Sauber, Mann?!

Der Bluff von Bosch war erfolgreich: Man habe, so hieß es Ende April, einen „Durchbruch“ bei der Abgasreinigung von Dieselmotoren erzielt. Der handgefertigte Prototyp eines Volkswagen Golf TDI unterbot die gesetzlichen Limits der kommenden Euro 6d TEMP-Norm deutlich. Der Minimalwert einer Straßenmessung von 13 Milligramm Stickoxid pro Kilometer wurde als „Rekord“ vermarktet, und das sehr gute Stadtergebnis von durchschnittlich 40 mg / km preist Bosch ebenfalls. Für den Autokäufer ist die PR-Aktion ohne Relevanz, denn bis zur Ablösung durch die achte Generation hat kein einziger Serien-Golf einen SCR-Katalysator zur Stickoxidreduzierung – jene Anlage, mit der Bosch die Emissionen gesenkt hat. Viel beachtenswerter ist, dass immer mehr Neuwagen mit Verbrennungsmotor die Euro 6d TEMP tatsächlich erfüllen. Die Konsequenz könnte nicht weniger als die Rehabilitierung des Dieselantriebs sein. Zugleich kommen die mit Superbenzin betriebenen Ottomotoren der technisch machbaren Reinigungsleistung mit einem Partikelfilter näher.

Die Europäische Union hat in den letzten 25 Jahren regelmäßig die Grenzwerte für Emissionen verschärft. Heute konzentriert sich der Gesetzgeber im Wesentlichen auf drei Faktoren: Die Kohlendioxid- (g CO2 / km), die Stickoxid- (mg NOx / km) und die Partikelemissionen (Masse PM und Zahl PN / km).

Für den Autokäufer schlagen sich die CO2-Emissionen in der Kfz-Steuer nieder. Stickoxide und Partikel dagegen sind für die meisten Fahrer nur interessant, weil sie auf keinen Fall ein Fahrzeug erwerben wollen, das bei der Erstzulassung veraltet ist und dem darum Fahrverbote und Wertverlust drohen.

Entscheidend für die Abgasnorm des Pkw ist nie das Kauf-, sondern das Erstzulassungsdatum. Schauen wir zuerst auf die Pkw mit Ottomotor, die laut Kraftfahrtbundesamt (KBA) im April 62 Prozent aller Neuzulassungen ausmachten.

Ottomotoren mit Direkteinspritzung: Partikelfilter notwendig

Für Benziner greift ab dem 1. September die Euro 6c-Norm. Dann sinkt der Grenzwert für die Partikelzahl (PN) um den Faktor 10. Neu zugelassene Pkw mit Benzindirekteinspritzer werden einen Filter erhalten.

Neben der Erstzulassung gibt es für jede Modellvariante eines Autotyps aber vorher die so genannte Typprüfung oder Homologation. Hierbei wird ein Ur-Fahrzeug repräsentativ für die kommenden Autos dieser Serie auf die Zulassungsfähigkeit getestet. Die Abgasnorm für diese Typprüfung tritt vor denen für die Erstzulassung in Kraft.

Konkret: Seit dem 1. September 2017 müssen bei der Typprüfung alle Pkw mit Benzinmotor die Euro 6d TEMP erfüllen. Für sämtliche neu zugelassenen Benziner gilt die Euro 6d TEMP erst ab dem 1. September 2019, und zwischenzeitlich wirkt die Euro 6c.

Das ist kompliziert? Ja. Trotzdem ist es lohnenswert, sich damit zu befassen. Am Einfachsten ist es, auf die Positivliste des ADAC zu gucken. Hier sind alle Pkw – auch die mit Dieselmotor – erfasst, welche die Euro 6d TEMP einhalten.

Beispiel Volkswagen: Alle TSI-Modelle sind bald – wann genau, ist nicht bekannt – mit einem Partikelfilter ausgerüstet. Davon nicht betroffen sind Varianten ohne Direkteinspritzung. Sie produzieren prinzipbedingt keine Partikel. Die Basismotoren in Up und Polo brauchen also auch in Zukunft keinen Filter. Der Up GTI hat im Gegensatz dazu jetzt schon einen.

Ähnlich sieht es bei Toyota aus, wo die Hybridmodelle eine Kombination aus Elektromotor und traditionellem Saugrohrbenziner sind. Bei den Toyota-Hybriden, die inzwischen mehr als die Hälfte aller Verkäufe des japanischen Weltriesen ausmachen, werden die CO2-Emissionen über die Bremsenergierückgewinnung gesenkt, die Stickoxidwerte über den geregelten Dreiwege-Katalysator eingehalten, und Partikel stoßen sie ohnehin nicht aus. Das Resultat ist ein vergleichsweise umweltschonendes Antriebskonzept.

Für den Gesetzgeber sind die eigenen Fristen ausschlaggebend. Als Faustregel für Käufer von Benzinmotorautos gilt darum: Stichtag ist das Erstzulassungsdatum 1. September 2018. Wer heute kaufen will, sollte sich nach der Positivliste des ADAC richten.

Für Menschen, die ein Auto mit Dieselmotor kaufen wollen, wird die Einkaufswelt gleichfalls besser. Im April machten sie laut KBA 32 Prozent aus.

