Version 7.1

Ein Facelifting ist gelungen, wenn der Patient frischer wirkt, in seiner Identität aber unverändert ist. Überträgt man diesen menschlichen Maßstab aufs Auto, verdient Volkswagen für die Aktualisierung des Golfs eine Bestnote bei der Wiedererkennbarkeit. Ironie off: Selbst Kenner sehen kaum Unterschiede. Und radikale Schnitte wären ohnehin nur das Zeichen eines schwachen Grunddesigns. Die Formensprache ist für Volkswagen ohnehin zweitrangig. Die Pressestelle nennt die Modellpflege ein Update. Dieser Begriff aus der Softwaresprache soll – quasi als Golf digital – den Fokus auf die Assistenz- und Infotainmentsysteme lenken. Das Wort Update erinnert aber auch an die bitteren Probleme bei der Einhaltung von Abgasnormen auf und abseits der Homologationsprüfstände.

Optisch beschränken sich die Abweichungen im neuen Verkaufsjahr auf kleine Änderungen an den Stoßfängern. Zum Licht: Alle Versionen des Golfs haben ab sofort LED-Rückleuchten. Vorne sind neue Halogenscheinwerfer mit LED-Tagfahrlicht serienmäßig, und gegen Aufpreis ersetzen Voll-LED-Scheinwerfer die aussterbende Xenon-Technik. Im Innenraum gibt es neue Stoffe, für den Lack andere Farben. Das Übliche.

Um diesen Golf zu verstehen, ist ein Blick auf die Bredouille wichtig, in der Volkswagen sich befindet.

Volkswagen unter Druck

Seit seiner Vorstellung Ende 2012 ist der Golf VII ein voller Erfolg. Europas meistverkauftes Auto genießt selbst bei Kritikern der Marke höchsten Respekt. Der Typ ist einfach gut. Und obwohl die Rendite bei Volkswagen relativ niedrig ist, wird mit dem Golf Geld verdient. Never change a running system.

Nach Dieselgate aber, dem Bekanntwerden der Manipulationen bei TDI-Motoren, ist in Wolfsburg alles anders. Die Milliardenkosten für die US-Kunden, die gigantische Rückrufaktion in Europa und die ausstehenden Klagen gegen Aktionäre sind eine schwere Last. Gleichzeitig steigt der Entwicklungsaufwand. Mit der Scharfschaltung des Straßentests Real Driving Emissions (RDE) ab September 2017 („Stufe 1“, erlaubter Abweichungsfaktor 2,1) sowie der Euro 6c-Abgasnorm (für neu zugelassene Kfz ab 1. September 2018 gültig) kommen zwei gesetzliche Hürden auf den Golf zu. Und hier werden sich die Ingenieure keine Blöße geben.

Fachkreise gehen davon aus, dass die Euro 6c-Norm beim Benzinmotor nur mit Partikelfilter eingehalten werden kann und beim Selbstzünder ein SCR-Katalysator notwendig ist. Da in der Pressemeldung zu beiden Stichworten nichts zu finden ist, gehen wir davon aus, dass die Spekulation der bekannten großen Autozeitschriften plausibel ist, nach der dieser Golf 7.1 bereits Ende 2018 von der achten Generation abgelöst werden könnte. Alternativ müssten die TDIs und TSIs spätestens dann deutlich überarbeitet sein. Davon ist in der Pressemeldung keine Rede.

1.5 TSI mit ACT, Miller-Cycle und VTG

Wirklich interessant ist jetzt und heute der 1.5 TSI Evo („EA211“), der zunächst mit 110 kW (150 PS) Leistung angeboten wird und im Golf debütiert; eine Variante mit 96 kW (130 PS) folgt. Der 1.5 TSI Evo verfügt über eine Zylinderabschaltung (ACT), arbeitet mit einem vom Miller-Cycle abgeleiteten Brennverfahren (Verdichtungsverhältnis 12,5 zu 1), einem auf 350 bar erhöhten Druck der Common-Rail-Einspritzung sowie einem Turbolader mit variabler Geometrie. Wir sind gespannt auf diese aufwendige Maschine, die vielleicht irgendwann als Zeugnis der späten Verbrennungsmotor-Ära gelten wird.

