Die asiatische Autoindustrie ist verrückt geworden: Obwohl ein Elektrofahrzeug mit Wasserstoff-betriebener Brennstoffzelle doppelt so viel Ausgangsenergie benötigt wie eines mit Batterie, verfolgen Hyundai und Toyota konsequent die Markteinführung. So stellen die Südkoreaner Anfang Januar auf der CES in Las Vegas bereits die zweite Generation eines Brennstoffzellen-SUVs vor. Mit 800 Kilometern Reichweite im europäischen Messzyklus NEFZ und ab August in Deutschland erhältlich. Und Toyota will die Olympischen Spiele 2020 in Tokio als Werbeveranstaltung für die Technik nutzen. Busse und Pkw für die Sportler sollen mit Wasserstoff fahren. Was ist die Motivation für diese Entscheidung – gibt es vernünftige Gründe, die Brennstoffzelle weiter zu verfolgen?
Vorweg zur Erklärung: Elektroautos können den Fahrstrom für den Motor aus einer Batterie bekommen, die am Netz geladen wird. Kein Antrieb ist so effizient, wie PricewaterhouseCoopers (PwC) kürzlich vorgerechnet hat. Um eine mechanische Kilowattstunde (kWh) im Fahrzeug zu haben, müssen 1,4 kWh zum Beispiel in einem Windkraftwerk produziert werden. Der Verlust von nur 30 Prozent von der Quelle zum Rad ist im Vergleich äußerst gering.
Eine andere Möglichkeit, den E-Motor im Fahrzeug mit Strom zu versorgen, ist die Brennstoffzelle: In ihr reagieren Sauerstoff aus der Umgebungsluft und Wasserstoff aus einem Drucktank kontrolliert zu Wasser. Dabei wird elektrische Energie frei. Außerdem entsteht etwas Abwärme. Die offensichtlichen Vorteile dieser Anwendung sind die kurze Betankungszeit von drei bis fünf Minuten sowie die Reichweite, die auf dem Niveau von Verbrennungsmotoren liegt.
Der deutlichste Nachteil liegt in der Erzeugung des Wasserstoffs. In Deutschland geschieht das derzeit vorwiegend durch Dampfreformierung aus Erdgas, was wenig Sinn ergibt. Perspektivisch ist das Ziel – ähnlich wie bei den Batterie-elektrischen Autos – die ausschließliche Versorgung aus erneuerbaren Energien. Der Wasserstoff müsste also durch Elektrolyse erzeugt werden. Das wiederum bedeutet, dass für eine kWh am Rad 2,8 kWh in einer Windkraftanlage produziert werden müssen, so die PwC-Studie. Der niedrigere Wirkungsgrad ist das Ergebnis der Umwandlungsverluste, des Transports und der Komprimierung an der Tankstelle.
Häufig ist die Diskussion hier beendet. Das Effizienzargument wiegt aus Sicht der Befürworter des Batteriesystems so schwer, dass sich dieser Antrieb komplett durchsetzen wird. Sogar bei Nutzfahrzeugen: Tesla gilt nach der Vorstellung der Zugmaschine Semi Truck als Beweis dafür, dass Batterien die einzig sinnvolle Lösung sind, selbst wenn sie tonnenschwer sind.
Was also treibt die Hersteller aus Japan, Südkorea und aus China an, auf die Brennstoffzelle als Ergänzungstechnik bei der Elektrifizierung zu setzen?
Fragwürdiger Materialeinsatz bei Batterien
Das wichtigste aktuelle Argument ist der Materialeinsatz bei den Batterien. Im Fall eines Volkswagen e-Golf sind das über 300 Kilogramm. Von Stahl für das Gehäuse über Lithium aus chilenischen Salzseen bis zu diversen Kunststoffen. Von Kobalt, dem ebenso umstrittenen Coltan über Kupfer für die Kabel bis zum Graphit: Die meisten Batteriesysteme sind eine vielfältige Mischung aus Ressourcen, die irgendwo herkommen müssen.
