Hätte. Wäre. Könnte. Fast täglich landen wissenschaftliche Studien im Posteingang eines Journalisten. Mit Prognosen, die weit in die Zukunft reichen. Mit steilen Thesen. Oder mit Analysen der Jetztzeit. Und manchmal ist eine dabei, die zum Nachforschen anregt: So behauptet Transport & Environment, eine Art Dachorganisation der europäischen Umweltverkehrsvereine, dass Erdgas eine Road to nowhere, also frei übersetzt eine Sackgasse sei. Der Kraftstoff wäre „keine Brücke“ in eine saubere Zukunft, sondern weit weniger umweltschonend als allgemein angenommen. Am wichtigsten aber ist nach Ansicht von T&E, dass Erdgas den beschleunigten Umschwung zur Elektromobilität verzögere. Grund genug, sich dem Thema zu widmen.
Einer mangels Masse nicht befriedigenden Datenlage zum Trotz lässt sich nach etlichen Mails und Telefonaten sagen: Erdgas, chemisch vorwiegend Methan und unter dem Kürzel CNG für Compressed Natural Gas erhältlich, ist aus Emissionssicht keineswegs rein. Auch aus dem Auspuff eines Erdgas-Pkw strömen giftige und klimaschädliche Abgase. Dennoch hat der Kraftstoff Stärken, und sein Potenzial ist nicht ausgeschöpft.
Für die Betrachtung im Vergleich zu Benzin und Diesel sind die Klimawirksamkeit sowie die Gesundheitsschädlichkeit (Stickoxide, Partikel) relevant. Und weil der Volkswagen Golf Europas meistverkauftes Auto ist und mit etlichen Antriebsvarianten bestellt werden kann, muss er als Maßstab herhalten. Mal wieder.
Kein CO2-Vorteil gegenüber dem Dieselmotor
So emittiert ein Golf TDI BlueMotion im Laborzyklus des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) 89 g CO2/km. Die Erdgasversion TGI kommt auf 94 g/km, und der TSI 1.0 auf 99 g/km. Als Ergänzung noch der stark nachgefragte Basis-Golf 1.2 TSI: Er wird mit 113 g CO2/km angegeben.
Zumindest in diesem Rahmen kann Methan keinen Vorteil verbuchen. Alle Befragten haben nun – je nach Standpunkt – entweder zusätzlich kritisiert oder eingeräumt, dass der Kraftstoff ein Problem hat, das in der Öffentlichkeit weniger bekannt ist als in Fachdiskursen: Den Methanschlupf. Damit sind Leckagen auf dem Transportweg gemeint, aus denen das Gas direkt entweicht. Auch im Pkw selbst gibt es diese Verluste. Und weil Methan erheblich aggressiver auf das Klima einwirkt als Kohlendioxid (je nach Quelle circa Faktor 25), darf diese Schwierigkeit nicht ignoriert werden.
Professor Stefan Pischinger, Leiter des Lehrstuhls für Verbrennungskraftmaschinen an der RWTH Aachen, rät aber dazu, dieses Problem nicht zu stark zu bewerten. Der promovierte Ingenieur sagt deutlich: „Erdgas bleibt ein sehr attraktiver Kraftstoff, dessen Potenzial nicht ausgeschöpft ist.“
Der wissenschaftlich-rechnerische CO2-Vorteil von Erdgas gegenüber Benzin liege bei rund 25 Prozent, so Pischinger. Dass das nicht zwangsläufig an niedrigen NEFZ-Werten ablesbar ist, sei dem Umstand geschuldet, dass heutige Erdgas-Pkw bivalent ausgelegt wären und darum Kompromisse eingegangen werden müssten.
„Wegen der hohen Oktanzahl des Erdgases von über 130 ist eine hohe Verdichtung möglich. Optimal wäre ein monovalenter Turbomotor“, so Pischinger, der auf sehr gute Wirkungsgrade dieses Konzepts bei Teil- und Volllast verweist.
