Warum der Boom weitergeht

Was für ein Autojahr: 2021 war geprägt vom Chipmangel. Die Hersteller konnten als Folge der Pandemie nicht so viele Fahrzeuge ausliefern wie bestellt wurden. Der Marktanteil der Elektroautos wächst trotzdem stetig. Im November waren nach Auskunft des Branchendiensts electrive.net 20,3 Prozent aller Neuwagen mit einem Batterie-elektrischen Antrieb ausgerüstet. Dazu kamen 14,1 Prozent Plug-in-Hybride, also Autos, die eine begrenzte Strecke mit Strom fahren können, bevor der Verbrennungsmotor weiterhilft. Und es gibt drei stichhaltige Argumente, die dafürsprechen, dass sich der Boom der Ladestecker 2022 fortsetzt.

Der erste Grund ist, dass die Autoindustrie immer mehr neue Modelle vorstellt. Die Auswahl für Käuferinnen und Käufer wird breiter. Der Volkswagen-Konzern etwa bringt weitere Derivate auf Basis des so genannten „Modularen Elektrifizierungs-Baukastens“ (MEB) wie den ID.5. Mit dem schrägen Heck konkurriert der Volkswagen direkt mit einem anderen, demnächst in Deutschland produzierten SUV: Dem Tesla Model Y. Noch gibt es Anlaufschwierigkeiten beim Model Y aus Brandenburg. Bis spätestens Mitte des Jahres sollte alles in der Fabrik funktionieren.

Vorwiegend SUVs

Das weltweit beliebte und margenstarke Segment der SUVs bekommt noch mehr elektrische Neuzugänge: Skoda bringt eine Schrägheckversion des Enyaq. Polestar stellt das SUV mit der schlichten Ziffer 3 vor. Toyota bringt den bZ4X (sprich etwa: „bee zee for cross“) als Alternative zum RAV4. Und Mercedes beginnt mit der Auslieferung des EQB, einem bis zu 7-sitzigen SUV. Eine weitere Ergänzung in der Armada der großen, schweren Elektroautos bildet der Nissan Ariya.

Ob chinesische Marken wie Nio mit dem riesigen ES8 im kommenden Jahr vermehrt nach Deutschland drängen, ist offen. Meistens versuchen sie es zuerst in Norwegen, einer Art europäischem Labormarkt. Wer dort Fuß fasst, wird im nächsten Schritt auch zwischen Flensburg und Füssen in den Verkauf starten.

Groß muss nicht automatisch ein SUV mit den Designelementen der Verteidigung wie Unterfahrschutz, grobem Frontgesicht, Höherlegung und Plastikradläufen sein. Auch der Volkswagen ID.Buzz ist voluminös, kommt aber in eher freundlicher Gestalt daher. Der Buzz wird wahrscheinlich im Februar als Batterie-elektrisches Pendant zum T6 und dem T7 präsentiert, also jenen Fahrzeugen, die meistens VW Bus genannt werden. Der ID.Buzz kommt nach der Umstellung der Fließbänder im Spätsommer auf die Straßen. Und bis er den Strand erreicht, werden wohl viele Jahre vergehen: Surfer investieren lieber in ihre Ausrüstung statt in einen erwartbar sehr teuren E-Bus. Unter 60.000 Euro dürfte wenig gehen.

Das gilt auch für luxuriöse Batterie-elektrische Fahrzeuge wie die Mercedes Limousinen EQS und EQE – vergleichbar mit der S- und der E-Klasse –, dem elektrischen 7er BMW, dem BMW i4 oder den zum Jahresende Premiere feiernden Porsche Macan. Der Macan wird das erste Elektroauto aus dem Volkswagen-Konzern, das die so genannte „Premium Platform Electric“ (PPE) mit 800 Volt Spannung nutzt.

Keine elektrischen Kleinwagen

Es fällt auf, dass kein einziges preisgünstiges Elektroauto oder gar ein Kleinwagen angekündigt sind. Das untere Ende markieren Kompakte wie der Renault Megane E-Tech oder der Opel Astra-E. Unter 35.000 Euro wird wenig zu haben sein, und wer ein paar Optionen ordert, landet schnell zwischen 40.000 und 50.000 Euro.

