Wie bleiben wir individuell mobil?

Nahezu 60 Prozent aller 2030 verkauften Volkswagen werden einen Batterie-elektrischen Antriebsstrang haben. Das prognostizierte der Vorstandsvorsitzende Herbert Diess auf dem Power Day im März. Spätestens 2035, so ergänzte es im Juni der Vertriebsvorstand Klaus Zellmer in einem Zeitungsinterview , wolle man in Europa auf Verbrennungsmotoren verzichten. China und die USA, also der größte und der zweitgrößte Markt der Welt, sind von diesem Datum allerdings ausgenommen. Zellmer rudert weiter zurück und verweist auf das Jahr 2050 für die CO2-Neutralität der Flotte. Man müsse sich „einen gewissen Spielraum“ erhalten, und „am Ende liegt die Entscheidungsfreiheit immer beim Kunden“.

Die Aussage von Volkswagen ist repräsentativ für die Autoindustrie. Der Hochlauf von Batterie-elektrischen Pkw ist unumkehrbar. Man kann so weit gehen zu sagen: Die Frage, ob dieser Antrieb erfolgreich sein wird, stellt sich nicht. Die Hersteller und die Politik haben die Entscheidung bereits getroffen. Der Zuwachs wird massiv sein. Eine elementare Motivation dafür ist die Notwendigkeit des Klimaschutzes. Weg vom fossilen Rohöl. Das Elektroauto bietet einen probaten Weg zur Dekarbonisierung: Im gleichen Augenblick, wo der Strom für die Produktion und für das Fahren vollständig aus erneuerbaren Quellen kommt, ist das Elektroauto klimaneutral.

Dass trotzdem nicht längst die komplette Autoindustrie ein 100 Prozent-Szenario ansagt, hat mit den Nachteilen dieses Antriebs zu tun. Die Branche denkt grundsätzlich international, es ist also sinnvoll, dieser Blickweite zu folgen. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der weltweit gebauten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge stetig der 100 Millionen-Marke genähert. Wahrscheinlich wird es nach dem aktuellen Pandemie-bedingten Einbruch wieder in diese Richtung gehen. Je nach Schätzung gibt es im Gesamtbestand mindestens 1,5 Milliarden Fahrzeuge, und fast alle haben einen Verbrennungsmotor.

Eine Unsicherheit bei der Betrachtung ist der Preis für die Metalle, aus denen der elektrochemische Speicher besteht. Big Mining könnte Big Oil ersetzen. Hierbei ist es keineswegs notwendig, sich auf plakative Kathodenmaterialien wie Kobalt zu konzentrieren. Kupfer, Aluminium, Stahl und Nickel sind vertraut. Das bedeutet aber nicht, dass deren Preis bei einem Boom konstant bleibt – auch hier sind unvorhersehbare Anstiege möglich, die eine Kalkulation und die Rentabilität erschweren. Preisgünstige Elektroautos, die wenig Reichweite benötigen, werden eine simple Zellchemie bekommen; wahrscheinlich machen Lithium-Eisenphosphat-Zellen (LFP) hier ab 2023 das Rennen.

Es ist absehbar, dass viele, aber nicht alle Fahrprofile durch Batterie-elektrische Fahrzeuge abgedeckt werden können. Offen ist also nicht, welche Alltagsstrecken vom Arbeitsweg über den Kindershuttle bis zum Sportplatz bewältigt werden können. Das funktioniert. Vielmehr ist ungeklärt, wie jene Nutzer ihre Transportansprüche befriedigen können, die in großen Fahrzeugen lange Distanzen zurücklegen müssen oder reisen wollen.

Option 1: Alles wird Batterie-elektrisch

Das ist fraglos möglich. Es erfordert aber einen Ausbau der Ladeinfrastruktur, der mit dem derzeitigen Zustand nicht vergleichbar ist, und der Materialbedarf würde alle bekannten Dimensionen sprengen. Offensichtlich ist auch, dass es Abstriche bei der Nutzbarkeit geben würde: Selbst Batterie-elektrische Limousinen mit exzellenter Aerodynamik reichen nicht an die selbstverständliche Flexibilität eines Autos mit Verbrennungsmotor heran. Und es gibt eben auch andere Karosserieformate, allen vorweg die beliebten SUVs, die bei der Reichweite große Probleme haben.

Bei besonders hohen oder niedrigen Außentemperaturen bricht außerdem die Ladeleistung ein, was die Zwangspausen stark verlängert. Klar ist außerdem, dass auf die Lebensdauer eines Pkw – das Durchschnittsalter in Deutschland beträgt 9,8 Jahre – eine Degradation der Batterie stattfindet. Der Aktionsradius schrumpft, und es ist wahrscheinlich, dass wegen der kalendarischen (nicht der zyklischen) Alterung der Komponenten, Kunststoffe und Kleber auf einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren zumindest ein Refurbishment einzelner Zellen erforderlich wird.

Der Kundenwille, siehe oben, ist relevant. Ein 100 Prozent-Szenario inklusive der Nutzfahrzeuge ist aus heutiger Sicht nur über staatlichen Zwang vorstellbar. Die Hoffnung, Batterien würden sich so schnell und radikal entwickeln wie Computerchips, hat sich nicht erfüllt und wird es nach allem, was bis Ende dieses Jahrzehnts absehbar ist, auch nicht tun.

Option 2: Weitermachen wie bisher

In dem Maß, in dem Batterie-elektrische Fahrzeuge zunehmen, gehen jene mit Verbrennungsmotor (Plug-in-Hybride eingeschlossen) zurück. Das ist der Pfad, auf dem wir uns in Deutschland und Europa derzeit befinden.