Welche gigantischen Dimensionen hier mittelfristig entstehen könnten, zeigt ein Blick auf die weltweiten Produktionszahlen: 2016 liefen mehr als 84 Millionen Pkw vom Band. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass spätestens 2030 die 100 Millionen-Marke durchbrochen wird. Der entscheidende Faktor dabei ist China, wo 2010 noch elf Millionen und im letzten Jahr fast 24 Millionen Autos verkauft wurden.
Dazu addieren sich jedes Jahr Millionen von Nutzfahrzeugen, von Trucks und Kleintransportern über Busse bis zu schweren Lkws. Wie viel Material müsste eingesetzt werden, um alle mit Batterien zu elektrifizieren?
In letzter Zeit hat sich vor allem die Diskussion um Kobalt verstärkt. Hier ist zum Beispiel die Rede von der Schwierigkeit von Volkswagen, langfristige Lieferverträge zu bekommen. Kritiker verweisen außerdem auf die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Herkunftsstaaten wie der Demokratischen Republik Kongo. Amnesty International hat „vor zwei Jahren nachgewiesen, dass schon Kinder ab sieben Jahren ihre Gesundheit in den Kobaltminen riskieren“, sagt Mathias John von Amnesty International in Deutschland. Konzerne wie Apple, Samsung oder BMW profitierten von der Arbeit „von Schätzungsweise 40.000 Kindern“, so John.
Die Autoindustrie droht, von der Abhängigkeit erdölexportierender Länder in die von rohstoffreichen Staaten zu geraten.
Dagegen erscheint der Einsatz von Platin in der Brennstoffzelle vernachlässigbar. Hier werden circa 50 Gramm pro Fahrzeug gebraucht, Tendenz sinkend. Zum Vergleich: allein für die Abgasreinigungsanlage moderner Dieselantriebe werden über 15 Gramm des Edelmetalls pro Auto benötigt.
Das zweite Argument für die Wasserstoff-betriebene Brennstoffzelle als Ergänzungslösung ist die Praxistauglichkeit.
Brennstoffzelle im Alltag bequemer und flexibler
Wer jemals ein Batterie-elektrisches Auto ausprobiert hat, weiß dass es Ladepausen gibt. Es ist kein Problem, sich daran zu gewöhnen. Trotzdem ist es keineswegs sicher, dass eine hohe Zahl oder gar alle zukünftigen Kunden das tatsächlich wollen. Wieso langsam, wenn es auch schnell geht? Wahrscheinlich wird es Käufer geben, die sich nach der ersten unfreiwilligen Zwangspause an einer überlasteten Ladestation an der Urlaubs-Autobahn mit Grausen vom Batterie-elektrischen Fahren abwenden.
Dazu kommt, dass kurze Ladezeiten, die durch hohe Ladeleistungen an teuren Säulen ermöglicht werden, Aufpreis beim Strom kosten werden. Die verkürzte Standzeit beim Laden ist das neue Super Plus.
Bedenkt man nun noch, dass bei der Alterung der Batterien die Reichweite sinkt, die Brennstoffzelle dagegen lediglich an Spitzenleistung verliert, ergibt sich ein weiteres Plus für alle Nutzer, die keine Zeit zum Warten haben oder haben wollen.
Infrastrukturkosten kaum relevant
Sowohl fürs Batterie- als auch fürs Brennstoffzellen-elektrische Fahren muss die Infrastruktur aufgebaut werden, und das kostet Geld. Angesichts der riesigen Summen, die jedes Jahr für unwiederbringlich verbrannte fossile Kraftstoffe ausgegeben werden, sind die Investitionen allerdings lächerlich gering. Es ist gleichgültig, ob eine Schnell-Ladesäule mit 30.000 oder 60.000 Euro veranschlagt wird. Wenn 100.000 Stück davon errichtet werden, sind dafür also drei bis sechs Milliarden Euro fällig. Und für 2.000 Wasserstoff-Tankstellen müssten zwei bis drei Milliarden Euro bezahlt werden. Das ist nicht viel, denn allein aus der Energiesteuer auf Dieselkraftstoff und Superbenzin hat der deutsche Fiskus 2016 fast 36 Milliarden eingenommen – die Mehrwertsteuer noch nicht eingerechnet. Verteilt man die Kosten für den Infrastrukturaufbau auf zum Beispiel zehn Jahre, ist das kostspielig, im Energiesektor jedoch problemlos vorstellbar.
