Kulturrevolution Level 4

Wenn Elon Musk eine Ankündigung macht, ist das kein Versprechen: „Definitiv vor 2027“ werde das autonome Robotaxi namens Tesla Cybercab produziert werden. Das zweisitzige Elektroauto hat keine Pedale, kein Lenkrad und soll „30.000 US-Dollar“ kosten. Es bringt zwei Menschen und Gepäck, wohin sie wollen. Im markenüblichen Tam-Tam und dem dazugehörigen Hohngelächter („Elon-Time“) geht unter, dass „vorher Model Y und Model 3 Unsupervised FSD“ können sollen, so Musk. Also die breite Masse. Neu an der Debatte in der Branche – auch bei Mercedes oder Volkswagen – ist, dass viele Passagiere bereits das Fahren nach Level 4 und nicht Level 5 als autonom wahrnehmen könnten. Reicht das, und was bedeutet das?

Es gibt keine internationale und einheitliche Definition der Stufen des automatisierten Fahrens, aber Konventionen, die in Europa und den USA (dort nach der SAE J3016) geteilt werden.

Bis Level 2 müssen Assistenzsysteme überwacht werden

Zur Einteilung: Viele neu zugelassene Pkw sind serienmäßig mit Assistenzsystemen nach Level 1 ausgestattet. Dazu gehört zum Beispiel ein adaptiver Tempomat, der den Abstand reguliert. Die Längsführung – Verzögern und Beschleunigen – ist assistiert. Wird diese Längsführung mit der Querführung – dem Lenken – kombiniert, und kann das Auto Fahraufgaben ohne Eingriff des Menschen bewältigen, spricht man von Level 2.

In beiden Fällen muss der Fahrer grundsätzlich und durchgehend die Assistenzsysteme überwachen. Fehler müssen sofort korrigiert werden. Die Aufmerksamkeit wird unter anderem durch berührempfindliche Lenkräder eingefordert, die erkennen, wenn keine Hand am Steuer ist.

Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat 2021  zur Vereinfachung und für mehr Klarheit Level 1 und Level 2 unter dem Begriff assistiertes Fahren zusammengefasst.

BASt-Nomenklatur assistiert, automatisiert, autonom

Level 3 ist in der Nomenklatur der BASt das automatisierte Fahren. Gebräuchlich sind auch die Begriffe teilautomatisiertes und hochautomatisiertes Fahren für Level 2 und Level 3; aus Sicht der BASt verdeutlichen die geringen sprachlichen Unterschiede aber nicht den qualitativen Fortschritt.

Ab Level 3 dürfen Fahrer von Pkw oder Lkw unter bestimmten und definierten Bedingungen (abgekürzt ODD für Operational Design Domain) die Aufmerksamkeit komplett abgeben. Der Mensch kann sich abwenden – ist aber verpflichtet, in einer Übergangsfrist von zum Beispiel zehn Sekunden in der Lage zu sein, die Fahraufgabe wieder zu übernehmen.

Einige Pkw wie der Mercedes EQS sind in der Europäischen Union für Level 3 zugelassen. Sowohl die Geschwindigkeit (beim EQS inzwischen bis 95 statt bis 60 km/h) als auch das Wetter (nicht nachts oder bei Regen) sind noch erheblich begrenzt. Trotzdem gibt es eine sukzessive Ausweitung.

Tesla hat derweil unter dem Druck US-amerikanischer Behörden dem so genannten Full Self-Driving (FSD) den Zusatz Supervised = überwacht hinzugefügt. Es handelt sich also um ein assistiertes System nach Level 2. Auch die beeindruckenden Mitschnitte aus den USA von langen Strecken, auf denen der Mensch nicht eingreifen muss, ändern daran nichts.

Level 4 ist die Schlaferlaubnis

Der wahre Vorsprung ergibt sich weltweit erst, wenn auf Level 3 das Level 4 folgt. Die BASt spricht nicht mehr vom hochautomatisierten Fahren wie bei Level 3, sondern vom autonomen Fahren: Der Mensch kann sich unter definierten Bedingungen (ODD) vollständig zurückziehen und muss nicht in der Lage zur Rückübernahme sein. Er darf Filme gucken oder Schlafen, sobald das System aktiv ist.

Im Tesla-Sprech ist das Unsupervised FSD. Sollte es wie von Elon Musk angesagt gelingen, diese Definition noch vorm Cybercab bei Model Y und Model 3 für die Jahre 2025 oder 2026 zu realisieren, wäre das nicht weniger als der Beginn einer Kulturrevolution.