Weil die Lücke bei der Nutzbarkeit besonders bei großen Pkw sowie Nutzfahrzeugen und auf langen Strecken vorhanden ist, bedeutet das auch die Fortexistenz des Dieselmotors. Er hat ab einer bestimmten Größenklasse bessere CO2-Emissionen als ein Ottomotor. Es klingt paradox, aber der Selbstzünder kann genau das, was das Elektroauto nicht kann: Große Fahrzeuge, weite Distanzen, schwere Lasten und Anhänger.

Der vermeintliche Vorteil dieses Vorgehens ist, dass man sich kurzfristig keine Gedanken machen muss. Einfach weitermachen. Und all jene Kunden sind zufrieden, die sich aus guten Gründen nicht mit dem Batterie-elektrischen Antrieb anfreunden können.

Der Nachteil ist, dass die Dekarbonisierung langsam vorangeht. Rechnet man die Weiternutzung auf anderen Kontinenten ein, wird ein heute gekaufter Pkw mit Verbrennungsmotor eher 20 als 15 Jahre unterwegs sein. Skaliert man das auf den Weltmaßstab hoch, sind ehrgeizige Klimaziele eine fromme Illusion.

Option 3: Die Brennstoffzelle

Was in Europa und speziell nach Lesart von Volkswagen ausgeschlossen ist, ist in den Industrienationen Südkorea, Japan und China selbstverständlich vorgesehen: Das, was das Batterie-elektrische Auto nicht kann, wird durch Brennstoffzellen-elektrische erledigt werden. Ein Tabu, diesen Antrieb auf Nutzfahrzeuge zu beschränken, kennt man in Asien nicht. Man entscheidet pragmatisch.

Toyota bemüht in diesem Zusammenhang auch das Wort Convenience. Es beschreibt eine Mischung aus Verbraucherfreundlichkeit und Bequemlichkeit. Und in der Tat sind jene Anstrengungen, die mit Batterie-elektrischen Fahrzeugen auf langen Strecken verbunden sind, beim Brennstoffzellen-elektrischen nicht vorhanden. Fahren, tanken, fahren.

Der bekannte Nachteil ist die doppelte elektrische Ausgangsenergie, die fürs Fahren notwendig ist. Auf der Habenseite stehen neben der Flexibilität der geringere Materialbedarf. Sollte es den Giganten Hyundai und Toyota gelingen, die Skaleneffekte in der Produktion der Stacks zu erzielen, werden die Kosten deutlich fallen. Der Platinbedarf jedenfalls liegt lediglich auf dem Niveau aktueller Diesel-Pkw, die das Edelmetall für die Abgasreinigung brauchen.

Voraussetzung für eine positive Klimawirkung ist die Produktion des Wasserstoffs durch Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Quellen. Derzeit wird das Gas an den H2-Tankstellen zu 42 Prozent durch Dampfreformierung aus Methan gewonnen. Auch hier gilt es aus industriepolitischer Perspektive, wach zu sein und Anschluss zu halten: China ist längst zum größten Produzenten von Elektrolyseuren aufgestiegen.

Option 4: Superbenzin und Dieselkraftstoff aus Ökostrom

Sollten wir in Europa auf dem unter 2 genannten Pfad weitergehen, könnten die verbliebenen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor durch den Einsatz von e-Fuels dekarbonisiert werden. Die Breitenanwendung des Power-to-Liquid-Verfahrens, also der Umwandlung von grünem Strom in flüssige Kraftstoffe, ist weitaus wahrscheinlicher, als es das heute geringe Ausgangsvolumen erahnen lässt.

Zwar muss sechs bis acht Mal so viel elektrische Energie wie im Batterie-elektrischen Pkw oder Nfz eingesetzt werden, um voranzukommen. Es wäre aber ein Irrtum anzunehmen, dass damit der Einsatz ausgeschlossen wäre.

Strom ist in Deutschland mit vielen Abgaben und Steuern belegt. Der eigentliche Gestehungspreis liegt bei nur rund einem Fünftel der knapp 32 Cent, die Verbraucher heute bezahlen müssen. In anderen Weltregionen reichen zwei oder drei Cent aus, um eine Kilowattstunde zu produzieren. Wenn für einen Liter Flüssigkraftstoff 15 bis 20 Kilowattstunden notwendig sind, zeigt das die prinzipielle Machbarkeit.

Mit dem massiven Aufbau von Produktionsanlagen von e-Fuels ist definitiv zu rechnen: Reiseflugzeuge sind ohne diese Technologie nicht dekarbonisierbar. Der Schritt bei der Fischer-Tropsch-Synthese zu unterschiedlichsten Kraftstoffen für Pkw und Nfz ist klein. Zwar werden e-Fuels nicht in Deutschland produziert werden. Aber auch das gehört zur Wirklichkeit: Wir bleiben auf Energieimporte angewiesen.

Fazit:

Der Durchbruch von Batterie-elektrischen Autos im Sinn eines krassen Zuwachses ist garantiert. Welcher Ansatz diesen Antrieb ergänzt, ist aber weiterhin offen. Der Treiber der Entwicklung ist eine Mischung aus regionalen politischen Vorschriften, national-industriellen Interessen und dem Kundenwunsch. Bei intensiver Betrachtung zeigt sich, dass kein Konzept zur Dekarbonisierung ausschließlich Vor- oder Nachteile hat. Insofern wäre es auch wenig klug, eine Idee auszuschließen.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: H2 Mobility

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