Nicht nur sauber, sondern rein. So warb einst die Waschmittelfirma Ariel. Und von beidem sind Diesel-Pkw weit entfernt. Damit die gesundheitsschädlichen Stickoxide aus den Auspuffrohren aber wenigstens auf das technisch machbare und nicht aus das kostenseitig opportune Niveau reduziert werden, hat die Europäische Union Straßentests eingeführt. Real Driving Emissions, abgekürzt RDE, heißt das neue Verfahren, das seit Anfang 2016 erprobt wird. Mit mobilen Messgeräten (PEMS für Portable Emissions Measurement System) wird erhoben, was vom Dieselkraftstoff nach der Verbrennung übrigbleibt. Jetzt verhandeln Industrie, Politik und Nichtregierungsorganisationen in Brüssel über die Ausführungsbestimmungen von RDE. Und wie immer, wenn es ums liebe Geld geht, verstehen die Beteiligten keinen Spaß.
Zum größeren Rahmen: Die Europäische Umweltagentur (EUA) rechnet vor, dass der Transportsektor 46 Prozent aller Stickoxide produziert, wovon wiederum 80 Prozent aus Dieselmotoren stammen. Und während schwere Lkw auf dem mühsamen Weg der Besserung nachweisbar vorankommen, befinden sich die Autos mit Selbstzünder scheinbar in der Schockstarre. Ausgelöst durch Dieselgate in den USA erregen Abgase eine Aufmerksamkeit, die Atemluftschützer sich vor fünf Jahren kaum vorstellen konnten. Und auch wir Journalisten wissen, dass Umweltthemen früher als „nicht sexy“ mit niedrigen Klickzahlen bedacht wurden.
Das Problem ist inzwischen allgemein bekannt: Diesel-Pkw nach der aktuellen Euro 6-Norm emittieren in der Realität ein Vielfaches des gesetzlich erlaubten Grenzwerts von 80 Milligramm pro Kilometer. Die meisten jedenfalls, wie ein Bericht des Bundesministeriums für Verkehr und Infrastruktur (BMVI), der weiterhin den Namen „Volkswagen“ in der Überschrift trägt, belegt. Es gilt: Je preissensibler das Segment, in dem ein Diesel-Pkw angeboten wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Stickoxidemissionen abseits des Laborprüfstands in absurde Höhen schießen.
15 Jahre für den Austausch des Fuhrparks
Veränderungen aber lassen sich nur für die Zukunft durchsetzen. Darum RDE. Mit dem Fahrzeugbestand müssen wir alle leben – es wäre ungerecht, wenn einstmals gutgläubige Käufer eine Entwertung ihrer Autos hinnehmen müssten, weil Politik und Industrie in heimlichem Einverständnis versäumt haben, wirksame Auflagen zu erlassen. Daraus resultiert eine Art natürlicher Wartezeit: In Deutschland, wo jedes Jahr rund drei der 45 Millionen Pkw gegen Neuwagen ausgetauscht werden, dauert es also etwa 15 Jahre, bis der Fuhrpark einmal aktualisiert wird. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig zu handeln und klare Vorgaben zu machen.
Das weiß man auch in Brüssel. Am 17. Januar wird in einer Arbeitsgruppe über das mittlerweile vierte RDE-Paket beraten. Jeder Entwicklungsschritt beinhaltet strengere Inhalte, angefangen von der aktuellen RDE-Testphase über die Scharfschaltung bis zum Conformity Factor (CF). Der CF hat einen schlechten Ruf, weil er die Überschreitung des Laborgrenzwerts von 80 Milligramm NOx pro Kilometer um das 2,1-fache im RDE erlaubt. Er gilt zugleich als hinnehmbarer Kompromiss, weil hier ein zuvor nicht geregelter Bereich einen eindeutigen Grenzwert erhält.
In der kommenden Sitzung ist ein wesentlicher Punkt die Frage, ob „in-use cars“ oder Prototypen getestet werden. Einige Industrievertreter wollen bei den Golden Cars bleiben, die den Herstellern in der Vergangenheit eine gute Hilfe waren.
Unterdessen rechnet die Forschungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT) vor, welche Bedeutung es hat, wenn RDE entweder besonders lasch ausgelegt wird oder in Zukunft stückweise verschärft wird.
