Die Kurve der Neuzulassungen stürzt ab: Wurden im Dezember 2016 noch 45 Prozent aller Pkw mit Dieselmotor an den Kunden übergeben, waren es ein Jahr später nur 33 Prozent. Menschen mit Lust am Untergang prophezeien dem Selbstzünder inzwischen ein schnelles Ende. Wahrscheinlicher aber ist, dass sich eine Entwicklung fortsetzt, die seit vielen Jahren absehbar ist: Der Dieselmotor verschiebt sich in höhere und schwergewichtige Fahrzeugklassen, wo die Kosten der Abgasreinigung weniger relevant sind. Es geht wie so oft ums Geld.
In Kleinwagen etwa ist der Dieselmotor mit wenigen Ausnahmen wie dem Fiat Panda kaum mehr erhältlich. Der Volkswagen Up, vorgestellt Ende 2011, war im Gegensatz zu seinem Vorgänger Lupo nie als TDI zu haben. Ein Segment darüber steht der TDI ebenfalls vor dem Aus: Skoda kündigte im September an, das Angebot 2018 auslaufen zu lassen. Ist als nächstes die Golf-Klasse dran?
Das hängt davon ab, wie teuer die Abgasreinigung wird. Dazu ein kurzer Rückblick: Im Oktober 2014 veröffentlichte der International Council on Clean Transportation (ICCT) eine in Fachkreisen viel beachtete Studie zu den Realemissionen von Diesel-Pkw. 15 Autos wurden getestet, davon drei aus dem US-Markt. Von den drei in den USA verkauften Pkw fielen zwei mit desaströsen Abgaswerten als Auftakt von Dieselgate durch: der Volkswagen Jetta TDI und der Passat TDI. Einzig der BMW X5 schnitt akzeptabel ab.
Partikelfilter plus Speicher- und SCR-Katalysator
BMW, die Marke mit dem höchsten Dieselanteil in Deutschland, steht exemplarisch für das technisch Notwendige: Partikelfilter sind praktisch verpflichtend für alle Pkw ab Euro 5. Zusätzlich waren seit Einführung der Euro 6b-Norm zur Bekämpfung der Stickoxide entweder Speicher- oder SCR-Katalysatoren eingebaut. Ab März haben alle BMW-Modelle einen Speicher- und SCR-Katalysator.
Der Speicherkatalysator arbeitet effektiv bei niedrigen Abgastemperaturen, also zum Beispiel auf kurzen Strecken. Die Reinigung durch Harnstoff mit SCR-Katalysator dagegen braucht gewisse Mindesttemperaturen um wirksam zu sein. Die einen reden von 170 Grad, die anderen von 200 Grad.
Die Kombination aus Partikelfilter, Speicher- und SCR-Katalysator ist der neue und kostentreibende Mindeststandard. Und darum ist die eigentliche Ursache für die Verschiebung des Diesels in höhere Fahrzeugklassen die gesetzliche Vorgabe.
Komplizierte Übergangsfristen
Die Fristen für die Einführung der kommenden Abgasnormen sind kompliziert. Man muss unterscheiden zwischen dem Datum für die Typprüfung eines neuen Modells und der Erstzulassung: Wer seit 1. September 2017 einen Autotyp homologiert, muss die Grenzwerte im neuen Prüfzyklus WLTP erfüllen. Obwohl die Grenzwerte nicht strenger geworden sind, ist der fahrzeugseitige Reinigungsaufwand höher: Im WLTP wird schneller gefahren und beschleunigt als im veralteten NEFZ. Das führt zu mehr Rohemissionen.
Außerdem müssen die Limits als Teil der Euro 6d-TEMP auch im Straßentest RDE (für Real Driving Emissions) eingehalten werden. Allerdings ist ein Abweichungsfaktor von 2,1 bei den Straßenmessungen von Stickoxiden erlaubt. Selbst mit der Euro 6d (dann ohne den Zusatz TEMP), die für alle ab 2021 neu zugelassenen Autos mit Dieselmotor gilt, wird eine Überschreitung um den Faktor 1,5 als gesetzeskonform bewertet.
Schonzeit bis 2021
Zusammengefasst und vereinfacht gesagt: Die für die Euro 6b seit 1. September 2014 (!) gültigen Grenzwerte für Stickoxide müssen außerhalb des Labors selbst 2021 nicht vollständig eingehalten werden. Trotzdem steigen die Anforderungen insgesamt erheblich.
2021 ist zugleich das Jahr, für das der CO2-Flottengrenzwert von durchschnittlich 95 Gramm pro Kilometer vorgegeben ist. Das Dilemma der Hersteller ist offensichtlich: Mit einem simplen „weiter so“ können sie das Ziel nicht unterbieten und müssten pro Auto und Gramm überm Limit 95 Euro Strafe zahlen.
