Die Europäische Union hat beschlossen, dass Neuwagen ab dem Erstzulassungsdatum 1. Januar 2035 lokal CO2-frei sein müssen. Das ist eine logische Fortführung des Mechanismus der Flottengrenzwerte. Zusätzlich wird eine neue Fahrzeugkategorie eingeführt, die ausschließlich mit e-Fuels funktioniert.
Was aber haben die Mitgliedsstaaten der EU eigentlich genau entschieden, und was bedeutet das für die Antriebe?
Die Inhalte und Fakten in der Übersicht:
Was ist der Flottengrenzwert?
Jedem in der EU zugelassenen Pkw ist ein CO2-Wert zugeordnet. In Deutschland können Halter diese Zahl unter der Position V.7 in der Zulassungsbescheinigung Teil I (früher: Fahrzeugschein) finden. Dieser CO2-Wert bezieht sich auf die konkrete Motor-Getriebe-Version und die individuelle Ausstattung; so können sich zum Beispiel ein Aerodynamikpaket oder Breitreifen negativ auswirken.
Sämtliche in einem Jahr im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – also den 27 EU-Staaten plus Island, Lichtenstein und Norwegen – zugelassenen Pkw gehen in die Flottenbilanz ein. Es zählt der CO2-Durchschnittswert eines Herstellers, wobei das Pooling erlaubt ist: Jeder darf sich mit jedem zusammenrechnen. Wenn Ausgleichzahlungen vereinbart werden, ist das Sache der Unternehmen.
Wie wird gemessen?
Nur die direkten CO2-Emissionen (Englisch: Tailpipe Emissions) auf dem Laborprüfstand zählen. Bei Batterie-elektrischen Autos (abgekürzt BEV für Battery Electric Vehicle) werden nach dieser Logik null Gramm CO2 angerechnet. Die bei der Stromproduktion anfallenden Emissionen bleiben bei den Flottengrenzwerten der EU unberücksichtigt. Plug-in-Hybride (abgekürzt PHEV für Plug-in Hybrid Electric Vehicle) durchfahren den Messzyklus einmal mit voller und einmal mit leerer Traktionsbatterie; die Ergebnisse werden auf Basis der elektrischen Reichweite gewichtet.
Und in welchem Messverfahren?
Maßgeblich ist das aktuelle Verfahren WLTP (für Worldwide Harmonized Light vehicle Test Procedure). In der öffentlichen Debatte wird aber meistens mit den ursprünglichen Zahlenwerten aus dem abgeschafften NEFZ (für Neuer Europäischer Fahrzyklus) argumentiert.
Wie hoch ist der Flottengrenzwert zu welchem Zeitpunkt?
Zurzeit gelten durchschnittlich 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer als Flottengrenzwert ab 2021. Aber: Dieser Wert muss von NEFZ in WLTP umgerechnet werden. Das Plus liegt bei ungefähr 20 Prozent. Und dieser Wert bezieht sich außerdem auf ein bestimmtes, früher angenommenes Durchschnittsgewicht. Weil die Pkw in der Realität schwerer sind als prognostiziert, gibt es einen zusätzlichen Nachlass. Der exakte Grenzwert kann also erst im Nachhinein berechnet werden, wenn neben den CO2-Werten auch das mittlere Leergewicht der neu zugelassenen Pkw eines Jahres bekannt ist.
Das Bundesumweltministerium (BMUV) spricht darum von geschätzten Flottengrenzwerten. In WLTP umgerechnet gelten für den Zeitraum 2021 bis 2024 nach BMUV etwa 115 g CO2 / km nach WLTP statt 95 g CO2 / km im NEFZ. Das Zwischenziel von minus 55 Prozent (EU-Programm Fit-for-55) für das Jahr 2030 übersetzt sich in rund 49 g CO2 / km. Und für das Jahr 2035 beträgt die Vorgabe null Gramm.
Ein kurzer Exkurs zu den leichten Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen Leergewicht, den Ducatos, Sprintern und VW-Transportern: Auch diese Fahrzeugklasse (N1) muss Flottengrenzwerte erfüllen. Wie bei den Pkw (M1) muss die Autoindustrie 2035 null Gramm erreichen. Das Zwischenziel für 2030 liegt 50 statt 55 Prozent unter dem aktuellen Wert. Konkret schätzt das BMUV den derzeitigen Flottengrenzwert für leichte Nutzfahrzeuge N1 auf 180 g CO2 / km. 2030 müssen es entsprechend 90 g CO2 / km sein.
Was passiert, wenn ein Hersteller die Grenzwerte verfehlt?