Das maximale Drehmoment von 250 Nm soll jedenfalls schon bei 1.500 Umdrehungen anliegen, und Volkswagen verspricht einen „besonders agilen und kultivierten“ Charakter. Im NEFZ liegen die vorläufigen Werte für den Verbrauch bei 4,9 Litern auf 100 Kilometer für die 110 kW-Version (96 kW: 4,6 l), was 110 g CO2 / km (96 kW: 104 g) entspricht. Der leistungsschwächere 96 kW-TSI mit 200 Nm Drehmoment wartet serienmäßig mit einem weiteren Feature auf: Beim Gaswegnehmen schaltet sich der Motor komplett ab; Volkswagen spricht von einer „erweiterten Segelfunktion“.

Was tut sich noch bei Motor und Getriebe? Der GTI erhält mit 169 kW (230 PS) in der Basis- und 180 kW (245 PS) in der Performance-Version mehr Leistung. Und sukzessive werden alle 6- durch 7-Gang-DSG ersetzt.

Nicht im Pressetext zu finden, aber aus unserer Sicht wichtig ist das Plus beim e-Golf: Die Batteriekapazität steigt von 24 auf knapp 36 kWh. Dieser Zuwachs kommt eins zu eins der Reichweite zu Gute. Anders als bei Nissan Leaf, BMW i3 und Renault Zoe wird der größere Akku nicht parallel angeboten; der bessere e-Golf ersetzt den alten. Die Auslieferung erfolgt dem Vernehmen nach ab Februar.

Erstmals Gestensteuerung

Weg vom Antrieb. Hin zu Assistenz- und Infotainmentsystemen.

Volkswagen erweitert die erhältlichen elektronischen Hilfen. In Auszügen aus dem bisherigen Angebot: Automatische Distanzregelung (ACC), Front-Assist mit City-Notbremsfunktion, Lane Assist, Totwinkel-Sensor, diverse Parkhelfer, Müdigkeitswarnung, Verkehrszeichenerkennung, Multikollisionsbremse und Gespannstabilisierung.

Neu hinzu kommt der Stauassistent als erstes teilautomatisiertes System im Golf. Darüber hinaus wurde Front Assist um eine Fußgängererkennung erweitert, und Emergency Assist bremst den Wagen bis zum Stillstand, falls der Fahrer ausfällt (und nur dann, wenn ACC und Lane Assist bestellt wurden).

Die Detailfülle der Assistenten, zum Beispiel bei Trailer Assist, ist so groß, dass wir sie Ihnen ersparen wollen; alle Neugierigen können problemlos einen Winterabend damit verbringen – für Gelangweilte sind zusätzlich die Infotainmentsysteme mit einer Unzahl an Gimmicks versehen.

Beschränken wir uns auf das Wesentliche: Im modularen Infotainmentbaukasten (MIB) wächst die Diagonale der Touchscreens von 5 bis 8 auf nun 6,5 bis 9,2 Zoll. Bei der teuersten Version Discover Pro kommt erstmals eine Gestensteuerung zum Einsatz. Tasten und Drehregler sind Vergangenheit. Ob Sprache, Berührung und Gesten zu einer intuitiven und simplen Bedienbarkeit führen, wird ein Praxistest zeigen. Wir sind skeptisch und darum vielleicht von gestern.

Die meisten Golf-Käufer werden das Update kaum bemerken. Die relevanten Modifikationen betreffen nur wenige Motor- und Getriebekombinationen wie den 1.5 TSI und den e-Golf. Den Fortschritt bei den Assistenz- und Infotainmentsystemen wiederum müssen sich Kunden gegen Aufpreis erkaufen. Wer möchte und bezahlt, kann diese kontinuierliche Entwicklung genießen. Für alle anderen bleibt ein Basis-Golf mit vier Türen in Wunschfarbe die beste Wahl. So wie immer.

Erschienen am 10. November bei heise Autos.

Bildquelle: Volkswagen

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