Strom zu Sprit

Aus 16,1 Kilowattstunden (kWh) macht die Chemieanlagenbau Chemnitz GmbH  (abgekürzt CAC) einen Liter Benzin. Die Versuchsanlage im sächsischen Freiberg kann bis zu 100 Liter pro Stunde produzieren. Und die Autoindustrie greift zu und will das synthetische Super genau untersuchen und testen. Wir könnten Großanlagen bauen, macht die CAC klar. Das kommunizierte Ziel: Mehr Klimaschutz.

Für Anhänger der Elektromobilität klingt die Vorstellung absurd, elektrische Energie nicht in eine Batterie zu laden und von dort über einen Elektromotor in Vortrieb umzusetzen. Ein Volkswagen e-Golf zum Beispiel hat einen Normverbrauch (nach NEFZ) von 12,9 bis 13,8 kWh / 100 km. Die aktuelle Basisversion des Golf 8 kommt auf einen Normwert von 4,5 Litern (NEFZ) Benzin. Multipliziert man diese Zahl mit den 16,1 kWh, die von der CAC veröffentlicht werden, ergeben sich 72,45 kWh Strom. Mithin fünf bis sechs Mal so viel wie beim e-Golf.

Ein Elektroauto ist fünf- bis sechs Mal effizienter

Dieser Vergleich ist überschlägig und vereinfachend. Wissenschaftliche Berechnungen von PricewaterhouseCoopers (PwC) oder dem International Council on Clean Transportation (ICCT) sind etwas genauer: Von einer zum Beispiel in einer Photovoltaikanlage produzierten Kilowattstunde Strom kommen nach Angaben von PwC beim Batterie-elektrischen Auto 70 Prozent am Rad an (ICCT-Vergleichszahl: 72 Prozent). Bei synthetischen Kraftstoffen sind es elf Prozent (ICCT: 16 Prozent). Im Grundsatz sind die Ergebnisse also ähnlich wie bei der simplen Gegenüberstellung der Normverbrauchswerte: Ein Pkw, der einen Verbrennungsmotor hat und durch synthetisches Benzin betrieben wird, braucht im Vergleich zu einem Batterie-elektrischen Auto das ungefähr Fünf- bis Sechsfache an elektrischer Energie.

An diesem Punkt ist die Diskussion häufig beendet. Was bitte soll die Herstellung von synthetischem Benzin aus Wind- oder Solarenergie? Die Antwort: Den Klimaschutz stärken. Es klingt paradox, aber das könnte die Chance sein.

Weltweit fahren nämlich mehr als eine Milliarde Pkw über die Straßen der Kontinente. Wie viele es genau sind, ist unbekannt, denn in vielen Nationen gibt es kein Kraftfahrtbundesamt (KBA) mit penibler Zulassungs- und Bestandsstatistik. Diese Milliarde Autos fährt fast ausschließlich mit Verbrennungsmotoren. Und die werden noch eine ganze Weile unterwegs sein: Im Juli lag der Neuzulassungsanteil der Batterie-elektrischen Fahrzeuge laut KBA in Deutschland bei 5,3 Prozent. Alle anderen haben einen Verbrennungsmotor; meistens einen Otto-, und häufig einen Dieselmotor (gut 28 Prozent), für den sich ebenfalls eine synthetische Version herstellen ließe. Und jeder dieser Neuwagen hat ein Autoleben, das locker 20 Jahre dauert.

Den Bestand dekarbonisieren

Die Vorstellung, der internationale Fuhrpark würde sich kurzfristig durch Batterie- und Brennstoffzellen-elektrische Autos ersetzen lassen, ist also aus statistischer Perspektive eine Illusion. Mit synthetischem Benzin dagegen könnte der riesige Bestand zumindest theoretisch weitgehend klimaneutral betrieben werden.

Heise Autos sprach mit Dr. Mario Kuschel, Leiter Forschung und Entwicklung bei CAC, über den Herstellungsprozess des synthetischen Benzins: Zuerst wird Strom aus erneuerbaren Quellen genutzt, um durch Elektrolyse Wasserstoff herzustellen. Dieser Wasserstoff wird mit Kohlendioxid, das bevorzugt aus einer vorhandenen Industriequelle (etwa einem Zementwerk oder einer Müllverbrennungsanlage) stammt, zu Methanol synthetisiert. Dieser exotherme Prozess unterscheidet sich nur leicht von der Methansynthese („Sabatier-Prozess“). „Unser eigentliches Know-how ist, vom Methanol (CH3OH) zum Benzin zu kommen“, erklärt Kuschel. Hierzu ist ein weiterer katalytischer Reaktionsschritt notwendig. Das Ergebnis ist reines Benzin, das jenem an Tankstellen exakt gleicht, und als Reststoff fällt lediglich etwas LPG (Autogas) ab.

Die immensen Energiemengen, die zur Herstellung von synthetischem Benzin benötigt würden, könnten zum Beispiel durch Photovoltaikanlagen in den nordafrikanischen Wüstengebieten bereitgestellt werden, argumentieren die Befürworter dieser Technologie. Bei großzügiger Steuerentlastung wären Gestehungspreise von einem Euro möglich, heißt es immer wieder.

Risiko der Ausrede

Dem widerspricht der ICCT, glaubt in der Gesamtkostenbetrachtung eher an drei bis vier Euro pro Liter pro Liter im Jahr 2030 und einen nur marginalen Klimaschutzeffekt: „Synthetische Kraftstoffe werden den Verbrennungsmotor nicht retten“, so der ICCT. Vielmehr sehen die Wissenschaftler das Risiko, dass die pure Möglichkeit zur Herstellung von synthetischem Benzin dazu missbraucht wird, am Verbrennungsmotor festzuhalten und damit an den gewinnbringenden Produkten, die von der Autoindustrie und den weltweiten Kunden gleichermaßen geliebt werden: SUVs mit mäßig effizienten Antrieben.

Einem Argument sollte man sich aber nicht verschließen: Wenn der Klimaschutz schnell vorankommen soll, ist die Dekarbonisierung des Fahrzeugbestands dringend geboten, und das ist mit synthetischen Kraftstoffen möglich. Die Energieeffizienz von synthetischen Kraftstoffen ist übel, die Materialeffizienz aber hoch – schließlich sind viele Autos bereits gebaut.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: CAC

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