot gelockt. So entsteht potenziell eine Win-Win-Situation.

Also auf nach Hannover. Als Testfahrzeug steht ein Xpeng G6 zur Verfügung, der mit bis zu 451 kW Leistung laden kann. Wie viel geben die Alpitronic-Säulen, die auf 150 kW ausgelegt sind, in der Wirklichkeit her?

Dazu müssen sie erstmal gefunden werden. enercity gibt wegen datenschutzrechtlicher Auflagen zwar die Straße des Standorts, nicht aber die Hausnummer an. Die Säule in der Ritterstraße war trotzdem gut zu sehen – und sie war frei.

Freischalten am Bezahlterminal

Selbstverständlich können an dieser DC-Säule auch Kunden mit einer Ladekarte oder einer Lade-App den Strom freischalten. Der Clou bleibt das Ad hoc-Zahlen mit Kreditkarte. Eine gut erkennbare Grafik macht klar, dass die Kreditkarte vors Bezahlterminal gehalten werden muss. An dieser Stelle wiederum kann es zu Missverständnissen kommen: Im Bedienfeld muss zuerst durch Drücken und Bestätigen die Funktion aktiviert und der gewünschte von zwei Ladepunkten an der Säule gewählt werden.

Anschließend wird die Kreditkarte mit einer imaginären Vorabgebühr von 80 Euro auf Deckung geprüft. Auch das kann irritierend sein, wenn man es nicht gewohnt ist. Abgerechnet wird nur der Strom, der wirklich geflossen ist.

Und der fließt schnell. Der Ladestand des Xpeng G6 bei Ankunft an der enercity-Säule lag bei 78 Prozent. Die Leistung ging sofort auf 149 kW hoch. Das dokumentiert zum einen die immense Schnellladefähigkeit des Xpeng und zum anderen, dass die Alpitronic-Station die volle Leistung freigibt, falls am zweiten Ladepunkt kein Fahrzeug steht – und das war der Fall.

Ad hoc-Laden als Konkurrenz zu Großbetreibern

Das Ad hoc-Laden ohne Registrierung, so viel ist offensichtlich, hat besonders an den Ladeparks von Discountern und Baumärkten ein sehr großes Potenzial. Für diese Betreiber ist es nicht wichtig, die Nutzer in einen Vertrag mit monatlicher Grundgebühr zu nötigen. Mit dem Bezahlterminal klappt die Abrechnung niederschwellig und simpel.

In diesem Zusammenhang muss nochmals die Ist-Situation im öffentlichen Lademarkt geschildert werden: Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur sagt, dass mehr als 95 Prozent der Elektroautos per Vertrag geladen werden. Das Ad hoc-Zahlen hat bisher eine nur geringe Bedeutung.

Der Grund sind Angebote wie der L-Tarif des Marktführers EnBW: An den Standorten dieses Betreibers und wohlgemerkt nur dort kostet die Kilowattstunde 39 Cent, wenn 11,99 Euro monatliche Grundgebühr bezahlt werden. Bei anderen Betreibern kann der Kurs auf bis zu 89 Cent steigen. Vertragsnutzer werden also nach Möglichkeit die EnBW-Säulen nutzen und so besser auslasten.

Der Markt beginnt zu funktionieren

Die Folge ist eine Oligopolbildung. Wenige Teilnehmer bestimmen das Marktgeschehen. Eine ernstzunehmende Konkurrenz entsteht gerade durch die Super- und Baumärkte, für die das Ad hoc-Laden besonders attraktiv ist. Mit Softwarelösungen wie von ev pay ist es problemlos möglich, die Ladevorgänge ins bestehende Kassensystem zu integrieren. So können niedrige Preise realisiert werden.

Von den besonders niedrigen Strompreisen wie bei ALDI (29 bis 47 Cent) oder der EnBW ist enercity noch ein Stück entfernt: enercity gibt jeweils um 13 Uhr die stundenweisen Tarife für den Folgetag bekannt und garantiert zugleich eine Höchstgrenze von 67 Cent pro Kilowattstunde. Beim Experiment von heise Autos waren es 59 Cent. Weniger als 50 Cent sind selten zu sehen.

Um Dumpingpreise geht es in diesem ersten Schritt vielleicht auch nicht. Vielmehr zeigen enercity und ev pay die lebenspraktische Machbarkeit eines Prinzips – und das läuft. Die Prognose: Wenn es nachts um zwei Uhr DC-Strom für 29 Cent pro Kilowattstunde gibt, stehen die Leute auf. Das ist die neue Interpretation der Suche nach der Tankstelle mit dem niedrigsten Spritpreis.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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