Allerdings gibt es bei der Zulassung nicht nur zwischen Europa und den USA, sondern auch innerhalb der USA Unterschiede. Mercedes erklärt auf Anfrage von heise Autos, dass die Vorschriften international ab Level 3 „sehr heterogen“ wären und man eine weltweite „Harmonisierung begrüßen“ würde. Manche US-Bundesstaaten, so heißt es weiter von Mercedes, erlauben eine Selbstzertifizierung (!) des Herstellers ohne Prüfung durch zusätzliche Institutionen, andere verbieten das.

In Deutschland ist Level 4 zulassungsfähig

In Deutschland wiederum ist seit Juni 2022 ein Gesetz in Kraft, dass den Verkauf und Betrieb von Level 4-Systemen grundsätzlich gestattet. So hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ein fahrerloses Parksystem von Mercedes freigegeben, das vorerst noch äußerst engen Beschränkungen unterliegt; es geht mehr ums Prinzip.

Level 4, nach der bisherigen Sprachregelung hochautomatisiert und nach der der BASt autonom, wird bei den meisten Menschen wahrscheinlich als autonomes Fahren wahrgenommen werden. Wie erwähnt: Schlafenlegen ist erlaubt.

Breites von-bis-Spektrum

Das Spektrum von Level 4 wird trotzdem sehr breit werden – und vielleicht anfangs enttäuschend sein: Weil es auf der Autobahn keine Ampeln, keinen Gegenverkehr und keine Fußgänger gibt, wird das autonome Fahren mutmaßlich hier starten. Aber ähnlich wie bei Level 3 könnten die Rahmenbedingungen für die Aktivierung zum Start arg begrenzt sein. Bei einsetzendem Regen oder in der Dämmerung etwa könnte das Auto entscheiden, den nächsten Rastplatz anzusteuern.

Gleichzeitig zeigt die Erfahrung mit den aktuellen Level 2-Systemen, wie weit der von-bis-Bereich sein kann: Ein Level 4-System gilt auch dann als Level 4, wenn es im Sommer und im Winter, auf allen Straßen und bei jedem Wetter das Fahrzeug perfekt bewegt, und der Mensch kann sich zurücklehnen.

Die Abgrenzung zu Level 5 bedeutet dann, dass sämtliche vorstellbaren Fahraufgaben – zum Beispiel das Rangieren auf einem Campingplatz – und die auch ohne Menschen in wirklich allen Situationen beherrscht werden.

Der eigentliche Sprung ist wie gesagt der von Level 3 auf Level 4, oder in der Nomenklatur der BASt der Übergang vom automatisierten zum autonomen Fahren.

Vision Only vs. Radar und Ultraschall

Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die beiden unterschiedlichen technischen Ansätze zur Problemlösung: Tesla baut ausschließlich auf Kameras und nennt das Vision Only. Das Argument von Tesla ist, dass auch der Mensch sich rein optisch orientiert. Gute Scheinwerfer, mehrere Kameras und leistungsstarke Rechner im Fahrzeug und im Backend sollen zum Ziel führen. Ein Ansatz, der plausibel ist. Tesla argumentiert darüber hinaus, dass auf diese Weise auch digitales und zentimetergenaues Kartenmaterial keinen Sinn mehr ergibt: Das Auto orientiert sich wie ein Mensch.

Der Rest der Industrie geht davon aus, dass Radare und Ultraschallsensoren bei schlechter Sicht einen klaren Zusatznutzen gegenüber Kameras bieten, unverzichtbar sind und die Sicherheit erhöhen.

Bei Mercedes sind außerdem vier Kernbereiche redundant ausgelegt, nämlich die Bremse, die Lenkung, die Stromversorgung und Teile der Sensorik. Diese doppelte Auslegung in diesen Bereichen ist nicht ausdrücklich für die Zulassung vorgeschrieben. Erforderlich ist aber die Fähigkeit, unter allen Umständen einen Nothalt zu schaffen, woraus die meisten Hersteller eben doch eine implizite Redundanzpflicht interpretieren.

In Europa gilt bis auf Weiteres, dass die Level 3-Systeme von BMW und Mercedes an der Spitze liegen. Es ist aber davon auszugehen, dass Tesla längst mit Versuchsfahrzeugen Millionen Kilometer mit FSD sammelt. Nicht in Texas oder Kalifornien, sondern in Norwegen, Deutschland und Spanien.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Tesla

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