Strom gibt es überall. Das Laden von Elektroautos macht trotzdem Probleme. Eigentlich ist die private und öffentliche Infrastruktur auf dem besten Weg. Es gibt aber weiterhin Einschränkungen bei der Nutzbarkeit, Fallstricke für die Endkunden und zeitraubende Diskussionen. Die Lade-Infrastruktur für Batterie-elektrische Autos (abgekürzt BEV für Battery Electric Vehicle) und Plug-in-Hybride (PHEV für Plug-in Hybrid Electric Vehicle) entwickelt sich mit hoher Dynamik. Was gestern noch zutreffend war, kann heute schon überholt sein.
Wir bei heise Autos machen eine Momentaufnahme des aktuellen Stands und geben einen Überblick über die wichtigsten Diskurse:
Einer der Streitpunkte ist die Auslastung der öffentlichen Ladeinfrastruktur. Die Betreiber sagen, dass sie zu wenig elektrische Energie verkaufen. Den Subventionen – bis zur Hälfte der Säulenhardware und bis zu 75 Prozent der Anschlusskosten – zum Trotz bleibt das Errichten von Ladepunkten ein Defizitgeschäft. Gleichzeitig fordern Industrie und Politik, den Zubau zu beschleunigen. Angeblich droht ein Engpass.
Was stimmt? Wahrscheinlich beides. Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur, die zur bundeseigenen NOW GmbH gehört, teilt auf Anfrage mit, dass halbjährlich die Auslastung erhoben werde. Hierbei unterscheidet die Nationale Leitstelle zwischen „Normal-Ladepunkten“, also im Regelfall Wechselstrom-Säulen (abgekürzt AC für Alternating Current) mit bis zu 22 Kilowatt (kW) Leistung, und „Schnell-Ladepunkten“, was meistens Gleichstrom-Säulen (DC für Direct Current) mit bis zu 350 kW sind. Die Analyse bezieht rund 20 Prozent der 46.174 öffentlichen Ladepunkte ein.
Demnach werden DC-seitig pro Tag 39,6 Kilowattstunden (kWh) abgegeben. Die Belegzeit beträgt im Mittel 102,6 Minuten, und es werden 2,4 Fahrzeuge bedient. AC-seitig ist die Standzeit wenig verwunderlich mit 271,7 Minuten erheblich länger. Aber es werden nur 19,1 kWh an 1,3 Fahrzeuge abgegeben.
Diese Durchschnittszahlen müssen interpretiert werden: So ist offensichtlich, dass an DC-Säulen mehr Strom verkauft werden kann und zumindest theoretisch die Gewinnschwelle näher ist. Zugleich ist an allen Ladepunkten gegenüber dem letzten Halbjahr ein deutlicher Zuwachs feststellbar. Die Zulassungszahlen der BEV steigen drastisch an und wirken sich hier aus.
Die Mittelwerte verschleiern allerdings, dass es Ladepunkte mit sehr hoher und andere mit sehr niedriger Auslastung gibt. So teilt die Nationale Leitstelle mit, dass die DC-Säule mit der höchsten Energiemenge 279,3 kWh pro Tag (Durchschnitt zur Erinnerung: 39,6 kWh) verladen habe. Um bei der Ausschreibung des Bundesverkehrsministeriums zum so genannten Deutschland-Netz mit 1.000 DC-Standorten nicht am Bedarf vorbeizubauen, gibt es darum ein raffiniertes Standort-Tool.
Ein systemimmanentes Grundproblem wird sich dennoch nicht komplett beheben lassen: Der Grat zwischen zu wenig und zu viel Auslastung kann schmal sein. Wer auf der Autobahn den Blick nach rechts auf die Rasthöfe wendet, kann häufig die Ladeparks mit mehreren Säulen sehen. Oft ist kaum ein Fahrzeug zu sehen.
Zur Reisezeit und den Schulferien aber wendet sich das Bild. Hier kommt es bereits beim heute vergleichsweise winzigen Bestand zum Queuing, also dem Schlangestehen vor Schnell-Ladesäulen. Dieses Phänomen war zuerst in den USA an Thanksgiving bei Tesla Superchargern beobachtet worden. Die bundesweite und szenebekannte Elektroauto-Vermietung Nextmove rief in den Sommerferien dazu auf, Fotos vom Queuing zu schicken und bekam etliche Einsendungen. Zu Stoßzeiten ist die Schnell-Ladeinfrastruktur überfordert.
Die Balance zwischen der notwendigen Grundversorgung in dünnbesiedelten Gebieten und der Massenabfertigung in Ballungszentren ist zur hohen Kunst geworden. Das gilt auch für die urbane Lade-Infrastruktur. Am Beispiel Hamburg lässt sich zeigen, dass hier in kurzer Zeit eine Problemlage entstanden ist.
Deutschlands zweitgrößte Stadt hat das Potenzial der Elektromobilität früh erkannt und für einen vorbildlichen Ausbau der Ladeinfrastruktur gesorgt. Die Kombination aus vielen AC- und wenigen DC-Punkten hatte lange für eine Spitzenposition geführt. Das ist vorbei.
