Chemiefabrik im Auspuff

Die Unsicherheit ist da. Wer ein Auto kaufen will, hat bei der Antriebswahl bisher vor allem gerechnet: Amortisiert sich der Mehrpreis für den Dieselmotor? Je größer das Fahrzeug und je höher die Jahresfahrleistung, desto häufiger lautete die Antwort: Ja, ich nehme den Selbstzünder. Inzwischen aber ist zum Zahlenspiel die Sorge vorm Wertverlust aufgrund schärferer Emissionslimits gekommen. Es ist außerdem vorstellbar, dass die Politik aus dem Stadium der latenten Drohung ins Handeln kommt und für Autos mit hohen Abgaswerten Einfahrverbote verhängt.

Wir haben darum mit einem Fachmann über die kommende Euro 6c-Norm gesprochen, über die Abgasnachbehandlung beim Dieselmotor, über das Partikelproblem von Benzindirekteinspritzern, über Real Driving Emissions und über die Technik, mit der die Hersteller auf die neuen Anforderungen reagieren werden.

Die Euro 6c-Norm tritt für neu typgeprüfte Autos ab 1. September 2017 und für neu zugelassene Autos ab 1. September 2018 in Kraft. Der einzige sofort sichtbare Unterschied zu den bisherigen Grenzwerten betrifft die Partikelzahl (PN) beim Ottomotor – sie darf nur noch ein Zehntel des alten Ausstoßes betragen.

Ebenfalls ab 2017 verlässt Real Driving Emissions (RDE) die Monitoring- bzw. Versuchsphase und wird gesetzlich scharf geschaltet. Bei RDE werden die Stickoxide und ab 2020 in Phase 2 auch die Partikel mit mobilen Messgeräten (abgekürzt PEMS für portable emissions measurement system) auf öffentlichen Straßen erhoben. RDE ist noch nicht finalisiert; das EU-Parlament hat dennoch letzte Woche beschlossen, dass die im RDE erreichten Stickoxidwerte für Dieselmotoren bei 168 Milligramm pro Kilometer liegen dürfen. Die Abweichung zwischen dem ursprünglichen Laborgrenzwert von 80 mg/km und dem RDE-Wert wird beschönigend als Conformity Factor (CF) beschrieben. Er beträgt ab 2017 also gut 2 und ab 2020 noch 1,5 (120 mg/km).

Vereinfacht gesagt erfordert die Euro 6c-Norm eine Verbesserung der Abgasreinigungstechnik beim Ottomotor mit Direkteinspritzung, und RDE nötigt dem Dieselmotor einen Fortschritt ab. Und, Sie ahnen es: Der Aufwand, um die Emissionen in den Griff zu bekommen, wird für die TDIs dieser Welt größer als für die TSIs, wobei die Kürzel zwar von Volkswagen entlehnt sind, aber exemplarisch für alle Hersteller gelten.

Benzindirekteinspritzer brauchen einen Partikelfilter

Fangen wir beim Benzindirekteinspritzer an. Die Maschine selbst produziert Rohemissionen, die über eine Abgasrückführung (AGR) teilweise nachverbrannt werden. Hinter der AGR sitzt der geregelte Dreiwegekatalysator. Aufgeladene Direkteinspritzer werden immer häufiger, so arbeitet etwa der 2012 vorgestellte Golf VII ausschließlich mit diesem Prinzip.

Das Problem: Anders als früher emittieren Benziner nun sehr viele und sehr kleine Partikel. Deren Masse ist vergleichsweise gering, aber die Oberfläche wegen der hohen Zahl groß. Hier können sich Giftstoffe wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) anlagern. Und weil die extrem kleinen Partikel Lungen- und Gefäß-gängig sind, landen sie direkt in der Blutbahn.

Im Ergebnis werden Benzindirekteinspritzer einen Partikelfilter bekommen. Der wird kostengünstig sein, weil vielleicht eine zusätzliche Abschlusslage im Dreiwegekatalysator ausreicht. Wann genau kommt die Technik? Spätestens mit der zweiten Phase des RDE ab 2020, weil dann auch die Partikel erhoben werden, was ab 2017 noch nicht der Fall ist. Für diesen Fall aber müsste es den Autoherstellern gelingen, die Euro 6c-Norm mit den viel beschworenen innermotorischen Maßnahmen zu unterbieten.

Der von uns interviewte Fachmann kann sich nicht vorstellen, dass es möglich ist, die Euro 6c-Norm mit einem Benzindirekteinspritzer ohne Partikelfilter einzuhalten – es müssten also sehr bald viele Hersteller Autos mit dieser Technik vorstellen. Falls dies nicht der Fall ist, sollten sich Kunden mental und mittelfristig auf eine Nachrüstlösung einstellen.

Der Benzindirekteinspritzer kommt also mit einem blauen Auge davon, wobei es am Ende immer ums Geld geht, das investiert werden muss, um die Technik für die Abgasreinigung zu bezahlen. Und hier wird es für den Dieselmotor teuer.

