Der Beste?!

„Sie dürfen nicht auf dem Ladeplatz parken!“ Ein Mann rennt auf mich zu. Er hat nicht erkannt, dass der e-Golf ein Batterie-elektrisches Auto ist. Seine Gesichtszüge hellen sich augenblicklich auf, als er das Kabel in meiner Hand sieht: „Sehr gut, sehr gut – wir wollen hier bessere Luft atmen.“ Es ist die einzige Situation auf über 1.100 Testkilometern, in der ich auf den Volkswagen ohne Verbrennungsmotor angesprochen werde. Der e-Golf ist optisch unauffällig. Nur die Form des Tagfahrlichts und die Felgen machen ihn unterscheidbar. Ein Golf ist eben auch als e-Golf ganz normal. Das ändert nichts an seinen Qualitäten: Der e-Golf ist eine echte Alternative zu TSI und TDI. Und die Frage muss gestellt werden, ob er das beste Batterie-elektrische Auto seiner Klasse ist.

Mit der Überarbeitung der Baureihe ist die Batteriekapazität von 24,2 auf 35,8 Kilowattstunden (kWh) gewachsen. Genug für 300 Kilometer (km) im Messzyklus und 200 km „praxisnahe Reichweite“, so Volkswagen. Ich kam im Durchschnitt auf 258 km und einen Stromverbrauch von 13,9 kWh auf 100 km. Zum Vergleich: Das bisher sparsamste BEV (für Battery Electric Vehicle), der Hyundai Ioniq electric, lag bei 13,3 kWh. Der e-Golf hat allerdings knapp 28 Prozent mehr Batteriekapazität. Ein Plus, das sich im Alltag spürbar bemerkbar macht.

Zu den Details der Verbrauchsmessung: Genau wie den Ioniq electric habe ich zuerst den Tempomat des e-Golf auf per GPS erhobene 130 km/h (Tacho: 135 km/h) eingestellt. Die Strecke führte je zwei Mal auf der Autobahn A1 von der Abfahrt Rade bis nach Sittensen und zurück. Beim Hyundai zeigte der Bordcomputer 18,5 und 18,7 kWh an. Beim e-Golf waren es 19,5 und 18,5 kWh.

Der Logik nach muss der Hyundai effizienter sein: Er ist leichter (1550 kg) als der e-Golf (1615 kg), und sein Luftwiderstandsbeiwert ist mit Cw 0,24 (e-Golf: 0,27) günstiger. Beim Normverbrauch nach NEFZ nimmt der e-Golf gut zehn Prozent mehr pro 100 Kilometer aus der Batterie (12,7 statt 11,5 kWh). Erstaunlich ist nicht, dass die Neukonstruktion aus Südkorea sehr gut ist – mich hat verwundert, wie dicht der Ende 2012 vorgestellte Golf 7 dem Ioniq beim realen Stromverbrauch auf die Pelle rückt. Auf einer reproduzierten Rundfahrt von Hamburg Richtung Bremen über Cuxhaven und zurück hat der e-Golf den Ioniq electric sogar unterboten: 12,5 zu 13 kWh / 100 sind die Vergleichswerte. Stichproben aus der Wirklichkeit.

Ständig wachsende Batteriekapazitäten

Generell gilt: Die aktuellen Batteriekapazitäten sind ein Übergang. Heute hat der e-Golf einen größeren elektrochemischen Speicher als der Hyundai (28 kWh) oder der Nissan Leaf (30 kWh). Aber schon am 5. September wird die zweite Generation des Japaners vorgestellt (Schnäppchenzeit!), und es ist äußerst wahrscheinlich, dass der bisherige Weltverkaufsmeister unter den BEVs einen neuen Maßstab setzt.

Unterdessen schreibt mir Opel auf Anfrage, dass ein Ampera-e zurzeit nur für Tagestouren in und um Rüsselsheim zur Verfügung steht. Ein Testwagen könne nicht vor November bereitgestellt werden. Zulassungszahl im Juni laut KBA: 3. Ich bleibe dran, liebe Leser. Der Ampera-e hat einen Akku mit 60 kWh. Mit jeder Kilowattstunde mehr decken die Autohersteller die Nutzungsprofile von immer mehr Fahrern ab. In der Kompaktklasse dürften 50-60 kWh im Jahr 2020 das übliche Mittel darstellen. Und das wird im Regelfall genug sein.

Wechselstrom ohne Schieflastproblem

Was genug ist, hängt zugleich von der vorhandenen Infrastruktur sowie der Ladefähigkeit des Autos ab. Der e-Golf lädt Wechselstrom (AC) serienmäßig zweiphasig mit 7,2 kW Leistung. Anders als bei den erweiterten Einphasenladern in Nissan Leaf, Hyundai Ioniq electric oder im BMW i3 mit der kleinen Batterie gibt es hier also kein Schieflastproblem: Auch an der heimischen Wallbox ist die Leistung voll abrufbar. Ich persönlich halte elf kW mittelfristig für eine vernünftige Größe in Mitteleuropa.

