Zugegeben, mir hat die Fantasie gefehlt. Als ich im Mai 2013 zum ersten Mal ein Tesla Model S fuhr, dachte ich: Das ist es! Wenn das Batterie-elektrische Auto erfolgreich sein kann, dann so. Mit viel Reichweite. Eine Überlegung, die mich fast traurig gemacht hat. Denn mir war klar, dass ein Fahrzeug der Kompaktklasse mindestens so viel Speicherkapazität brauchen würde wie das Basismodell der kalifornischen Luxuslimousine. Unter 60 Kilowattstunden, so meine Kalkulation, wäre die Nutzungseinschränkung im Alltag zu groß. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass genau vier Jahre später ein Batterie-elektrischer Opel im Verkaufsraum steht. Mit 383 Kilometern Aktionsdistanz im realistischen US-Messzyklus. In der Golf-Klasse. Für einen Preis, den ich inklusive Förderung auf rund 35.000 Euro schätze. Nicht billig, und dennoch für viele Kunden bezahlbar. Ein Erstwagen.
Sie werden von mir keine Prognose lesen, in der ich schreibe: Morgen wachen wir auf, es macht Klick, und wir fahren alle mit BEVs (Battery Electric Vehicles) durch die Gegend. Aber es gibt gute Argumente, die für einen erheblichen Anstieg des Marktanteils auf zehn, 25 oder 40 Prozent sprechen, und den nenne ich Durchbruch.
Aller berufsbedingten Skepsis zum Trotz bin ich inzwischen sicher, dass ein neuer Pkw mit Verbrennungsmotor im Jahr 2030 ungefähr so sexy sein wird wie das Rauchen im Restaurant.
Die Ursachen und Gründe in Stichpunkten:
- Skaleneffekte bei der Batterieproduktion
Zwischen 2022 und 2025 könnte der Preis pro Kilowattstunde Batteriekapazität auf Systemebene die 100 Euro-Marke nach unten durchbrechen. Nicht, weil die Zellchemie revolutioniert wird. Sondern vorwiegend, weil die industrielle Massenproduktion so richtig in Schwung kommt. Die Bänder laufen immer schneller. Gleichzeitig verbessert sich das Verhältnis von aktivem Material und Verpackung kontinuierlich – die so genannten Integrationsverluste sinken, es sind weniger Ressourcen notwendig, und die Batterie wird in der Folge billiger. Es geht ums Geld. Wie immer.
- China, China, China
Wenn 1,4 Milliarden Chinesen ähnlich leben wollen wie wir, wird der schon heute weltgrößte Automarkt eine neue Dimension erreichen. Die Volksrepublik fördert Batterie-elektrisches Fahren, weil damit die heimische Industrie gestärkt wird. Und ein signifikanter Zuwachs der Verkaufszahlen über die 100 Millionen, die wir international zurzeit pro Jahr ungefähr haben, wird ohne BEVs nicht auskommen.
- Pflicht zum E
Planwirtschaft taugt nix, sagt die Geschichte. Und trotzdem werden die Pflichtquoten etlicher Staaten eine Wirkung entfalten. Dabei ist das Modell aus zehn US-Bundesstaaten noch milde, nach der 2025 mindestens 22 Prozent der Neuzulassungen Zero Emission Credits erfüllen müssen. Nationen wie Norwegen, wo ein Verbot von Verbrennungsmotoren im Pkw und damit eine 100-Prozent-Quote sehr wahrscheinlich ist, werden zu Versuchslaboren. Der Druck aus diesen Märkten befördert Punkt 1, die Skaleneffekte.
- Toyota macht mit
Chefsache: Ab sofort ist Akio Toyoda oberster Planer beim Batterie-elektrischen Auto. 2020 soll es ein Serienprodukt geben. Und Toyota baut nichts, ohne eine Mindeststückzahl zu erwarten. Der Autoriese weiß, wie man Kosten in den Griff bekommt, und wegen der Hybridstrategie sind wesentliche Komponenten längst preisgünstig genug für den Massenmarkt. Wenn Toyota etwas macht (oder unterlässt), hat es Relevanz. Ähnlich wie bei Volkswagen.
- TCO
Stellen Sie sich vor, ein Golf TSI oder TDI wäre teurer als ein e-Golf. Beim Kaufpreis wird das auf absehbare Zeit nicht der Fall sein. In der Betrachtung der Gesamtkosten TCO (total cost of ownership) dagegen ist das leicht vorstellbar. Allerdings wird sich dieser Effekt in Deutschland langsamer vollziehen als in anderen Märkten – zwar fällt auch bei uns der Ölwechsel weg. Es gibt aber leider kaum eine Industrienation, in der das Verhältnis von Strom- zu Kraftstoffpreis so ungünstig fürs BEV ist wie hier.
Nach dieser kurzen Übersicht, in der ich im Wesentlichen ökonomisch argumentiere, noch ein paar Ergänzungen.
In Deutschland sind etwa 45 Millionen Pkw zugelassen. Jedes Jahr werden rund drei Millionen davon durch neue ersetzt. Wenn der Volkswagen-Konzern 2025 ein Viertel seines Absatzes mit BEVs erzielen will und dieser Prozentsatz für den Binnenmarkt übertragbar ist, entspricht das also einer dreiviertel Million Autos. Bis der Bestand umgestellt ist, werden also viele Jahre vergehen – das ist, was ich zu Beginn meinte: Die Energiewende im Straßenverkehr geschieht nicht mit einem Klick. Sie ist ein Prozess, und es werden Fehler gemacht werden.
Wir Deutschen wollen schließlich nicht überzeugt werden. Wir wollen uns selbst überzeugen. Es gehört zur guten Tradition dieses Landes, Neues mit Argwohn zu betrachten. Gehen die Lichter aus, wenn wir mir Strom fahren? Was passiert mit den Batterien, wenn sie fürs Auto verschlissen sind? Und wie können am ersten Urlaubstag Tausende zeitgleich lange Strecken bewältigen? Alle diese Punkte müssen durchdacht und Lösungen gefunden werden. Diese zögerliche und manchmal risikoscheue Haltung hat den Vorteil, dass wir Probleme – nachdem wir sie von allen Seiten beleuchtet haben – mit viel Energie angehen. Vielleicht werden wir doch noch vom Bremser zum Treiber der E-Mobilität.
Zum Abschluss möchte ich einen Aspekt einbringen, den ich im öffentlichen Diskurs für unterschätzt halte. Ich wohne in Hamburg, der zweitgrößten Stadt der Bundesrepublik. Hier gibt es keine Umweltzone, und die giftigsten Abgase werden im Hafen von den Schiffsdieseln produziert. Zwischen Barmbek und Altona aber, dort wo viele Menschen leben, ist es vor allem der Straßenverkehr, der die Luft belastet. Ich benutze hier am liebsten das Fahrrad, denn es ist am schnellsten und ich habe Spaß daran. Nur die gesundheitsschädlichen Abgase will ich nicht mehr einatmen. Keinen Bock mehr auf den Dreck.
Dass der Strom noch zu oft aus Kohlekraftwerken kommt, stimmt. Aber genau wie der aktuelle Stand der Batterietechnik nicht das Ende der Geschichte ist, wird der Strommix langfristig auf Renewables umgestellt. Das BEV wird jeden Tag sauberer. Die anderen nicht.
In Raucherkneipen gehe ich übrigens nur noch selten. Es stinkt mir dort zu sehr.
Der Kommentar ist inklusive der Replik von Chefredakteur Martin Franz am 6. Dezember bei heise Autos erschienen.