Zurück zum Ausgangspunkt, der Motivation asiatischer Hersteller, den Pfad der Brennstoffzelle weiter zu verfolgen. Spricht man mit den Vertretern deutscher Marken, ist die Botschaft oft: Wir setzen aufs Batterie-elektrische Auto, und für die Anwendungsfälle, die dadurch nicht abgedeckt werden können, bleiben Benzin- und Dieselmotoren. Diese könnten, so argumentiert der VDA, durch unwirtschaftliche Synfuels aus erneuerbaren Energien betrieben werden. Auch Konzerne wie Toyota lassen den Verbrennungsmotor nicht kurzfristig verenden, möchten sich zugleich aber jede denkbare Option auf die Vollelektrifizierung des rollenden Verkehrs offenhalten.
China, Katalysator der Evolution
Eine entscheidende Rolle kommt China zu. Der größte Absatzmarkt der Welt hat eine weiterhin wachsende Bedeutung. Und die Staatsführung hat wenig Verständnis dafür, Milliarden hart verdienter Yuan für Erdölimporte aus dem Ausland auszugeben. China mit den eigenen Rohstoffvorkommen wird wahrscheinlich aus strategischen und volkswirtschaftlichen Erwägungen die E-Mobilität vorschreiben. Mit Batterie oder Brennstoffzelle, nicht entweder oder. Und wegen der sehr großen Stückzahlen hätte das einen starken Einfluss auf das internationale Marktgeschehen. Die Marke Volkswagen etwa setzt inzwischen über 50 Prozent der Pkw in China ab.
Vorm abschließenden Fazit sollen noch zwei Gerüchte übers Wasserstoff-betriebene Brennstoffzellenauto korrigiert werden. Nach Aussage von Audi sind die Drucktanks dichter als die von Benzin. Eine Selbstentleerung findet nicht statt. Das war in den 90er Jahren anders, als man mit tiefgekühltem Wasserstoff experimentierte, wodurch es zum Boil-off kam. Bei Batterien dagegen sinkt der Ladestand stetig.
Die angebliche Gefahr, die von Drucktanks ausgeht, wird ebenfalls falsch eingeschätzt. Statt der befürchteten Detonation ist im Worst Case vielmehr eine Deflagration, also ein schneller Abbrand, zu erwarten. Generell gilt, dass jeder vorsichtig sein sollte, der mit großen Energiemengen hantiert. Egal ob aus Wasserstoff oder Batterien, ob aus Benzin oder Diesel.
Der kommentierende Abschluss: Aus Sicht des Autors sollten wir niemals eine Antriebstechnik als nur gut und geil und eine andere als nur böse und schlecht beurteilen. Es gibt viele Perspektiven und viele Sichtweisen. Die der Energieeffizienz, die der Volkswirtschaft, die des Umweltschutzes und die des individuellen Kunden. Es wäre unklug, eine Idee wie die Brennstoffzelle leichtfertig anderen zu überlassen, weil man davon überzeugt ist, die allein sinnvolle technische Antwort zu haben. Bei allen Überlegungen kommt man außerdem leicht an den Punkt, dass neben der Veränderung des Antriebs eine evolutionär verbesserte Verkehrswelt notwendig ist. Das Stichwort Verkehrswende wirkt abgenutzt und öde. Dennoch führt an einer grundsätzlichen Mobilitätsfrage kein Weg vorbei: In welcher Welt wollen wir morgen leben?
Erschienen am 21. Dezember bei heise Autos.