Morgengöttin

Manchmal öffnet sich ein Fenster in die Zukunft. Eins, das den Blick freigibt auf eine kommende und gute Zeit: DS, die dritte Marke des französischen PSA-Konzerns, hat im Rahmen der Formel E in Berlin die Studie E-Tense gezeigt. Ein Batterie-elektrisches Gran Tourisme Coupe, das zuerst auf dem Genfer Autosalon präsentiert wurde. Die Besonderheit: Statt nur schick auszusehen ist der DS E-Tense voll einsatzbereit. heise Autos hatte die Gelegenheit, mit dem luxuriösen Wagen durch die Hauptstadt zu stromern – auf dem Beifahrersitz, denn 296 kW (402 PS) Leistung erfordern sittliche Reife und Selbstdisziplin. Angesichts des mutmaßlich hohen Werts lenkte darum ein erfahrener Profiautofahrer durch den Stadtverkehr.

Der DS E-Tense dokumentiert, worauf es ankommt, wenn sich der Antriebsstrang nicht mehr als wesentliches Unterscheidungsmerkmal eignet: Auf die Gestaltung. Die Form ist geduckt und beeindruckend. Bei 4,72 Meter Länge ist der DS E-Tense 1,29 Meter hoch. Eine Heckscheibe gibt es nicht, dafür Rückleuchten, die an Schuppen erinnern und sich in ähnlicher Form bei einem kommenden Modell von DS wiederfinden werden. Ein digitaler Spiegel ersetzt den Blick nach hinten. Alles an diesem Auto ist Ästhetik pur, jede Wölbung außen und jeder Schalter innen. So gewinnt man Kunden.

Zwei E-Motoren, drei Gänge

Allerdings besteht Adeline Renault, Entwicklungsingenieurin für alles, was am DS E-Tense elektrisch ist, darauf, dass auch das Fahren mit Strom Differenzierungsmöglichkeiten bietet. Die eingangs genannte Leistung von 296 kW (402 PS) sowie das Drehmoment von 516 Newtonmetern addieren sich aus zwei E-Motoren. Wie genau diese verbunden sind, verrät sie nicht; wahrscheinlich dient die zweite Maschine dazu, die Schaltpausen zu kaschieren und beim starken Beschleunigen zu boosten. Ein Torque Vectoring für jedes der angetriebenen Hinterräder gibt es jedenfalls nicht.

Warum Schaltpausen? Weil der DS E-Tense tatsächlich drei Gänge hat. Hierzu merkt Ingenieurin Renault an, dass Elektromotoren eine Höchstdrehzahl haben und die Leistungskurve nicht ganz so waagerecht ist, wie man das allgemein annimmt. Bei 110 km/h wird die zweite Fahrstufe eingelegt, und die per Software limitierte Spitzengeschwindigkeit liegt bei 250 km/h.

Die Batteriekapazität des E-Tense beträgt 53 Kilowattstunden. Eine Größenordnung, die sehr viel näher an einem Serienauto liegen dürfte als das Gesamtkonzept: Der PSA-Konzern gab diese Woche in Paris bekannt, dass man mit dem chinesischen Unternehmen Dongfeng Motors eine gemeinsame Plattform (abgekürzt CMP für Common Modular Platform) für Kleinwagen, mittelgroße Limousinen und Kompakt-SUVs entwickelt. Davon abgeleitet investieren PSA und Dongfeng in die elektrische Variante e-CMP für eine „neue Generation von flexiblen und geräumigen Fahrzeugen“. Vier Fahrzeuge sollen ab 2019 und bis 2021 auf den Markt kommen.

Für die Reichweite von e-CMP nennt PSA 450 Kilometer, was bei einer Berechnung nach NEFZ ungefähr den 53 Kilowattstunden des DS E-Tense entspricht. Legt man also einen Stromverbrauch von rund zwölf Kilowattstunden auf 100 Kilometer zu Grunde, lässt sich auch die kryptische Ladeleistungsangabe von „12 Kilometer pro Minute Ladezeit“ zumindest überschlägig entziffern: Es sind mehr als die heute bei CCS üblichen 50 Kilowatt, sondern nach dieser Rechnung um 85 kW.

Dem Prototyp sind solche Zahlenspiele gleichgültig, er kann Gleichstrom (DC) nach dem CCS-Standard sowie Wechselstrom (AC) mit mindestens 60 kW laden. Auf die Frage nach der oberen Grenze des Schnellladens lächelt Entwicklungsingenieurin Adeline Renault, sagt, es gäbe eigentlich keine, nur der Kabelquerschnitt würde irgendwann unhandlich werden („the cable is the limit“).

Auf dem Beifahrersitz des DS E-Tense dominiert nach dem Technikgespräch das Gefühl, den Fortschritt bei Design und Antrieb zu fahren. Hier stimmt es, das vielfach strapazierte Wort von der Avantgarde: Es ist genau diese Kombination aus progressiver Form und elektrischem Vortrieb, die ein eigene Qualität hat. Habenwollen.

Avantgarde als Chance

Hier liegt fraglos auch die Chance zum Erfolg der Marke DS. Es mag den Fans von Citroen als ewiger Frevel erscheinen, dass der 1955 vorgestellte DS – gesprochen Déesse, „die Göttin“ – heute für die Vermarktung genutzt wird. Aber so ist sie halt, die Gegenwart, und ein Blick auf den E-Tense ist keine Enttäuschung.

Im Gegenteil, der DS E-Tense ist eine Hoffnung. Es kann nicht sein, dass sich die Auswahl Batterie-elektrischer Autos auf das aktuelle Formenspektrum beschränkt. Auf das konventionelle Conversion Design wie im Volkswagen e-Golf. Auf das gewollt andere wie im BMW i3. Oder auf die immer irgendwie schrägen Produkte aus Asien. Ein Auto muss attraktiv sein, wenn es gekauft werden soll, es muss das Begehren des Kunden wecken, und hier punktet der E-Tense nicht nur, er übertrifft auch die Tesla-Modelle.

Mit der Ankündigung von vier Batterie-elektrischen Modellen ab 2019 auf einer flexiblen Plattform ist fast jede Karosserievariation denkbar. Wie wäre es mit einem Konkurrenten zu Teslas Model 3, einer luxuriösen und extrovertiert gestalteten DS-Limousine? Warten wir es ab. Bis zum Erscheinen eines Serienautos bleibt eine dreijährige Durststrecke. Der E-Tense ist wie eine Oase am Horizont in der Wüste der Verbrennungsmotoren. Und er ist ganz sicher keine Fata Morgana.

Erschienen am 27. Mai bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

Ein Gedanke zu „Morgengöttin

  1. Glückwünsche auch zum geglückten eigenen Cameo Auftritt auf heise! Selber fahren macht halt doch Spaß, vor allem wenn die Begleitung stimmt! 😉

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