Minus 41 Prozent durch strengere Vorgaben möglich
Heute liegen die jährlichen NOx-Emissionen bezogen auf die 28 EU-Staaten bei etwa 1,75 Millionen Tonnen. Weil der Fuhrpark nicht von heute auf morgen ersetzt wird, siehe oben, könnte dieser Wert bis 2030 auf 0,94 Mio t/a sinken.
Bei RDE mit härteren Auflagen wäre es möglich, die Emissionen auf 0,58 Mio t/a zu reduzieren. Ein gleichzeitiger „market shift“, also ein sinkender Verkaufsanteil von Diesel-Pkw, würde zu einem rechnerischen Ergebnis von 0,55 Mio t/a führen. Ein Minus von 41 Prozent im Vergleich zum Ausgangsszenario.
Der ICCT ist einer der wenigen Nicht-Industrievertreter in Brüssel. Die Wissenschaftler haben wichtige Handlungsfelder identifiziert, die sie in die Forderung nach drei kontinuierlichen Verbesserungen des RDE einfließen lassen:
- RDE+a
Der ICCT plädiert für die Berücksichtigung von Kaltstartphasen. Diese sind bei den Straßenmessungen bisher ausgenommen, aber besonders relevant: In Städten, wo die Abgasbelastung wegen der Bevölkerungsdichte hoch ist, werden viele kurze Strecken bei niedrigen Geschwindigkeiten gefahren. Die negativen Auswirkungen sind darum größer als anderswo.
- RDE+b
Die Conformity Factors von 2,1 und ab 2020 von 1,5 sollten auf 1,5 und 1,2 abgesenkt werden. Unter den Bedingungen von RDE dürfte ein Diesel-Pkw dann also maximal 96 mg NOx / km ausstoßen. Diese Vorgabe würde nach Einschätzung des ICCT einen moderaten Druck auf die Abgasreinigungstechnik ausüben. Im Weiteren fordert der ICCT die Messung von „in-use cars“ statt von Prototypen. Die EU-Kommission kann sich außerdem die in den USA üblichen Stichproben von Serienfahrzeugen vorstellen.
- RDE+c
Weitere Lücken im Messzyklus RDE wie die Ausnahme großer Leistungsanforderung des Motors sowie sehr niedriger oder hoher Temperaturen – was in der Wirklichkeit eben vorkommt – sollten geschlossen werden. Gleichzeitig können Messungen mit PEMS, die über die Grenzen von RDE hinausgehen, Schwachstellen sowie Abschalteinrichtungen aufdecken und so zu einer weiteren Annäherung an die Realität führen. Zusätzlich möchte der ICCT Hersteller belohnen, die effektive Abgasreinigungen verkaufen: Wer sauberer ist als andere, könnte ein zertifiziertes „Green Label“ erhalten, mit dem er in kommenden Umweltzonen (deutsches Stichwort: blaue Plakette) einfahren darf.
Das Ringen um die zukünftige Überwachung von Abgasemissionen aus Pkw-Verbrennungsmotoren bleibt also ein permanenter Prozess.
Das Ziel: bessere Luft
Bei der nächsten Sitzung des Technical Committee on Motor Vehicles (TCMV) werden neben dem ICCT die Stakeholder aus der Industrie (Daimler, Bosch, andere) und auch Ländervertreter anwesend sein. Das TCMV ist ein Ausschuss, in dem die EU-Kommission mit diesen Ansprechpartnern über neue Regelungen berät.
Für die Weiterentwicklung von RDE wird bis Ende des Jahres ein Beschluss erwartet. Da es hier um einen „Erlass zu Durchführungsbestimmungen“ geht, wird das so genannte Komitologie-Verfahren angewandt. Vereinfacht gesagt müssen bei der finalen Abstimmung 55 Prozent der EU-Staaten, die zugleich mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, für die Vorlage sprechen.
Dem Vernehmen nach votieren die Vertreter von Frankreich und den Niederlanden meistens für die Verschärfung von Umweltauflagen. Osteuropäische Länder, in denen viele Autos (unter anderem deutscher Marken) produziert werden, sind oft dagegen. Deutschland verhält sich nicht einheitlich, sagen Fachkreise.
Das Ziel ist letztlich eine bessere Qualität der Atemluft. Wenn der Dieselmotor ein Mindestmaß an öffentlicher Akzeptanz behalten will, muss die Abgasreinigung leistungsfähiger werden. Ob das wirklich alle begriffen haben, ist unsicher.
Erschienen am 13. Januar bei heise Autos.