In Hamburg wohnen viele wohlhabende Menschen, die neuerdings privat oder als Firmenwagen BEV oder PHEV nutzen. Der Boom ist beispiellos, und ein E-Kennzeichen ist häufig zu sehen. Zugleich herrscht Parkplatznot. Eine Folge davon ist, dass langsam ladende PHEVs die Ladepunkte besetzen, um das Auto abstellen zu können – ob sie akut Strom brauchen oder nicht, lässt sich nicht prüfen. Besitzer von BEV, die auf elektrische Energie angewiesen sind und im Regelfall deutlich schneller laden können, haben das Nachsehen. Andererseits ist klar, dass PHEV nur dann Sinn ergeben, wenn sie auch mit Strom statt mit Superbenzin oder Dieselkraftstoff gefahren werden. Es ist also gut und richtig, wenn PHEV geladen werden. Eine Zwickmühle, aus der es nur wenige Auswege gibt. Einer davon wäre der massive Zubau von AC-Ladepunkten, wie es zum Beispiel Ubitricity mit Laternenladepunkten in Großbritannien plant: bis 2025 sollen 50.000 neue Zapfstellen installiert werden. Die Konzernmutter Shell investiert mit.
Dazu sind in Deutschland etliche urbane DC-Hubs in Planung. Dieser Begriff steht für Schnell-Ladeparks. In Städten wie Hamburg sind Grundstücksflächen rar. Es ist darum kein Geheimnis, dass die Mineralölkonzerne mit ihren Tankstellen in Bestlage das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden werden: DC-Hubs verbessern das Image und können in kommenden CO2-Gerichtsprozessen positiv gewertet werden.
Unverständlich ist, dass der Hamburger Senat an einem Privileg aus der Frühzeit der Elektromobilität festhält: Im Rahmen des Erlaubten – tagsüber zwischen 9 und 20 Uhr, nachts und am Wochenende unbegrenzt – dürfen Fahrzeuge mit E-Kennzeichen an Ladesäulen parken, ohne zu laden. Das führt zu der absurden Situation, dass in extrem dicht besiedelten Gebieten schwere PHEV die Fläche vor den Ladesäulen als Umsonst-Parkplatz missbrauchen. Das ist völlig legal und angesichts des Bedarfs ein Skandal.
Dagegen ist der Ausbau der privaten Infrastruktur durch geförderte Wallboxes ein leichtes Unterfangen. Der Staat lobt als quasi-Geschenk für alle Eigenheimbesitzer 900 Euro Direktförderung für Wallboxes mit elf kW Ladeleistung und externer Steuerungsfähigkeit aus. Die Antragszahl bewegt sich in Richtung der 700.000er Marke. Hintergrund: Der Besitz eines BEV oder PHEV ist keine Voraussetzung. Jeder kann eine subventionierte Wallbox beantragen. Der Fördertopf wurde mehrfach aufgestockt – vor der Bundestagswahl will man sich keine Blöße geben.
Die Spannbreite bei den Gesamtkosten für die Installation einer Wallbox ist sehr breit. Ideal und preisgünstig ist es, wenn in einer Garage bereits ein dreiphasiger Anschluss vorhanden ist. Das andere Extrem sind Freiflächenparkplätze oder Tiefgaragen von Wohnungseigentümergemeinschaften. Wenn die Anschlussleistung nicht ausreicht oder aufwendige Tiefbauarbeiten notwendig sind, kann es sehr teuer werden. Einzelfälle von Angeboten über 7.000 Euro sind durchaus möglich.
Eigentlich erledigt hatte sich die vermeintlich schwer lösbare Herausforderung der Identifikation und Bezahlung an öffentlichen Ladesäulen. Dank weniger einheitlicher Softwarelösungen im Hintergrund reicht meistens eine einzige RFID-Ladekarte beziehungsweise Anbieter-App aus, um an fast allen AC- und DC-Säulen Strom zu bekommen. Das nächste Ziel ist die Implementierung von Plug & Charge nach ISO 15118: Das ist die automatische Identifikation und Bezahlung. Einstecken, fertig.
Dass ausgerechnet jetzt ein Bundesratsbeschluss zum verpflichtenden Einbau von Kartenlesegeräten mit PIN-Pad ab Juli 2023 verabschiedet wurde, hat in der Branche zu einem Aufschrei geführt. Rückschritt in Fax-Zeiten, allgemeine Verzögerung und Kostentreiberei, sagen die einen. Barrierefreies Angebot für alle und Verbraucherschutz, sagen die anderen.
Jedenfalls ergibt sich mit dieser Vorschrift die zweite große Hardwarepflicht nach der ebenfalls konfliktbeladenen Einführung der Eichrechtskonformität. Diese ist bei DC-Säulen sowohl bei Bestands- als auch bei Neu-Säulen nicht ansatzweise umgesetzt. Eine Baumusterprüfbescheinigung für die eichrechtskonforme Abrechnung von der zuständigen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig haben bisher nur wenige Hersteller, allen voran Compleo und darüber hinaus Alpitronic, ABB und ads-tec für Porsche.
Die Idealvorstellung bleibt, dass die Mischung aus heimischem AC- und dem DC-Laden unterwegs niederschwellig und simpel für jeden Elektroautofahrer zum Erfolg führt. Es muss auch im preisgünstigsten Elektroauto genügen, ein Ziel ins Navigationssystem einzugeben und alle Ladestopps mit korrekter Ladestands- und Warteprognose angezeigt zu bekommen. So, wie es an Teslas Superchargern selbstverständlich ist.
Erschienen bei heise Autos.