Chemiefabrik im Auspuff

Genau wie der Ottomotor produziert der Selbstzünder Rohemissionen, die über eine Abgasrückführung wieder der Verbrennung zugeführt werden. Ziel der AGR ist anders als beim Ottomotor weniger die Reduktion des Verbrauchs als vielmehr die Reduktion der Stickoxide. Die AGR war übrigens das Einfallstor für die Manipulation der Euro 5-Fahrzeuge. So räumt Volkswagen gegenüber der Redaktion ZDF frontal 21 ein, die Prüfstandsgrenzwerte über „eine höhere Abgasrückführungsrate“ (siehe hier Antwort 6) eingehalten zu haben. Auch BMW erklärt Abweichungen zwischen Labor- und Realemissionen mit einer auf der Straße gedrosselten AGR (siehe hier Antwort 4), argumentiert aber mit dem Schutz von Bauteilen.

Hinter der AGR folgen bei Dieselmotoren ein Oxidationskatalysator sowie ein Partikelfilter. Mit der Euro 6c-Norm und der Phase 1 des RDE ab 2017, da ist sich unser Ansprechpartner sicher, sind die Grenzwerte nicht mehr ohne einen dahinter eingebauten SCR-Katalysator mit Harnstoffeinspritzung einhaltbar. Werfen wir einen Blick in den Volkswagen-Konfigurator: Der frisch vorgestellte Touran, der wohl drei Jahre in dieser Form laufen muss, ist als TDI nur noch mit SCR erhältlich. Der Golf dagegen, dessen Facelift unmittelbar bevorsteht, kam bisher ohne diese Technik aus. Sollte die überarbeitete Version auf dem Genfer Autosalon mit SCR ausgerüstet sein, wäre das eine Bestätigung der These des Abgasspezialisten.

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Einige Hersteller wie PSA (Peugeot, Citroen) verbauen längst nur noch Dieselmotoren mit SCR-Reinigung, andere wie Renault kommen bis zum großen Van Espace offenbar mit einem NOx-Speicherkatalysator aus. Bei BMW wiederum gibt es inzwischen sogar 20 Modelle, die SCR- und NOx-Speicherkatalysator kombinieren. Mit diesem extremen Aufwand war der BMW X5 bei den Messungen der West Virginia University 2014 das einzige unauffällige Auto auf dem US-Markt, während die Volkswagen-Modelle Jetta und Passat versagten.

Vergleichen wir also: Die Rohemissionen werden also bei Otto- und Dieselmotor durch eine Abgasrückführung zum Teil nachverbrannt. Beim Benziner folgt der Dreiwegekatalysator und in Zukunft ein Partikelfilter, der eventuell als zusätzliche Lage mit eingebaut werden kann. Beim Dieselmotor kommt nach der AGR ein Oxidationskatalysator und der Partikelfilter sowie flächendeckend der SCR-Katalysator mit Harnstoffeinspritzung und entsprechendem Zusatztank. Außerdem ist davon auszugehen, dass wegen der zeitweilig entstehenden Ammoniakgerüche noch ein so genannter „Gade Cat“ zu Neutralisierung montiert wird.

Sehr wahrscheinlich ist mit der Einführung von Euro 6c-Norm und RDE auch mit einem höheren Harnstoffverbrauch zu rechnen, weil RDE eben unter vielen Umständen eine funktionierende Reinigung erzwingt statt nur auf dem Prüfstand.

Fassen wir zusammen: Unser Fachmann ist kein Allwissender, erklärt aber plausibel, welche Abgasreinigungstechnologien er kurzfristig als Mindeststandard erwartet. Es sollte interessierte Autokäufer stutzig machen, wenn ein Fahrzeug nicht darüber verfügt, was besonders für Dieselmotoren gilt.

Der Dieselmotor verschiebt sich in höhere Segmente

Am Grundsätzlichen ändert sich also wenig. Der Dieselmotor bleibt, aber er verschiebt sich in höhere Segmente. Ein Volkswagen Up ist nicht als TDI erhältlich. Ein Bus T6 dagegen wird noch sehr lange vorwiegend mit Selbstzünder unterwegs sein. Wo ungefähr verläuft die Trennlinie? Heute in der Golf-Klasse. So weist das Portal Spritmonitor für alle ab 2015 zugelassenen Golf TSI einen Verbrauch von 7,84 Litern und für TDI von 6,14 Litern aus. Legt man den heutigen Tankstellenpreis in Hamburg von 1,20 Euro pro Liter Super E5 und 96 Cent pro Liter Diesel zu Grunde, liegt die Ersparnis für den TDI also bei 3,51 Euro auf 100 Kilometer – den Rest, also Kaufpreisdifferenz, Kfz-Steuer, Versicherung, Wartung und natürlich die persönlichen Vorlieben, muss jeder selbst ausrechnen und gewichten.

Zum Abschluss noch eine Bemerkung des Autors zur Energiesteuerpolitik. Hier liegt der Schlüssel für die Steuerung des zukünftigen Fuhrparks. Der Bürger erwartet hier eine langfristige Planungssicherheit. Wahrscheinlich würde es einen Aufschrei geben, wenn der Dieselrabatt von 18,41 Cent pro Liter kassiert werden würde, aber er wäre auszuhalten, wenn es eine sukzessive Abschmelzung zum Beispiel bis 2025 geben würde.

Grafiken: Volkswagen (Hauptbild NOx-Speicherkatalysator des Golf GTD, Galeriebild außerdem SCR-Reinigung des Sharan TDI)

Erschienen am 10. Februar bei heise Autos.

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