Und natürlich spielt auch das Geld eine Rolle. Wenn ab 2017 der WLTP als Nachfolger des NEFZ und außerdem der Straßentest RDE in Kraft treten, wird es für den Dieselmotor nochmals teurer, die Abgase als im Sinn des Gesetzgebers ausreichend zu begrenzen.
Zwar steigt der Aufwand zur Reinigung der Stickoxide am Katalysator eines Erdgasautos mit WLTP und RDE ebenfalls an, aber nicht so wie beim Selbstzünder. Und die Partikel sind beim CNG-Motor leichter in den Griff zu kriegen als bei Benzindirekteinspritzern – beide werden in Zukunft wohl einen Filter bekommen.
Neben den CO2-Werten im NEFZ, siehe oben, liefert das ADAC Technik Zentrum Landsberg vergleichende Messergebnisse aus dem EcoTest. Die Prüfung auf dem Laborprüfstand erfolgt hier in drei Zyklen: im NEFZ – quasi zur Überprüfung der gesetzlichen Limits –, im einer Vorabversion des WLTP und im so genannten ADAC-Autobahnzyklus (bis 130 km/h, Volllastbeschleunigung, Licht an).
Stickoxidmessung des ADAC: Besser als TDI, schlechter als TSI
Bei den Stickoxidemissionen (NOx) des ADAC kam der Basis-Golf 1.2 TSI auf 16, der TGI auf 21 und der TDI auf 37 mg/km. Ein Umweltplus kann der Erdgas-Golf TGI an dieser Stelle nicht nachweisen.
Echte und unabhängige Straßenmessungen durch mobile Geräte (PEMS) fehlen zurzeit leider. Hier steht die gesamte Branche am Anfang, und die Nervosität ist seit dem 18. September groß, dem Tag, an dem die Manipulationsvorwürfe gegen Volkswagen bekannt wurden.
Axel Friedrich, freier Umweltberater und ehemaliger Leiter der Abteilung Verkehr beim Umweltbundesamt, wehrt sich gegen die Einteilung von Kraftstoffen in Kategorien wie gut und böse, wie sauber oder dreckig. Entscheidend sei immer die Gesamtbetrachtung eines Systems im individuellen Pkw: „Ein Dieselmotor kann auf auch auf der Straße niedrige Emissionen haben, wenn der Hersteller die Abgasreinigung entsprechend dimensioniert und auslegt. Gleichzeitig ist ein Batterie-elektrisches Auto nicht automatisch umweltfreundlich“, so Friedrich. Wenn der Strom nicht aus erneuerbaren Energien stamme oder das Fahrzeug extrem schwer sei, könne von einem Gewinn keine Rede sein.
Fazit: Erdgas als Kraftstoff ist nicht per se sauber. Der Methanschlupf ist ein Problem, und die gesundheitsschädlichen Abgase wie Stickoxide und Partikel müssen genauso gereinigt werden wie bei einem Benzinmotor. Das volle Potenzial kann Erdgas nur ausschöpfen, wenn monovalente Antriebe erhältlich sind – so ein Pkw wäre unter anderem leichter und kostengünstiger als ein bivalenter.
Betrachtet man den aktuellen Markt, stellt sich die Frage nach dem Erfolg von CNG als Kraftstoff aber ohnehin nicht. Die Auswahl sinkt. So hat der Volkswagen-Konzern zwar mit der markenübergreifenden Palette in der Golf-Klasse (Seat, Skoda) ein scheinbar breites Portfolio. Zugleich sind Passat und Touran nicht mehr als Erdgasversion zu kaufen, und auch ein Nachfolger der Mercedes E-Klasse mit CNG ist noch nicht vorgestellt.
Es ist, als hätten sich die Autohersteller längst entschieden. Das Geld fließt in die Verbesserung des Dieselmotors – und in die Elektromobilität.
Erschienen am 24. März bei heise Autos.