Der Rivale

Das gab’s noch nie: Polestar hat uns einen Testwagen in Grundausstattung hingestellt. Ohne ein einziges Extra. Der Polestar 2 Standard Range Single Motor kostet so 36.930 Euro. Zumindest, wenn die Förderung in der aktuellen Höhe fortgesetzt wird. Das sind 1.040 Euro weniger als beim preisgünstigsten Tesla Model 3. Viel wichtiger im direkten Vergleich zum ebenfalls in China produzierten Rivalen aber ist, dass die Software des Polestar 2 durch mehrere Updates ungleich besser geworden ist als bei den Anfangsexemplaren. So, wie er jetzt ist, muss ein Elektroauto sein.

Der Polestar 2 steht stämmig auf der Straße, und die serienmäßige schwarze Lackierung, die der Hersteller „Void“ nennt, unterstreicht in Kombination mit den 19-Zoll-Basisfelgen den kraftvollen Eindruck. Ob einem ein Tesla Model 3 mehr gefällt, muss jeder selbst wissen. Unabhängig von Geschmacksfragen ist der auffälligste lebenspraktische Unterschied, dass der Polestar eine große Heckklappe hat, während beim Tesla lediglich ein Stummeldeckel öffnet. Dass diese Heckklappe durch einen Kicksensor entriegelt werden kann und elektrisch hochfährt, ist im Alltag nützlich und komfortabel. Vorne haben beide einen Frunk, der verhindert, dass ein schmutziges, herbstliches Ladekabel den Kofferraumteppich verdreckt.

Der Polestar ist wie gehabt aus einem Guss gefertigt. Verwindungssteifigkeit, Materialauswahl und Verarbeitungsqualität sind sehr gut. Dem Klischee eines schwedischen Autos entsprechen auch die leistungsstarke Heizung und Lüftung: Die Sicht ist schnell hergestellt, und es wird angenehm warm.

Routenplaner mit Vorkonditionierung

Wohlfühltemperaturen sind auch für die Batterie besonders wichtig. Die Nettokapazität beträgt 61 Kilowattstunden (kWh). Und durch die Updates hat der Polestar jetzt das, was durch die Integration von Google Automotive eigentlich vom Marktstart an erwartet worden war: Einen Routenplaner mit präziser Ladestands-Prognose und Vorkonditionierung. Die Batterie wird in Erwartung eines Stopps geheizt oder gekühlt, um die maximale Ladeleistung bereitzustellen. Das sind bis zu 116 kW (Long Range mit 75 kWh: maximal 155 kW) mit Gleichstrom. An der heimischen Wallbox kann der Polestar elf kW Wechselstrom ziehen.

Leider muss es immer noch betont werden, wenn ein Elektroauto alles hat, was es haben sollte: Eine Ladestandsanzeige in Prozentpunkten statt eines unpräzisen Balkens, eine Anzeige für die aktuelle Ladeleistung, eine dynamische Reichweitenprognose und so weiter. Hat er, hat er, hat er. Dazu kommt ein flüssiges Bediensystem (auch das war anfangs zäher) sowie die Möglichkeit, Ladesäulen nach Anbieter und Leistung zu filtern. Es gibt nur noch wenige Abstriche in der B-Note; so wurde zum Beispiel nicht durchgehend die schnellste Route in der Auswahl sofort ganz oben angezeigt. Auch das kommt bestimmt noch.

Wie beim Model 3 lassen sich auch beim Polestar die Einstellungen von Lenkgefühl (gering oder Standard), Rekuperation (minimal bis One-Pedal-Drive) und Kriechfunktion verändern. Für uns hat die Kombination aus eingeschalteter Kriechfunktion, geringster Rekuperation und niedrigen Lenkkräften am besten gepasst.

165 kW Motorleistung sind genug

Bei der Leistung des Elektromotors fällt der Polestar 2 Standard Range deutlich hinter dem im Februar gefahrenen Long Range Dual Motor zurück: Es stehen nur 165 statt 300 kW zur Verfügung. Bei der Beschleunigung (Werksangabe: 7,4 Sekunden) bedient sich der Hersteller eines Tricks, den wir zuletzt beim Toyota Mirai erlebt haben. Das Fahrpedal reagiert recht spitz auf Befehle, es wird also bei wenig Weg relativ viel der Leistung abgerufen. Das macht den Polestar subjektiv zackig, auch wenn beim Durchtreten jener typische Hammerschlag fehlt, für den Elektroautos seit Tesla so bekannt ist.