Daraus ergeben sich für den Dieselantrieb unterschiedliche Perspektiven. Die Strategien der Hersteller variieren in Abhängigkeit des jeweiligen Produktportfolios.
BMW etwa hat nach einer aktuellen Analyse des ICCT mit 59 Prozent der 2017 (2016: 65 Prozent) zugelassenen Autos den höchsten Dieselanteil in Deutschland. Angesichts des großen Erfolgs der SUVs im Haus und der vergleichsweise hohen Marge ist der logische Weg, das Geld für die aufwändige Abgasreinigung zu investieren. Außerdem setzt BMW offensiv auf den Batterie-elektrischen i3 und diverse Plug-In-Hybride, um den CO2-Flottengrenzwert einzuhalten; deren Anteil liegt bereits bei über fünf Prozent.
Toyota und Porsche machen Schluss mit dem Diesel
Völlig anders sieht es bei Toyota aus. Der japanische Hersteller hatte die Dieselmotoren für etliche Baureihen bei BMW eingekauft. Den Schritt zur maximalen Hardware geht Toyota trotzdem nicht mehr mit. Das Ergebnis wird das Verschwinden des Selbstzünders im Pkw sein. Yaris, Auris, Avensis und Verso stehen ohnehin zur Ablösung an – für Avensis und Verso wird es mutmaßlich keinen direkten Nachfolger geben, sondern veränderte Karosserieangebote. So oder so: Die Dieseloption wird es in keinem Modell mehr geben. Allein die nutzfahrzeugorientierten Hilux und Land Cruiser sowie der VW Bus-Konkurrent Proace aus der Kooperation mit PSA fahren weiter mit Dieselmotor.
Wegen der CO2-Flottengrenzwerte kann sich Toyota vorerst entspannt zurücklehnen: Die erfolgreichen Benzinhybride unterbieten die Ziele locker, haben mangels Direkteinspritzung im Regelfall kein Partikelproblem und sind dank Massenproduktion günstig.
Bei Porsche spielen solche Skaleneffekte eine untergeordnete Rolle. Hier wird schließlich Geld verdient. Auffällig ist, dass Porsche den Dieselmotor fast unbemerkt in der Versenkung verschwinden lässt. Nein, man hat den Selbstzünder nie gemocht, und es ist keine gewagte Prognose, dass in Kürze einfach kein Porsche mehr im Showroom stehen wird, der mit Dieselkraftstoff fährt. Das gilt auch für den neuen Cayenne und zukünftig für den Macan. Beim Einstiegs-SUV wählten im Juni 2014 77 Prozent das D. Im letzten Monat waren es noch 24 Prozent. Stattdessen bauen die Zuffenhausener auf den gelungenen Plug-In-Hybrid und ab 2020 auf den Batterie-elektrischen Mission E. Pkw mit Ladestecker sind der Joker für die CO2-Grenzwerte.
Mit welchem Motormix kommt der Golf VIII?
Das Gros der deutschen Kunden greift jedoch nicht zu Toyota oder Porsche. Der Topseller ist – übrigens in der ganzen EU – der Volkswagen Golf. Und der Gewinner des Rückgangs beim TDI ist der TSI. Der Benziner hat zwar nicht den ab 1. September notwendigen Partikelfilter, aber günstige Verbrauchswerte. Ein Blick in den Konfigurator zeigt: Bei den häufig verkauften Motorvarianten mit 80 kW (110 PS) im TSI bzw. 85 kW (115 PS) im TDI gehen die CO2-Differenzen gegen Null. Ein 1.0 TSI Handschalter kommt auf 109, ein 1.6 TDI auf 106 g/km. Der von Lobbyisten vorgetragene Wirkungsgradvorteil des TDIs ist hier nicht erkennbar. Eine Hilfe bei den CO2-Flottenzielen ist er darum ebenfalls nicht.
Stattdessen nehmen viele Kunden die so genannte Umweltprämie von Volkswagen an: 70.000 Altdiesel mit den Abgasnormen Euro 1 bis 4 gingen „return to sender“. Von denen, die einen Golf als Ersatz wählten, haben 20 Prozent einen e-Golf und fünf Prozent den Plug-In-Hybrid GTE geordert. Wenn im Herbst der Golf VIII Premiere feiert, wird es spannend sein, den Motormix zu sehen.
Bei nüchterner Betrachtung lässt sich also sagen, dass die Übertreibung der letzten Jahre beim Dieselanteil gekappt wurde. In einem ersten Schritt ist eher eine Normalisierung als ein Einbruch als Folge von Dieselgate feststellbar. Die gute Nachricht ist, dass der Antrieb schrittweise so sauber werden wird, wie es technisch machbar ist. Leider steigt dadurch der Kaufpreis – und das wiederum erschüttert das wichtigste Argument für den Dieselantrieb: seine Wirtschaftlichkeit.
Erschienen am 5. Februar bei heise Autos.