Stadtgeflüster

Yippie yeah, eine Kurve: In engen Radien und beim scharfen Abbiegen macht der Renault Twingo electric am meisten Spaß. Er ist der lebendige Beweis, dass der Heck- dem Frontantrieb beim Elektroauto überlegen ist. Und obwohl Luca de Meo, neuerdings CEO bei Renault, sagt, dass der Twingo electric mangels Rentabilität keinen Nachfolger erhalten wird, ist der Kleinstwagen ab sofort bestellbar. Vielleicht hat dieses Segment doch eine Zukunft. Nämlich dann, wenn der Batterie-elektrische Antrieb über Skaleneffekte preisgünstig genug wird. Für die Topversion Vibes verlangt Renault 25.666,21 Euro, wovon nach Abzug der staatlichen Direktförderung und einem weiteren Nachlass durch den Hersteller exakt 10.000 Euro weniger bleiben. Der Testwagen kam in der mittleren Ausstattungslinie Intens, die ab 15.190 Euro zu haben ist. Neben Zen (ab 13.790 Euro) folgt im Jahresverlauf die Basisausstattung Life ab 11.790 Euro.

Der Twingo der dritten Generation wird seit 2014 verkauft und ist im Grundsatz bekannt. Er stammt aus der Kooperation mit Smart. Allerdings hat Renault dem Twingo eine mit 21,4 Kilowattstunden (kWh) netto im Vergleich zum Forfour electric drive (16,7 kWh) deutlich größere Batterie gegönnt. Spätestens an der Ladesäule macht ein charakteristisches Fiep-Geräusch klar, wer der eigentliche Technikspender ist: Der oder die Zoe. Das dreiphasige 22 kW-Ladegerät für Wechselstrom (und nur für den), die Schalter links im Cockpit und das Radionavigationssystem wirken sehr vertraut.

Die neue Logik des Heckantriebs

Die Ursache der großen Fahrfreude ist wie erwähnt die Kombination aus Heckantrieb und Heckmotor. Das führt zu bester Traktion auch bei nasser Straße oder festgefahrener Schneedecke. Drifts lässt der Twingo trotzdem nicht zu. Er ist fahrsicher abgestimmt, ohne dass die Agilität beschnitten wird. Mit 1.168 Kilogramm EU-Leergewicht, also inklusive 75 kg für Fahrer und Gepäck gerechnet, ist er auch ziemlich leicht.

Renault hatte mit dem R16 im Jahr 1965 ein Auto vorgestellt, das wegweisend war: Frontantrieb und Frontmotor galten damals als der Garant für Spurtreue. Außerdem hat die Raumökonomie profitiert. Der Kofferraum war groß und mit einer Heckklappe versehen.

Beim Batterie-elektrischen Antrieb aber gelten die alten Grundsätze nicht mehr. Im Gegenteil zeigt sich, dass die Elektroautos mit Frontantrieb häufig schon auf trockener Straße nicht in der Lage sind, die Kraft auf die Straße zu bringen. Von Kurven oder bei Regen ganz zu schweigen. Beim Twingo electric dagegen muss die Software nicht die 60 kW Motorleistung begrenzen. Pedal durchdrücken, ab geht’s. Mögen die absoluten Fahrleistungen von 4,2 Sekunden auf 50 und 12,9 Sekunden auf 100 km/h auch überschaubar sein; subjektiv und im Großstadtrevier ist man mit dem Twingo der König. Ab durch die Mitte, zack um die Ecke.

Kleiner Wendekreis, umklappbarer Beifahrersitz

Der Schwerpunkt liegt wegen der Batterie (165 kg Eigengewicht, flüssigkeitsgekühlt) mittig und weit unten. Der Twingo electric ist also gut ausbalanciert und absolut spurtreu. Dazu kommt ein weiterer Vorteil des Heckantriebs: Die Vorderräder können weit eingeschlagen werden, und der Wendekreis beträgt darum nur 8,6 Meter (VW e-Up: 9,8 m).

