Model Q und Model 2: Tesla hat auf der Aktionärsversammlung zwei Elektroautos angekündigt. Elon Musk zeigt die Silhouette eines Kompaktwagens. Der Umriss – mehr ist nicht zu erkennen – wirkt wie eine verkleinerte Mischung aus der Limousine Model 3 und dem SUV Model Y. Zusätzlich wird es eine Steilheckversion geben. Tesla könnte jedes Jahr fünf Millionen davon herstellen, sagt Elon Musk. Ob die Bezeichnungen Model Q und Model 2 korrekt sind, ist nicht bekannt. Sicher ist dagegen, dass Tesla mit diesen Elektroautos auf ein Fahrzeugsegment zielt, das in Deutschland Golf-Klasse heißt und im internationalen Maßstab vom Toyota Corolla dominiert wird. Die Weltstrategie ist eindeutig: Tesla hat das Potenzial, Toyota abzulösen.
Tesla gegen Toyota? Das klingt zuerst absurd. Hier der Hersteller von coolen Elektroautos, die für viele Menschen weiterhin zu teuer sind. Dort der japanische Weltmarktführer, der für Solidität, Langeweile und die Vermeidung von Elektroautos steht.
Betrachtet man aber, welche Autos weltweit am häufigsten verkauft werden, ergibt die Modellpolitik von Tesla einen klaren Sinn. Tesla will die Masse.
Der Cybertruck muss sein
Die Zählung der Top 10 bei Statista des Jahres 2022 beinhaltet nicht nur Pkw, sondern auch Light Trucks. Eine Fahrzeugkategorie, die in Deutschland keine Bedeutung hat. Auf dem gesamten amerikanischen sowie dem afrikanischen Kontinent aber spielen Pick-ups wie die Ford F-Serie (Platz 3), der Chevrolet Silverado (Platz 7), der Toyota Hilux (Platz 9) und der Ram Pick-up (Platz 10) eine elementare Rolle im mobilen Alltag.
Elon Musk wird darum nicht müde zu betonen, dass man weiter an der Realisierung des Cybertrucks arbeitet. Keine Frage, beim Zeitplan ist irgendetwas fürchterlich schiefgelaufen. Trotzdem wird der Cybertruck bald kommen. Im besten Fall beginnt die Serienproduktion 2024. Tesla muss ein Konkurrenzangebot machen.
Den objektiv größten Erfolg hat Tesla im Segment der kompakten SUVs: Das Model Y war 2022 mit rund 760.000 Exemplaren bereits auf Platz 4 der weltweit meistverkauften Autos. Nur der Toyota RAV4 (circa 870.000, Platz 2) lässt sich unter den SUVs noch besser an den Mann und die Frau bringen. Den Hyundai Tucson (Platz 8) und den Honda CR-V (Platz 6) hat man bereits kassiert. Im ersten Quartal 2023 ist das Model Y sogar das meistverkaufte Auto überhaupt – aber das Jahr ist noch lang.
Die 2022 am häufigsten verkaufte gehobene Limousine ist der Toyota Camry. Platz 5 mit etwa 680.000 Stück. Es ist dem Tesla Model 3 noch nicht gelungen, diesen Klassiker zu überholen. Vielleicht, weil das Model 3 auch gegen den Prius fährt. Der Prius hatte seine Ära. In Kalifornien aber, dem Trendbarometer schlechthin, hat das Tesla Model 3 den Toyota Prius faktisch abgelöst. Und auch in China ist es ganz weit vorne.
Geringe Variantenvielfalt, hohe Stückzahl
China ist mit über 25 Millionen verkauften Autos pro Jahr der mit Abstand größte Einzelmarkt. Dass kein Pkw von Herstellern wie BYD in den internationalen Top 10 zu finden ist, hat zwei Gründe. Zum einen ist die chinesische Industrie (noch) nicht besonders exportorientiert. Zum anderen ist das Erfolgsrezept der Top 10, dass mit einem Produkt sehr viele Kunden bedient werden. Wenige Varianten erfüllen viele Bedürfnisse. Das Prinzip heißt Einfachheit und Stückzahl, Stückzahl, Stückzahl.
Und genau darin ist Tesla sehr gut: Mit geringer Variantenvielfalt viele Elektroautos bauen, um die Kosten zu senken.
Von den Top 10 bleibt nach dieser Aufzählung nur noch der Toyota Corolla übrig. In Europa wird er vorwiegend als Steilheck verkauft, im Rest der Welt eher als Limousine. Rund 1,12 Millionen neue Corollas sind 2022 auf die Straße gerollt.
Tesla wird mit dem Model Q also auf jene Kunden in den USA und Asien zielen, denen eine Corolla Limousine zu bieder ist. Mit dem Model 2 wiederum sollen die Europäer abgeholt werden, die gerne das Steilheck haben. Den Golf eben.
Ein Startdatum gibt es nicht, die Namensgebung ist Spekulation, aber die pure Tatsache, dass Tesla eine Seitenlinie zeigt, reicht aus, um die Autoindustrie in Alarmstimmung zu versetzen. Schließlich behauptet Tesla, die Kosten auf etwa die Hälfte von Model 3 und Model Y senken zu können. Damit ist selbstverständlich nicht der Endpreis gemeint. Der wird sich an den Wettbewerbern orientieren und am Profitwillen.
LFMP- und Natrium-Zellen
Kern aller Bemühungen zur Kostensenkung ist der Antriebsstrang. Dass Tesla den Elektromotor für 1.000 US-Dollar fertigen will, ist nicht so entscheidend. Es bleibt die Traktionsbatterie, die am meisten kostet. Dazu kommt noch die Leistungselektronik als Preisfaktor. Wie weit das geht, zeigt die Aussage, bei allen Teslas im Bordnetz von 12 auf 48 Volt umzusteigen: Ein höhere Spannungsniveau führt zu geringeren Leitungsquerschnitten, kleineren Biegeradien, weniger Kupferbedarf und mehr Effizienz – auch beim Geld, wenn die Stückzahl stimmt.
Beim Energieinhalt der Traktionsbatterie von Model Q und Model 2 darf munter spekuliert werden. Wir tippen auf 50 bis 60 Kilowattstunden, 400 Volt Spannung und eine erweiterte LFP-Zellchemie, also LFMP. Sollte es für Tesla die Möglichkeit geben, bei CATL oder BYD Natrium-Ionen-Zellen einzukaufen, würden diese zuerst in Model Q und Model 2 zum Einsatz kommen. Eine Eigenproduktion könnte folgen.
Um den Toyota Corolla als meistverkauftes Auto der Welt zu schlagen, muss der Preis stimmen. Für den deutschen Markt darf der tatsächliche Basispreis also ungefähr bei 30.000 bis 35.000 Euro liegen. Ein Level, dass heute nur vom MG4 electric erreicht wird. Wenn es Volkswagen, Toyota, Hyundai, Renault und den anderen nicht gelingt, in diesem Segment ein konkurrenzfähiges Angebot zu machen, könnte Tesla spätestens zum Ende des Jahrzehnts der Weltverkaufsmeister sein.
Erschienen bei heise Autos.