Schaut man auf die Bestseller des Jahres 2021, sieht es aus, als würde damit am Kunden vorbei gebaut werden: Auf Platz 1 steht das Tesla Model 3. Es folgen der Kleinstwagen Volkswagen e-Up, der Golf-Konkurrent Volkswagen ID.3, der Kleinwagen Renault Zoe und das City-SUV Hyundai Kona EV. Auf Platz 6 ist mit dem Smart Fortwo EQ ein weiterer Mini zu finden, und auch der Fiat 500 und der BMW i3 sind unter den Top 10. Der Volkswagen e-Up, der Smart Fortwo und der BMW i3 werden jedoch ersatzlos eingestellt.

Den Erfolg von Elektroautos dürfte das kaum bremsen. Denn die zweite Ursache für den Boom bleibt 2022 unverändert bestehen: Die massiven Subventionen. Im Koalitionsvertrag ist festgelegt, dass es wegen der eingangs erwähnten Chipkrise vorerst keine Abschmelzung der Förderung geben soll.

Der finanzielle Rückenwind besteht aus zwei Elementen: Zum einen der „Innovationsprämie“, also dem direkten Rabatt auf den Verkaufspreis. Bei Elektroautos bis zu einem Netto-Basispreis von 40.000 Euro muss der Hersteller 3.000 Euro netto nachlassen. Der Staat legt zusätzlich 6.000 Euro obendrauf. Das macht zusammen 9.570 Euro. Viel Geld, das sich zu steuerfinanzierten Milliarden summiert.

Nachlass für elektrische Dienstwagen

Das zweite, in der Öffentlichkeit weniger diskutierte, aber weitaus wichtigere Element ist die Reduzierung der Dienstwagensteuer. Über zwei Drittel aller Neuwagen werden gewerblich zugelassen, also auf Unternehmen und Selbstständige. Wer einen solchen Firmenwagen nicht nur beruflich, sondern gelegentlich auch privat nutzen will, muss das als geldwerten Vorteil versteuern.

Die Bemessungsgrundlage für die Versteuerung dieses geldwerten Vorteils beträgt normalerweise ein Prozent des Bruttolistenpreises pro Monat. Bei Batterie-elektrischen Autos, die weniger als 60.000 Euro kosten, ist es nur ein Viertel davon. Übersetzt: Wer zum Beispiel einen Volkswagen ID.3 für 48.000 Euro erwirbt, müsste eigentlich pro Monat Steuern für 480 Euro bezahlen. Wegen des Elektroauto-Bonus sind es nur Steuern für 120 Euro. Hier kommen schnell hohe Nettoersparnisse zusammen.

Das dritte schwerwiegende Argument für eine permanente Entwicklung hin zum Elektroauto sind die CO2-Vorgaben der Europäischen Union. Der Durchschnitt aller 2020 in der EU tatsächlichen verkauften Pkw durfte 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer betragen. 2030, so das ursprüngliche Ziel, sollte dieser Wert um weitere 37,5 Prozent unterboten werden.

CO2-Limits sind Treiber der Elektromobilität

Wie deutlich die Verschärfung des CO2-Ziels ausfällt, wird derzeit im Trilog, einer Art Vermittlungsverfahren, zwischen Europäischer Kommission, dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament verhandelt. Es ist von einem Zielkorridor zwischen 50 und 70 statt 37,5 Prozent auszugehen.

Diese Limits sind nur durch einen hohen Zuwachs der Batterie-elektrischen Autos zu erreichen, weil diese mit null Gramm Kohlendioxid in die Bilanz eingehen. Von der Ausgestaltung des EU-Ziels hängt auch ab, ob die von der Ampel-Koalition ausgegebene Marke von 15 Millionen Elektroautos erreicht wird – zurzeit sind es geschätzt eine gute halbe Million. Die Industrie tut, was die Politik vorgibt.

Immerhin gibt es eine positive Perspektive, die so bisher nicht absehbar war: Die RWTH Aachen geht davon aus, dass die Batteriezellen für die benötigen Elektroautos 2030 vorwiegend in Europa produziert werden, weil regionale Lieferketten billiger sind. Von bis zu 1.000 Gigawattstunden pro Jahr ist die Rede. Und über die Hälfte davon könnte in Deutschland gefertigt werden. Wegen des hohen Automatisierungsgrads werden zwar nicht besonders viele Arbeitskräfte gebraucht. Aber die Wertschöpfung findet hier statt.

Erschienen bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: BMW

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