Bescheidenheit kann irritierend wirken. Man wolle, so sagt es Moon-Sik Kwon von Hyundais Entwicklungsabteilung, bis 2020 „zur globalen Nummer Zwei bei den grünen Autos“ werden. Den Weltmarkführer Toyota nennt er nicht beim Namen. Das japanische Unternehmen hat über neun Millionen Hybridautos verkauft. Darüber hinaus ist bei Toyota mit dem Mirai das erste serienmäßige Brennstoffzellenfahrzeug erhältlich, das nicht von einem konventionellen Typ abgeleitet wurde. Wenn Hyundai nun behauptet, sich gewissermaßen freiwillig in die zweite Reihe zu stellen, ist das vor allem eins: Tiefstapelei. In Wahrheit will der Hyundai-Konzern an die Spitze.
Das Rezept für den Fortschritt: Hyundai bietet, anders als Toyota und jeder andere Wettbewerber, alle heute vernünftig denkbaren Elektrifizierungsvarianten an. Das SUV iX35 FCEV hat einen mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellenantrieb. Für die breite Masse der Käufer und damit von höherer Relevanz für den Gesamterfolg ist das Modell Ioniq. Der Name spielt mit dem englischen ion als Symbol für Strom sowie dem Begriff iconic, also ikonisch.
Die Schwächen des Toyota-Antriebs vermeiden
Noch 2016 kommt der Ioniq in einer Hybridversion sowie als Batterie-elektrisches Auto mit dem Zusatz electric auf den Markt. Beim technischen Aufbau des Standard-Ioniq versuchen die Hyundai-Ingenieure, die Schwächen des Toyota-Antriebs zu vermeiden und zugleich die Stärken zu übernehmen.
Als Malus der Toyota-Hybride gilt das Hochdrehen des Verbrennungsmotors beim kräftigen Gasgeben. Das kann nicht nur laut werden, es erzeugt auch das Gefühl einer schlechten Koppelung von Fahrerbefehl einerseits und Auswirkung beim Auto andererseits. Auf der Habenseite der Toyotas steht die genial simple Konstruktion mit einem elektronisch gesteuerten Planetengetriebe, bei dem die Zuverlässigkeit über jeden Zweifel erhaben ist und die Kosten inzwischen niedrig sind.
Die Dauerhaltbarkeit muss der Ioniq erst noch unter Beweis stellen. Denn er hat ein Doppelkupplungsgetriebe, das zwar einen direkten Zusammenhang zwischen Motordrehzahl und Beschleunigung herstellt, aber auf lange Sicht verschleißen kann. Trotzdem: Hyundai setzt mit einer Pufferbatterie auf Lithium-Ionenbasis außerdem auf den moderneren und leichteren Zwischenspeicher. Die Papierform stimmt.
Diese Feinheiten sind letzlich zweitrangig. Entscheidend ist: Neben dem Hybrid und dem 2017 folgenden Plug-In-Hybrid bringt Hyundai den Ioniq electric ohne Verbrennungsmotor, aber mit einem 28 Kilowattstunden fassendem Akku. Diese Kapazität soll für maximal 250 Kilometer ausreichen.
Welchen Antrieb setzt sich durch?
Toyota dagegen verzichtet ganz auf ein Batterie-elektrisches Auto, und bei der Plug-In-Version des Prius meldet man Zweifel an, ob die Kunden dieses Konzept wirklich wollen. Die Nachfrage des Prius mit Ladestecker war bisher überschaubar. Warum verzichtet Toyota auf einen reinen Batteriestromer, der von Tesla so prominent vertreten wird und der auch von deutschen Automarken im Vergleich zum Brennstoffzellenelektriker favorisiert wird?
Ein Grund könnte sein, dass Toyota nicht an schnelle Skaleneffekte glaubt, also die Verbilligung der Batteriezellen durch die Großserienproduktion. Zugleich möchte man dem Kunden, und das ist offiziell, nicht die häufigen Ladevorgänge zumuten. Oder, wie es Mirai-Entwickler Katsuhiko Hirose sagt: Irgendwie hängt man immer am Kabel. Eine dritte mögliche Ursache ist das in Japan weniger perfekte Stromnetz.
Wenn Hyundai nun mit dem Ioniq als Hybrid-, Plug-In-Hybrid- und Batteriemodell plus dem Brennstoffzellenauto iX35 FCEV das gesamte Portfolio abdeckt, ist das auch ein Experiment: Welcher Antrieb kommt auf welchem internationalen Markt besonders gut an, gibt es Probleme mit der Infrastruktur – und wie entwickeln sich die Kosten? Man hält sich gewissermaßen alle Optionen offen, um später aufgrund der Wirklichkeitserfahrung neu entscheiden zu können.
Die Zulieferindustrie in Korea und Japan ist gut aufgestellt
Klar ist jedenfalls, dass Hyundai es ernst meint mit der Elektrifizierung. Besonders die normale Hybridversion des Ioniq wird zügig eine große Verbreitung finden. Und was den manchmal offensiv ausgetragenen Streit zwischen Freunden der Batterie und denen der Brennstoffzelle angeht, ist man in Korea in jeder Hinsicht gut aufgestellt. Die lokale Industrie liefert – anders als in Deutschland – beides.
Trotzdem sollte niemand so naiv sein zu glauben, dass Hyundai den Rivalen aus Japan mit dieser Strategie mühelos an die Wand spielt. Denn auch bei Toyota können die Manager jederzeit umschwenken. Die Zulieferer haben jede Spielart der Batterie im Programm, und es ist kein Geheimnis, dass Toyota seit über 70 Jahren nicht nur Zellforschung betreibt, sondern diese weiterhin aktiv fortführt.
Den Nutzen dieser Rivalität hat am Ende der Käufer. Er hat mehr Auswahl durch mehr Automarken, Modelle und eine individuell wählbare Elektrifizierung. Wie es eben passt. Dieser Wettbewerb ist etwas zutiefst Gutes. Denn so, wie Konkurrenz das Geschäft belebt, hat in der Vergangenheit der Mangel daran zu einem müden Markt geführt.
Erschienen am 12. Mai im Printmagazin ELEKTRO AUTO MOBIL.