Aber kann das gut gehen, wenn immerhin 165 kW über die Vorderräder herfallen? Ja, und das tut es. Der Polestar 2 ist das beste frontgetriebene Elektroauto, das wir bisher gefahren sind. Es gibt keinen Zweifel, dass der Heckantrieb prinzipiell besser geeignet ist, um die üppige Kraft des Stroms auf die Straße zu bringen. Trotzdem fährt sich der Polestar in Kurven agil, was unter anderem an der Mehrlenkerhinterachse liegt, die der Standard Range vom Long Range übernimmt. Der Komfort kommt dabei nicht zu kurz, weil die 19-Zoll-Basisfelgen ausreichend Eigendämpfung zur Verfügung stellen. Läuft.

Spaß macht er also, der Polestar 2 Standard Range Single Motor, die Software funktioniert einwandfrei, und auch ohne das Harman-Kardon-Soundsystem (im Paket Plus für 4.500 Euro zusammen mit der Wärmepumpe, dem Panoramadach und mehr erhältlich) klingt das Radio wirklich gut. Schwächen gibt es dennoch.

Höherer Stromverbrauch als im Model 3

So lag der Testverbrauch von durchnittlich 22,1 kWh / 100 (mittlere Reichweite demnach 276 km) mit Winterreifen zwar erheblich unter dem im Februar bei bis zu minus 17 Grad malträtierten Dual Drive, der sich 28 kWh genehmigte. Trotzdem ist das weiterhin unter allen Betriebsbedingungen eindeutig mehr als beim Tesla Model 3. Wer häufig statt gelegentlich auf der Autobahn unterwegs ist, sollte 3.000 Euro in die Hand nehmen und zum Polestar 2 Long Range mit 75 kWh greifen.

Für Fans von Fahrassistenzsystemen ist es zudem unrühmlich, dass der Tempomat in der Basisausstattung stumpf ist, also keine adaptive Regelung hat, obwohl die Hardware dafür vorhanden ist. Wie gut die Systeme sein könnten, deutet bereits die Verkehrszeichenerkennung an, die ohne Probleme zum Beispiel „bei Nässe“-Schilder unterhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung identifiziert. Das Paket Pilot für 3.500 Euro bietet alles, was das Fahrassistenz-Herz begehrt inklusive der 360 Grad-Kamera. In der Grundausstattung ist lediglich die sehr hoch auflösende Heckkamera enthalten. Es ist die immer gleiche Gemeinheit: Ausstattungspakete werden bewusst so geschnürt, dass sie den Kunden zum Kauf provozieren sollen.

1,5 Tonnen Anhängelast

Schön dagegen ist, dass die Anhängelast der Kupplung (1.150 Euro) beim Polestar 2 Standard Range mit 1,5 Tonnen exakt so hoch ist wie beim Long Range. Das machen die meisten anderen Hersteller anders, und Tesla hat die Anhängekupplung beim Model 3 ganz gestrichen – vermutlich, um mehr Interessenten zum margenträchtigeren Model Y zu locken.

Mit dem Polestar 2 Standard Range Single Motor ist ein erfreuliches Elektroauto entstanden, ein echter Tipp für alle, die dem Verbrennungsmotor Tschüss sagen wollen und nicht allzu viel Geld ausgeben können oder wollen. Der Polestar 2 ist ein praktisches und hochwertiges Fahrzeug, das außerdem Fahrspaß bereitet. Für den Alltag auf der Strecke ist der funktionierende Routenplaner mit Vorkonditionierung elementar; hier und bei der gesamten Bedienung haben die Updates einen krassen Fortschritt erbracht. So ist der Polestar 2 zu dem geworden, wofür er erdacht worden ist: Zum härtesten Konkurrenten des Tesla Model 3.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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