Das Kofferraumvolumen liegt bei 219 Litern, die mit umgeklappter Rückbank auf 980 Liter erweiterbar sind. Ein Clou und eine Empfehlung ist auch der umlegbare Beifahrersitz, mit dem längere Gegenstände transportiert werden können. Die Sitzposition und das Platzangebot für Menschen sind so, wie es bei Kleinstwagen üblich ist: Raum ist in der kleinsten Hütte, und es ist immer wieder erstaunlich, wie komfortabel die Fahrt in einem elektrischen Mini ist. Wunder dürfen trotzdem nicht erwartet werden, besonders bei der Innenraumbreite.

Der Renault Twingo electric erzeugt das klassische Gefühl des kleinen Flitzers. Unter den aktuellen Wetterbedingungen, was in Hamburg durchgehend Minusgrade bedeutet, ist die kombinierte Reichweite nach WLTP von 190 Kilometern allerdings nicht erreichbar. Aus dem Durchschnittsverbrauch von 18,6 kWh / 100 km resultieren 115 realistische Kilometer.

Hierzu muss gesagt werden, dass die Klimaautomatik permanent auf 20 Grad eingestellt war. Die Heizwirkung ist groß, es wird schnell warm im Innenraum und die Scheiben beschlagen nicht. Selbstverständlich waren Winterreifen montiert, und eine Wärmepumpe wie die Zoe hat der Twingo nicht. Ein weiterer erschwerender Faktor ist, dass der Kleinstwagen für kurze Strecken prädestiniert ist: Man nimmt also immer die energieintensive Aufheizphase mit, ohne hinterher eine große Strecke zu bewältigen. Für den Sommer sind Werte unter 15 kWh / 100 km erwartbar.

Durch Kälte gesunkene Ladeleistung

Beim frostigen Laden zeigt der Twingo electric leider eine Schwäche, die bereits von der Zoe bekannt ist: Die nominal mit 22 kW angegebene Ladeleistung war zu keinem Zeitpunkt abrufbar. Sie pendelte um rund die Hälfte davon, mal waren es zehn, mal 13 kW. Das ist für die typischen Anwendungszecke eines Kleinstwagens irrelevant. Die Zahl der Ur-Twingo-Fahrer, die mit offenem Faltdach spontan nach Saint Tropez gereist sind, war wahrscheinlich klein. Dennoch muss jedem klar sein, dass die Reisefähigkeit des modernen Twingo electric nicht ausgeprägt ist.

Er unterscheidet sich damit nicht vom einzigen Konkurrenten in Gestalt des Volkswagen e-Up sowie der baugleichen Seat Mii electric und Skoda Citigo e iV. Der Renault lädt dreiphasig Wechselstrom und damit ungleich schneller als die einphasigen Drillinge aus dem Volkswagen-Konzern. Die können zwar prinzipiell auch Gleichstrom laden, aber lediglich gegen Aufpreis und im Praxis-Wintertest von heise Autos nur langsam. Derzeit ist ohnehin nur der Seat Mii electric erhältlich; Volkswagen behält sich vor, weitere Exemplare zu produzieren oder die Modellreihen einzustellen.

Fazit

So ist der Renault Twingo electric faktisch nahezu der einzige tatsächlich käufliche elektrische Kleinstwagen. Er kombiniert die Fahrfreude und die Traktion des Heckantriebs mit den Tugenden des dreiphasigen 22 kW-Ladegeräts von Renault. Dass dessen Leistung im tiefsten Winter eingeschränkt ist, bleibt eine Momentaufnahme. Er ist wie ein sympathischer Laufschuh und am besten geeignet für Pendelstrecken, für den Shuttle zur Schule oder die Tour zum Supermarkt. Dass er ein Parkplatzsuchgerät ist, versteht sich von selbst. Luca de Meos Absage an kommende elektrische Kleinstwagen muss so nicht zwangsläufig eintreffen. Vielleicht möchte er einfach nur den neuen R5 und den spekulativen R4 promoten, die frühestens 2023 erscheinen. Hoffentlich ebenfalls mit Heckantrieb.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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