Mit Euro 6d TEMP könnte der Dieselmotor rehabilitiert werden

Beim Selbstzünder ist der Stichtag der Erstzulassung der 1. September 2019, mithin ein Jahr nach den Benzinern. Dann müssen alle neu zugelassenen Diesel-Pkw die Euro 6d TEMP einhalten. Umso wichtiger ist hier die Positivliste des ADAC, um der Zeit ein wenig voraus zu sein. Es zeigt sich, dass etliche Modelle die kommende Abgasnorm schon unterbieten.

Dabei konzentriert sich die Diskussion auf die Stickoxidwerte, denn einen Partikelfilter haben praktisch alle Dieselantriebe. In Zahlen: Auf dem Laborprüfstand muss ein Wert von 80 mg / km und auf der Straße von 168 mg / km eingehalten werden. Und zur Erinnerung: Laut Umweltbundesamt liegen die Straßenemissionen von Euro 5-Dieseln bei durchschnittlich 906 mg / km und die von Euro 6-Dieseln bisher bei 507 mg / km. Viel zu viel für die Euro 6d TEMP-Norm.

Umso erfreulicher sind die Ergebnisse der ersten Tests des ADAC Technik Zentrums in Landsberg. Dort haben die Ingenieure drei aktuelle Pkw mit Dieselmotor und Euro 6d TEMP-Norm geprüft. Im Labor und auf der Straße.

Peugeot-Serienmodell so gut wie Bosch-Prototyp

Am besten hat der Peugeot 308 abgeschnitten. Die NOx-Werte lagen bei 30 bis 45 mg / km. Das ist nicht nur viel weniger als die gesetzlichen Grenzwerte vorschreiben. Das ist zugleich ungefähr auf dem Niveau, das Bosch in einem Prototyp misst.

Es zeigt sich damit einmal mehr, dass der französische PSA-Konzern die Abgasreinigung sehr ernst nimmt. So hatte Peugeot im Jahr 2000 den Partikelfilter eingeführt, während man bei den deutschen Herstellern noch glaubte, mit „innermotorischen Maßnahmen“ punkten zu können.

Darüber hinaus rüsten die Marken Peugeot und Citroen seit Jahren sämtliche Diesel-Modelle mit dem aufwändigen und kostentreibenden SCR-Katalysator aus. Mit Hardware sind eben bessere Ergebnisse möglich als mit Software.

Im ADAC Technik Zentrum wurden außerdem ein BMW X2 sowie ein Volvo XC60 gemessen. Der Volvo überschreitet beim ADAC-eigenen EcoTest den Grenzwert; dieser aber ist für die Gesetzesnorm unwichtig. Von diesem Ausreißer abgesehen reinigt der Volvo wirksam. Trotzdem zeigt sich: Auch die aktuellen SCR-Reinigungssysteme sind noch nicht das Ende der Entwicklung.

Es ist darum wünschenswert, dass neben den gesetzlich vorgeschrieben Labor- und Straßentests Extremprüfungen eingeführt werden. Die Fragestellung hier sollte nicht sein, ob in bestimmten reproduzierbaren Fahrsituationen alle Grenzwerte eingehalten werden. Vielmehr muss sich die Debatte darauf fokussieren, ob es Situationen gibt – zum Beispiel bei der Autobahnfahrt mit mehr als 130 km/h oder beim winterlichen Kaltstart –, in denen die Abgasreinigung weiterhin disfunktional oder minderwertig ist.

Die Bundesregierung sorgt für Neuwagenverkauf

Wer jetzt einen Diesel-Pkw kauft, der die Euro 6d TEMP erfüllt, ist vorerst auf der sicheren Seite. Die Formulierung ist bewusst vorsichtig gewählt, denn in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die deutsche Bundesregierung selten den Fahrzeugbestand sanktioniert. Auch die Hersteller wurden und werden lediglich in Ausnahmen belastet. Vielmehr hat sich erwiesen, dass die Maßnahmen der Ministerien zum Ergebnis hatten, dass mehr neue Autos verkauft und ältere verschrottet wurden – ganz im Sinn der Industrie.

Auffällig an der Positivliste zu Euro 6d TEMP ist die weitgehende Abwesenheit von Autos aus dem Volkswagen-Konzern. Bei BMW Group, Daimler, PSA inklusive Opel, Ford oder Volvo gibt es eine breite Auswahl an Diesel- und Benzinvarianten. Von Audi, Seat, Skoda und Volkswagen ist kaum ein Modell zu finden. Und von Renault, dem französischen Unternehmen in teilweisem Staatsbesitz, ist überhaupt nichts vorhanden.

Fazit: Es ist eine gute Nachricht, dass jeder Autokäufer die Wahl hat, sich ein Fahrzeug zu kaufen, dass erheblich sauberer ist als die Pkw im Bestand. Besonders Diesel-Autos könnten mit der Euro 6d TEMP rehabilitiert werden. Die Atemluft für die Menschen wird besser werden. In der Stadt, aber auch auf der Autobahn, wo bis heute eine Selbstvergiftung stattfindet. Und ja, das hätte eigentlich längst passiert sein sollen. Dass Bosch für sich reklamiert, in Zukunft eine Abgasreinigung bauen zu können, die anderswo bereits in Serie erhältlich ist, darf als peinlicher Gag abgetan werden. Wirklich unter Druck ist zurzeit der Volkswagen-Konzern. Die Ursache für die fehlenden Euro 6d-Autos ist hoffentlich, dass man es besonders gut machen will.

Erschienen am 31. Mai bei heise Autos. Ein weiterer Beitrag zum Thema lief am 11. Juni bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: ADAC

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