Im Trickreich

An Fantasie mangelt es den Fachgremien der internationalen Autoindustrie nicht. Bei den Verhandlungen über die CO2-Flottengrenzwerte für die Jahre 2025 und 2030 sind die Lobbyisten kreativ. Nach außen entsteht der Eindruck, als würden die Autos in der Europäischen Union gesetzlich verordnet immer sparsamer werden. Ein zweiter Blick aber offenbart: Wenn sich die Beharrungskräfte durchsetzen, passiert wenig. Oder nichts. Vielleicht dürfen Pkw mit Verbrennungsmotor bald sogar mehr verbrauchen – das wäre nicht im Sinn von Halterkaufkraft und Ressourcenschonung.

Die Sachverständigen-Anhörung im Deutschen Bundestag zu Lücken und Aushöhlungen der CO2-Regulierung fand am 27. Juni öffentlich stattfindet. Peter Mock vom International Council on Clean Transportation (ICCT) ist einer der Experten und hat im Vorfeld seine Kritik an den aktuellen Vorschlägen der EU-Kommission vorgelegt. Zwei repräsentative Punkte zeigen, mit welchen Hebeln die CO2-Vorgaben wirkungslos gemacht werden könnten.

Umstellung von NEFZ auf WLTP

Das erste Einfallstor für die Aufweichung der CO2-Limits ist die Umstellung vom veralteten Messzyklus NEFZ (abgekürzt für Neuer Europäischer Fahrzyklus) auf das neue Verfahren WLTP (für Worldwide harmonized Light vehicle Testing Procudere).

Bisher war der Grenzwert in absoluten Zahlen festgesetzt. Konkret: Bis inklusive 2021 müssen die durchschnittlichen CO2-Emissionen aller tatsächlich neu zugelassenen Autos eines Herstellers den Wert von 95 Gramm pro Kilometer einhalten. Wegen der drohenden Strafzahlungen wollen der deutsche Volkswagen-Konzern, die französische PSA Group oder die japanische Toyota Motor Corporation in dieser Hinsicht unbedingt erfolgreich sein.

Im Zeitraum von 2022 bis 2025 jedoch, also nach der Umstellung auf WLTP, ist keine absolute Zahl, sondern eine prozentuale Reduktion Kern der Verhandlungen. Es ist also aus Industriesicht besonders attraktiv, nach Jahren der CO2-Optimierung im NEFZ plötzlich relativ schlechte WLTP-Zahlen zu präsentieren. Hierfür, so sagt es der ICCT, könne zum Beispiel ein Automatikgetriebe bis 2021 auf NEFZ und für Neufahrzeuge ab 2022 auf WLTP optimiert werden.

Außerdem verbietet das Gesetz zwar, dass die CO2-Werte für ein Fahrzeug zu niedrig ausgewiesen werden – eine Abweichung nach oben aber ist völlig legal: „Erste WLTP-Daten weisen darauf hin, dass dieses Schlupfloch bereits genutzt wird und die Werte unrealistisch hoch sind“, sagt dazu Peter Mock vom ICCT. Von diesem künstlich erhöhten Niveau ausgehend wäre es technisch aufwandsarm, prozentuale Reduzierungen nachzuweisen.

Das würde zwar für den Käufer bedeuten, dass die Kfz-Steuer höher ausfällt. Die Hersteller könnten aber darauf verweisen, hier im Geist der Transparenz lediglich die immer gewünschten realitätsnahen Angaben zu machen.

Nullanrechnung von Elektroautos

Eine zweite wesentliche Ursache für die Aufweichung der CO2-Flottenlimits für die Jahre 2025 und 2030 ist die zunehmende Verbreitung Batterie-elektrischer Autos. Die gehen nach dem Auslaufen der Supercredits – also der Mehrfachanrechnung – mit je null Gramm pro Pkw in die Bilanz ein.

Im Volkswagen-Konzern etwa peilt man einen Anteil von 25 Prozent Batterie-elektrischer Autos für das Jahr 2025 an. Ein gemessen an den aktuellen Zahlen von unter zwei Prozent hohes Ziel. Es könnte sich auszahlen.

Nach den Berechnungen des ICCT reicht nämlich schon eine Quote von 15 Prozent reiner Elektroautos, um bei den verbliebenen Verbrennungsmotorfahrzeugen keinen Fortschritt mehr nötig zu machen. Oder, noch deutlicher formuliert: Wenn eine beliebige Marke im Jahr 2025 sogar ein Viertel aller Neuwagen mit Batterie-elektrischem Antrieb verkauft, dürfte der Rest der Autos mehr (!) CO2 ausstoßen als im Jahr 2021. Ein Rückschritt.

Ähnlich sieht es für das Jahr 2030 aus. Dann ist es genug, wenn 30 Prozent aller neu zugelassenen Autos einen Ladestecker und keinen Tankstutzen haben. Der Rest der Fahrzeuge darf genauso viel verbrauchen und damit Kohlendioxid emittieren wie 2021 – und bei einer höheren E-Quote sogar mehr als das. Ein Ausweg aus diesem Dilemma wäre zum Beispiel die Deckelung der CO2-Emissionen für Pkw mit Verbrennungsmotor. In der Vergangenheit hat es die internationale Autoindustrie allerdings meistens geschafft, solche Einschränkungen zu verhindern.

Das Ringen um mehr Energieeffizienz und Klimaschutz bleibt also zäh.

Dabei wäre es für die Nationalstaaten der Europäischen Union leicht, den Kauf verbrauchsarmer Autos zu fördern: Sie könnten die Energiesteuern anheben. Dass SUVs zurzeit einen völlig ungehemmten Boom erleben, liegt auch daran, dass der Kraftstoffverbrauch eine untergeordnete Rolle spielt. Schwierig wird es erst für die Masse der Deutschen: Die kauft nämlich gebraucht und ist mit einem Angebot konfrontiert, dass aus überdurchschnittlich vielen schwere und unterhaltsintensiven Autos einerseits und relativ wenigen einfachen Spritsparern besteht.

Erschienen am 26. Juni bei heise Autos.

Bildquelle: ICCT

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