Pro Pkw und pro Gramm Überschreitung sind 95 Euro Strafzahlung fällig. Bei Großserienherstellern kann also schon eine nominal leichte Abweichung zu vielen Millionen Euro führen. Allerdings ist die Autoindustrie derzeit weit davon entfernt: Nach Berechnungen des International Council on Clean Transportation (ICCT) wurden 2022 107 g CO2 / km erreicht. Der gewichtsbereinigte Grenzwert liegt nach den Daten des ICCT bei 119 g CO2 / km – also nochmals höher als bei den Schätzungen des BMUV von 115 g CO2 / km.
Neben dem Nachlass für ein höheres Durchschnittsgewicht haben die Supercredits – das ist die Mehrfachanrechnung von BEV – sowie die Eco Innovations zu einer Entlastung für die Autoindustrie geführt. Eco Innovations sind technische Maßnahmen, die nachweisbar zu einer CO2-Reduktion führen, aber im Messverfahren nicht erfasst werden.
Welche Antriebe sind ab 2035 noch zulassungsfähig?
Zu den lokal CO2-freien Antrieben zählen neben Batterie- und Brennstoffzellen-elektrischen (abgekürzt FCEV für Fuel Cell Electric Vehicles) auch mit Wasserstoff betriebene Pkw mit Verbrennungsmotor (abgekürzt ICE für Internal Combustion Engine). Bei der Verbrennung von Wasserstoff wird kein CO2 emittiert.
Bereits der ursprüngliche Mechanismus der Flottengrenzwerte war und ist also bedingt technologieoffen. Neue Pkw und Nfz, die mit Kraftstoffen aus fossilen Ressourcen betrieben werden, sind dagegen ab 2035 nicht mehr zulassungsfähig.
Was passiert mit dem Bestand?
Nach heutiger Lesart darf der Bestand bis zur Verschrottung oder dem Export weitergenutzt werden. Ob der Bestand aber real in allen Staaten und Regionen des EWR geschützt ist, bleibt eine politische Entscheidung. Es wäre leichtgläubig anzunehmen, dass Fahrverbote undenkbar sind.
Was ist mit den e-Fuels?
Die Mitgliedstaaten der EU haben vereinbart, dass eine neue Fahrzeugkategorie eingeführt wird: Außerhalb des bisherigen Flottenmechanismus (!) sind Pkw zulassungsfähig, die nachweisbar mit aus Grünstrom produzierten Kraftstoffen betrieben werden.
Das funktioniert so: Mit Strom aus Sonne oder Wind wird per Elektrolyse Wasserstoff hergestellt. Dieser Wasserstoff reagiert mit CO2 aus der Luft oder anderen Quellen zu Methan (Sabatier-Prozess). Aus Methan können in unterschiedlichen Verfahren alle gängigen Kohlenwasserstoffverbindungen synthetisiert werden. Welche Antriebe hiermit versorgt werden, gibt die EU bisher nicht vor.
Beispiel Methanol: Mit diesem extrem klopffesten Kraftstoff könnten einerseits Pkw wie ein Porsche 911 mit Boxermotor betrieben werden. Aber auch elektrische Pkw mit einer indirekten Methanol-Brennstoffzelle dürften diesen Kraftstoff nutzen. Der Sportwagen Gumpert Nathalie funktioniert auf diese Weise. Der Vorteil dieses FCEV: e-Methanol kann in einen preisgünstigen Kunststoffbehälter mit wenig Volumen statt in Druckgastanks transportiert werden. Diese Bauart eines FCEV wäre eigentlich ab 2035 verboten gewesen, weil lokal CO2 freigesetzt wird. Das ändert sich jetzt.
Äußerst unwahrscheinlich ist, dass e-Fuels im großen Maßstab in Deutschland produziert werden, weil der Strom und die Steuern darauf viel zu teuer sind. In anderen Ländern wie etwa den Maghreb-Staaten Nordafrikas, in Chile oder in Saudi-Arabien ist die Situation völlig anders: Hier kann Strom aus Fotovoltaikanlagen nach heutigem Stand für einen Cent pro Kilowattstunde produziert werden.
Sind e-Fuels eine Konkurrenz für Elektroautos?
Nein. Der Flottenmechanismus der EU erzwingt eindeutig das Aus von mit fossilen Kraftstoffen betriebenen Pkw mit Verbrennungsmotor. Die Industrie muss die Grenzwerte erfüllen, selbst wenn es keine nationalen Subventionen mehr gibt. Fahrzeuge mit e-Fuels werden nicht innerhalb dieses Mechanismus berechnet und bilden eine eigene Kategorie.
Wie schnell Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor von jenen mit Elektromotor verdrängt werden, hängt aber nicht nur vom Flottengrenzwert ab. Je leistungsfähiger, preisgünstiger und verfügbarer die Traktionsbatterien sind, desto mehr Elektroautos werden anteilig verkauft.
Erschienen bei heise Autos.