Unverständlich bleibt, dass Volkswagen beim e-Golf 625 Euro Aufpreis fürs Gleichstrom (DC)-Laden mit CCS-Buchse verlangt. Angesichts der rapide wachsenden DC-Infrastruktur an Autobahnraststätten und anderen wichtigen Knotenpunkten ergibt das einfach keinen Sinn. Dass der Wettbewerb mit Ausnahme von Hyundai und Tesla genauso vorgeht, kann keine Begründung dafür sein. Ein BEV ohne DC-Anschluss ist wie ein Auto ohne Radio. Es geht, aber es geht nicht gut.

Die DC-Ladeleistung des e-Golf ist übrigens auf 40 kW begrenzt. Das macht sich in der Realität kaum bemerkbar. Dennoch bleibt offen: Wieso kann der e-Up mit seiner relativ kleinen Batterie mit 50 kW laden?

Der e-Golf geht ab

Lobenswert ist das Fahren an sich. So ist die Rekuperation des e-Golf auf null voreingestellt. Das ist genau mein Style. Gleiten, gleiten, rollen, rollen. Und beim Beschleunigen geht der e-Golf ordentlich ab: Die Leistung des e-Motors ist mit dem Facelift von 85 auf 100 kW (115 auf 136 PS) gewachsen. Nein, so dynamisch wie der BMW i3 ist der e-Golf nicht. Aber er macht Spaß, spricht direkt auf jede Pedalbewegung an und hat eine bessere Traktion als die Wettbewerber – auch bei der während des Testzeitraums leider häufigen Nässe.

Eine traditionelle Stärke des Golfs ist der akustische Komfort. Hier macht dem Wolfsburger keiner etwas vor. Egal ob Fahrwerks- oder Windgeräusche, der e-Golf ist leiser als die Konkurrenz. In Verbindung mit dem nochmals feiner abgestimmten ACC ist hier ein Auto mit einer gekonnten Mischung aus Kraft und Komfort entstanden.

Teuer, aber nicht zu teuer

Was kostet der Spaß? Bei 35.900 Euro minus E-Prämie gleich 31.900 Euro geht es los. Inbegriffen im Preis sind vier Türen, die Klimaautomatik und das hochwertigste Radio-Navigationssystem „Discover Pro“ – eine Topanlage. Dennoch teile ich die Kritik des Kollegen Martin Franz: Ich vermisse den Drehregler für die Lautstärke und habe darum den Schalter im Multifunktionslenkrad benutzt.

Pflichtextras sind die erwähnte CCS-Buchse (625 Euro), die Wärmepumpe (975 Euro) sowie das ACC (320 Euro). Macht zusammen 37.820 Euro bzw. 33.820 Euro nach Staatsförderung. Oder 2320 Euro mehr als der vergleichbare Hyundai Ioniq electric. Für Rechenfreunde: Das sind ungefähr 300 Euro für jede Kilowattstunde, die der e-Golf mehr bietet.

Der Vollständigkeit halber noch der Testwagenpreis: 44.335 Euro. Neben den nützlichen Optionen gibt es etliche verzichtbare – Beispiele dafür sind der überflüssige künstliche e-Sound und das Active Info Display, das schlechter ablesbar ist als klassische Instrumente.

Exkurs und Blick in die Zukunft: Ende Juni hat mich die Volkswagen Konzernforschung nach Ehra-Lessien eingeladen, auf jenes gut abgeschirmte Testgelände, das 1968 in unmittelbarer Nähe zum Eisernen Vorgang gebaut worden ist. Alle internationalen Kollegen und ich mussten am Eingang die Smartphones abgeben: Unter anderem war der Versuchsträger Gen.E zu sehen, von dem das Werk nur zwei offizielle Bilder freigibt. Und plötzlich wirkt der Golf uralt.

Zeitdruck bei der I.D.-Serie

Gen.E ist – anders als in vielen Medien kolportiert – keine kommende Studie, sondern bereits zwei Jahre alt und der erste Versuchsträger für den kommenden Modularen Elektrifizierungsbaukasten MEB. Oder, anders gesagt: Gen.E gibt einen Ausblick auf den Volkswagen I.D., der zur IAA 2019 Premiere feiern wird. Er hat das Zeug, den Golf zu kannibalisieren. Der I.D. wird als reines BEV konstruiert und wird den Vorteil der E-Technik endlich nutzen: Langer Radstand bei kompakten Außenmaßen.

In vielen Gesprächen in Ehra-Lessien ist außerdem er immense Druck zu spüren, der auf Volkswagen lastet. Nicht nur wegen des Abgasskandals. Noch mehr wegen des wichtigen chinesischen Markts. Es darf und wird für die I.D.-Serie keine Anlaufverzögerung geben.

Der e-Golf aber ist jetzt im Verkaufsraum. Es ist das Dilemma aller BEVs, dass sie in absehbarer Zeit durch noch attraktivere Modelle ersetzt werden. Würde ich heute vor der Kaufentscheidung stehen, der e-Golf wäre ganz oben auf der Liste. Für viele Interessenten wird er der aktuell Beste sein.

Erschienen am 18. Juli bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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